Heimat ist ein ambivalenter Begriff: Einerseits von reaktionären Kräften gerne missbraucht, dient er andererseits dazu, vermeintlich verstaubten Gegenden wie dem Schwarzwald ein modernes Image zu geben. Eine Annäherung an ein spezifisch deutsches Wort und seine Bedeutungen.
Text: Susanne Maerz
Im Englischen ist es einfach: Das Home – sweet home – ist das Zuhause und zugleich das Heim. Mit Hometown bezeichnet man den Wohnort genauso wie die Heimatstadt. Im Französischen gibt es le pays d’origine, das Herkunftsland, und le pays natal, das Geburtsland, nicht aber eine Extrabezeichnung für das Heimatland. Im Deutschen, einer manchmal sehr komplexen Sprache, wird zwischen dem Zuhause und der Heimat, dem Herkunfts- und dem Heimatland unterschieden. Häufig sind sie deckungsgleich.
Schaut man sich die vielen Migrations- und Fluchtbewegungen weltweit an, unterscheiden sich Heimat und Zuhause häufig. „Heimatvertriebene“ nannte man in der Bundesrepublik jene etwa acht Millionen Menschen, die Ende des Zweiten Weltkriegs aus den ehemals deutschen Ostgebieten vertrieben wurden und hier eine neue Heimat oder zumindest ein neues Zuhause fanden. Vielen waren sie suspekt, sie galten als Eindringlinge, mit denen in den Nachkriegsjahren das Wenige geteilt werden musste. In der DDR hingegen hießen die etwa vier Millionen Geflüchteten, die sich dort niederließen, wertneutral Umsiedler – der aufgeladene Begriff Heimat war im Sozialismus verpönt. Einen Heimatort brauchte es nicht, Identifikationspunkt war der sozialistische Staat. Der Unterschied zwischen Ost und West zeigt, wie politisch der Begriff der Heimat ist.
Das war nicht immer so. Lange Zeit war Heimat ein neutrales Wort. Bereits im Althochdeutschen, der ältesten schriftlich überlieferten Sprachstufe des Deutschen, die etwa von 750 bis 1050 verwendet wurde, bezeichnete man mit „heimōti“ genauso das Haus wie auch das Dorf, in dem man lebt. Also das Zuhause. Und das blieb lange Zeit so: „Ursprünglich war Heimat ein Begriff aus der Rechtssprache“, schrieb der französisch-deutsche Historiker Étienne François im Jahr 2015. Bis ins 19. Jahrhundert habe der Ort, an dem man sich aufgrund seiner Geburt, Heirat, zur Ausübung eines Gewerbes oder zum Erwerb von Besitz aufhielt, als Heimat gegolten. „Der Besitzlose war ein heimatloser Geselle“, erläuterte François.
Emotional aufgeladen wurde der Begriff der Heimat in der Kulturepoche der Romantik im ausgehenden 18. Jahrhundert. Heimat war nun Sehnsuchtsort – und damit geografisch entkoppelt. Mit der Industrialisierung, in deren Zuge sehr viele Menschen im 19. Jahrhundert ihre dörfliche Heimat verließen, um in den wachsenden, anonymen Städten zu arbeiten, ging indes wieder die Sehnsucht nach dem konkreten Heimatort einher.
In der NS-Ideologie umgedeutet
Die Ideologie der Nationalsozialisten nahm dem Begriff dann gänzlich seine Neutralität: Bezugspunkte für die Heimat waren nun nicht mehr der Herkunftsort, sondern die arische Rasse, das deutsche Volk, die deutsche Nation. Wer laut NS-Ideologie nicht dazugehörte, wurde ausgegrenzt, verfolgt, vertrieben und ermordet. Wie die rund sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens.
Von dieser grausamen Instrumentalisierung hat sich der Begriff nie mehr erholt. Verwendet wurde er gleichwohl nach wie vor: „Die Neue Heimat“ hieß der gewerkschaftseigene größte und bedeutendste, nicht-staatliche Wohnungsbaukonzern im Europa der Nachkriegszeit, der zwischen 1950 und 1980 mehr als 400.000 Wohnungen baute und bis zu seinem Zusammenbruch versuchte, die Vision des Wohnens für alle zu verwirklichen.
Und in der frühen Nachkriegszeit hatten Heimatfilme Konjunktur: „Grün ist die Heide“, „Heimweh nach Dir, mein grünes Tal“, „Aus meiner Waldheimat“ und natürlich die Verfilmung der Operette „Schwarzwaldmädel“ aus dem Jahr 1950. Referenzpunkt war nun häufig eine Region mit ihrer schönen Natur. Kitsch war erlaubt und wahrscheinlich notwendig, um den Heimatbegriff zu entpolitisieren – passend zum Verdrängen der Verbrechen der NS-Zeit.
Im Grundgesetz steht Heimat anders als in der NS-Ideologie nicht als ausgrenzender, sondern als integrierender Begriff festgeschrieben: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“, heißt es in Artikel 3.
Änderung mit Erstarken der neuen Rechten
Heute verwenden wir Heimat in verschiedenen Facetten. Das kann positiv sein, wenn man davon spricht, dass die Norddeutsche, die zum Studieren nach Freiburg gekommen und geblieben ist, Südbaden zu ihrer Wahlheimat gemacht hat. Oder wenn man dies auf eine syrische Familie bezieht, die von Krieg und Verfolgung in ihrer Heimat geflohen ist, hier ein neues Zuhause gefunden hat und sich im besten Falle auch heimisch fühlt. Gleichzeitig schreibt die UN-Flüchtlingshilfe unter dem Slogan „Rückkehr– die bestmögliche Lösung“, wie im Jahr 2023 mehr als eine Million Flüchtlinge und zudem gut fünf Millionen Flüchtlinge „in ihre Heimat“ zurückkehren konnten – Heimat ist hier nicht nur das Land, sondern auch die Heimatregion im eigenen Land.
Doch gerade seit dem Erstarken der neuen Rechten, das mit der großen Zahl neuer Migrantinnen und Migranten, die im Jahr 2015 nach Deutschland kamen, Fahrt aufnahm, wird der Begriff Heimat von dieser wieder vermehrt politisch verwendet – allen voran, um die Geflüchteten auszugrenzen. Beispielhaft dafür steht eine Rede des rechtsextremen AfD-Politikers Björn Höcke im Jahr 2021, in der er den Slogan „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“ skandierte – und damit die seit dem Jahr 2006 strafbare SA-Losung „Alles für Deutschland“ verwendete. In diesen Kontext der reaktionären Verwendung des Heimatbegriffes passt die Umbenennung der von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossenen rechtsextremistischen Partei NPD im Sommer 2023 in „Die Heimat“.
Parallel dazu gab und gibt es in den vergangenen Jahren in der Politik Versuche, den Heimatbegriff nicht den extremen Rechten zu überlassen und zugleich das offenbar vorhandene Bedürfnis vieler Menschen nach Heimat als Identifikationspunkt ernst zu nehmen. Dahingehend kann man jedenfalls das Einrichten von Heimatabteilungen deuten – zunächst in verschiedenen Landesministerien und schließlich unter dem CSU-Politiker Horst Seehofer im Jahr 2018 im Bundesinnenministerium. Heute noch heißt es Bundesministerium des Innern und für Heimat. Ein Ziel Seehofers: Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu schaffen.
Und es ist jetzt auch wieder ein bisschen wie in den 1950er-Jahren. Heimat wird unpolitisch mit Region, Landschaft und Brauchtum verknüpft. Zudem inszeniert die Kunst traditionelle Elemente neu, befreit den Schwarzwald von seinem behäbigen Image, macht ihn hip: Regionale Künstler wie Jochen Scherzinger, Stefan Strumbel und Sebastian Wehrle haben mit ihren Werken dazu beigetragen, das Bollenhutbild zu entstauben und dem Schwarzwald ein modernes Gesicht zu geben. Und zwar, indem sie Trachten wieder salonfähig und die alten Symbole zu Kunst- und Stilobjekten gemacht haben. Gleiches gilt für die Kuckucksuhr-Designerin Selina Haas aus Schonach, den Initiator des Projekts „Kosmos Schwarzwald“ Uwe Baumann und den Offenburger Verleger und Agenturchef Ulf Tietge, dessen Schwarzwald-Magazin mit dem Namen „heimat“ dieser Tage zehnjähriges Bestehen feiert.
Dass dieser Relaunch des Heimatlichen funktioniert und beispielsweise Trachten wieder hip sind, sieht man auf den zahlreichen Oktoberfesten, die es seit einer ganzen Weile in der Region gibt. Oder, wenn zum Laurentiusfest im August junge Menschen in großen Mengen mit Soundbox, Bier und in Tracht auf den Feldberg strömen. „Heimatland!“ mag da manch einer sagen.