Immer mehr Menschen ernähren sich vegan. Der Markt für pflanzliche Produkte wächst. Es ist eine Nische, doch sie wird größer. Auch in der Region tut sich was. Wir haben regionalen Akteuren gesprochen – über Essen ohne Tier, über Klimaschutz, der schmeckt und über vegane Alternativen zu Käse und Kotelett.
Text: Christine Weis
2015 waren es 850.000, heute sind es 1,5 Millionen Menschen in Deutschland, die vegan leben. Der Verein Vegan Freiburg engagiert sich dafür, dass es mehr werden. Zwei, die das Thema nicht nur vertreten, sondern verkörpern, sind Wolfgang Reuter und Matthias Türk. Sie haben Vegan Freiburg mitgegründet und betreiben mit der Kochschule Aubergine, der veganen Käserei Wolferie und der Manufaktur Sin Carne Schwarzwald weitere Projekte.
Wolfgang Reuter war 14, als er mit seinen Eltern vor dem Fernsehen saß und die WDR-Sendung Monitor schaute. Ein Beitrag über die Gelatineproduktion für Süßwaren wie Gummibärchen und Pharmakapseln erschütterte ihn. Im Film war zu sehen, wie in Schlachthöfen tonnenweise gammlige Schweineschwarten, Rinderhäute und Knochen in Lastwagen verladen wurden. „Ich war geschockt“, erinnert sich der heute 57-Jährige, der in einem Dorf bei Mönchengladbach aufwuchs. Von da an aß er weder Fleisch noch Wurst. Im Laufe der Jahre strich er auch Eier, Milch, Käse, Joghurt, Sahne oder Quark vom Speiseplan. „Ich habe mich intensiv mit Studien über Stoffströme und Ressourcenverbrauch beschäftigt und festgestellt, dass die vegane Lebensweise für Klima- und Umweltschutz mit Abstand das Effektivste ist“, sagt der studierte Biologe und Toxikologe. Es seien deutlich weniger Material- und Energieflüsse nötig, wenn man Pflanzen direkt für den Menschen statt als Tierfutter anbaue. Emissionen und Flächenverbrauch sinken entsprechend, erklärt Reuter. „Einfach gesagt: Bei der veganen Ernährung geht die Pflanze nicht erst durch das Tier, ehe sie auf unserem Teller landet.“

„Eine vegane Kochausbildung wird nirgendwo angeboten. Die weltweit erste vegetarisch-vegane Kochlehre gibt es erst seit Kurzem in Österreich.“ Wolfgang Reuter
Für einen Job beim Ökoinstitut kam der Rheinländer im Jahr 2002 nach Freiburg. Seit 2005 arbeitet er für den Medizintechnikhersteller Stryker im Qualitätsmanagement. 2018 gründete er die vegane Kochschule Aubergine. 2023 kam die Wolferie hinzu, eine Käserei, in der er gemeinsam mit Erika Sewing vegane Käse-Alternativen aus Blumenkohl und Cashewnüssen herstellt.
„Über den Geschmack kann man Menschen anders erreichen“, sagt Reuter. Das Knowhow über die vegane Küche eignete er sich selbst an und verfeinerte es durch Kurse in Asien sowie England. „Eine vegane Kochausbildung wird nirgendwo angeboten. Die weltweit erste vegetarisch-vegane Kochlehre gibt es erst seit Kurzem in Österreich“, berichtet Reuter. Sein Wissen gibt er weiter: Über 1500 Menschen haben seine Kochschule bereits besucht. Ein bis zwei Kurse finden pro Woche in der Eventlocation Cook & Live im Freiburger Industriegebiet Nord oder der Lokation auf dem Güterbahnhofareal statt. Privatleute und viele Firmen nehmen daran teil. Beim Thai-Menü stehen beispielsweise Tom-Kha-Suppe, Gemüse-Curry mit selbstgemachter Currypaste, Umami-Tofu, Som-Tam-Salat und Blitz-Fruchteis auf dem Menüplan. Bei Kombikursen vermittelt die Freiburger Ernährungsberaterin Renate Hook vor dem Kochen das Grundlagenwissen für eine gesunde pflanzliche Ernährung. „Viele staunen, wie aromatisch vegane Gerichte schmecken“, erzählt Reuter. Missionieren wolle er nicht, inspirieren schon.
Gewinn, nicht Verzicht
Der Freiburger Fitnesstrainer und Ernährungsberater Matthias Türk teilt diesen Ansatz: „Es muss nicht jeder Mensch vegan oder vegetarisch leben, aber der Fleischkonsum wird weltweit deutlich sinken müssen, wenn wir die Weltbevölkerung langfristig und nachhaltig ernähren wollen.“ Das fordert auch die EAT-Lancet-Kommission, der 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen wie Humanmedizin, Agrarwissenschaft, Politikwissenschaft und Klimaforschung angehören. Ihr Ziel ist eine gesunde Ernährung für die Weltbevölkerung bei gleichzeitigem Umweltschutz. Um das zu erreichen, hat die Kommission 2019 die Planetary Health Diet präsentiert. Demnach müsste der Konsum von Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen ungefähr verdoppelt werden, der Verzehr von Fleisch und Zucker dagegen halbiert.

Matthias Türk ernährt sich seit rund zwei Jahren vegan, zuvor lange vegetarisch. „Ich bin fleischlastig aufgewachsen. Meine Großeltern hatten einen kleinen Hof im Westerwald mit Rinderzucht. Ich habe die Tiere immer gefüttert und fand es jedes Mal grauenvoll, wenn wieder ein Tier vom Schlachter abgeholt wurde“, erinnert sich der promovierte Geophysiker und ergänzt: „Je mehr man sich mit dem Thema Tierleid in der Fleischindustrie beschäftigt, umso mehr Argumente findet man für einen Verzicht auf tierische Produkte“. Zusammen mit seiner Frau Bianca Blum und zwei Freunden gründete er 2021 Sin Carne Schwarzwald. Wie Wolfang Reuter betreiben auch Türk und Blum ihr Start-up im Nebenerwerb. Bianca Blum, promovierte Volkswirtin, arbeitet am Institut für nachhaltige Ernährungswissenschaft der Uni Freiburg. Er arbeitet beim Waldkircher Sensortechniker Sick als Produktmanager.
„Vegan ist in der öffentlichen Wahrnehmung noch unterrepräsentiert und oft mit Vorurteilen behaftet.“ Matthias Türk
In ihrer Umkircher Manufaktur produzieren sie Zwiebelrostbraten, Hackbraten, Rollbraten, Sauerbraten, Gulasch, Geschnetzeltes, Döner oder Schnitzel – alles pflanzenbasiert. Bei den Namen kitzelt doch eher bei den Fleischfreunden der Gaumen? „Ja, sie wollen wir mit den Produkten auch ansprechen und zeigen, dass es hochwertige vegane Alternativen zu den Fleischklassikern gibt, die sich leicht in den Küchenalltag integrieren lassen und zum jeweiligen Konzept eines Betriebes passen“, antwortet Matthias Türk und betont, dass keine Geschmacksverstärker, Stabilisatoren oder Emulgatoren zum Einsatz kommen. Hauptzutaten sind Weizenprotein, Hülsenfrüchte und Gewürze. Die Bächle-Bulette enthält etwa Gemüsebrühe, Weizenprotein, Zwiebel, Rapsöl, Paniermehl- und Kichererbsenmehl, sowie Gewürze. Die Produkte gehen vorwiegend an die Gastronomie – vom Imbiss bis zur Spitzenküche. Daneben bietet Sin Carne Schwarzwald auch Gastronomieberatung und veganes Catering an.
Kleine Zielgruppe, wachsender Markt
Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, wurden 2024 hierzulande 1,5 Kilogramm Fleischersatzprodukte wie Veggieburger, Tofuwurst oder Seitanmortadella pro Kopf produziert. Das entspricht 126.500 Tonnen, vier Prozent mehr als 2023. Der Wert dieser Produkte stieg mit rund 647 Millionen Euro im Jahr 2024 um fast elf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Zum Vergleich wurden 2024 Fleisch und Fleischerzeugnisse im Wert von rund 44 Milliarden Euro in Deutschland hergestellt, ein Rückgang von rund einem Prozent gegenüber 2023.
„Über den Geschmack kann man Menschen anders erreichen.“ Wolfgang Reuter
Aus Sicht von Matthias Türk und Wolfgang Reuter sollten sich diese Relationen langfristig umkehren. Sie wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher informieren und neugierig auf vegane Lebensmittel machen. Gemeinsam mit weiteren Akteurinnen und Akteuren gründeten sie deshalb 2023 den Verein Vegan Freiburg, der inzwischen 30 Mitglieder zählt. Eine erste Aktion war im vergangenen Jahr das Vegan Festival auf dem Platz der Alten Synagoge mit 24 Ständen und über 1000 Gästen. „Vegan ist in der öffentlichen Wahrnehmung noch unterrepräsentiert und oft mit Vorurteilen behaftet“, sagt Türk.
Der Verein klärt zudem über potenzielle Fallstricke auf: Vegan heißt nicht automatisch gesund. „Man muss wissen, wo pflanzliche Proteine, Fette und Vitamine herkommen“, erklärt er. Auf der Vereinswebseite gibt es eine Karte mit Lokalen, die veganes Essen mitanbieten wie: Heartcafé in Burkheim, Bruggaa in Oberried, Gasthaus Bürgerstüble in St. Peter, Adelhaus, Omas Küche oder Café Auszeit in Freiburg. Rein vegane Restaurants oder Läden hatten es bislang schwer. Der Verein listet nur den Katzentempel in Freiburg auf, der zu einer bundesweiten Kette gehört. Freiburgs erster veganer Supermarkt Venoi schloss nach 17 Monaten vor etwa einem Jahr wieder. Nur 14 Monate war das vegane Restaurant Blattwerk im Rieselfeld in Betrieb. „Die Zielgruppe ist noch klein, und das Personal ohnehin knapp“, sagt Reuter dazu. Er ist jedoch überzeugt davon, dass der Verein mit öffentlichen Veranstaltungen wie dem Vegan Festival bei vielen Menschen ein echtes Interesse an der veganen Lebensweise wecken kann.