Dialekt kann Identitätsmerkmal und regionale Zugehörigkeit bedeuten. Dabei ist er mancherorts auf dem Rückzug. Doch es gibt auch Gegenbewegungen.
Text: Christine Weis
„Ein Lehrer meinte damals zu mir, ich würde Bauernsprache sprechen. So etwas gehöre nicht ans Gymnasium“, erinnert sich Hannes Probst. Für ihn war diese Abwertung als Schüler schwer zu ertragen. Heute sagt der 47-Jährige: „Dialekt hat nichts mit Intellekt zu tun. Wer das behauptet, liegt falsch.“ Probst nennt sich scherzhaft einen „Kosmopoliten am Hochrhein“: Geboren in Waldshut, aufgewachsen in Albbruck, Schulzeit in Wehr sowie in Schopfheim und seine Steuerkanzlei ist in Bad Säckingen. Probst hat das Alemannische nie abgelegt. Mehr noch: Er hat den Dialekt zum Markenzeichen gemacht. Gemeinsam mit seiner Frau Annika Deutsch führt er die AGO-Steuerberatungskanzlei. Sie stammt aus Sachsen-Anhalt und spricht, wie es ihr Nachname zufällig nahelegt Hochdeutsch. Die Kunden können daher zwischen dialektfrei und alemannisch wählen, auch auf der Webseite.

„Dialekt hat nichts mit Intellekt zu tun. Wer das behauptet, liegt falsch.“ Hannes Probst
Als Probst die Kanzlei 2008 übernahm, wollte er sich bewusst von anderen abheben. „Schon das Corporate Design mit der Orange war ungewöhnlich für eine Steuerberatung“, erzählt er. Dann kam ihm eine weitere Idee: Warum nicht auch sprachlich aus der Reihe tanzen? Und so steht zum Beispiel unter dem Menüpunkt „Leischdige“: „Mir beroote Sie bi Ihre Buechhaltig für d Finanze, un de Lohnbuechhaltig, bi allem, was d Stüüre agoht un di Führig vom Betrib.“ Der Heimatdichter Markus Manfred Jung hat die alemannischen Texte für die Webseite verfasst. Jung war Lehrer am Theodor-Heuss-Gymnasium in Schopfheim – jene Schule also, an der Probst einst wegen seines Dialekts gehänselt wurde.
Was als augenzwinkerndes Extra begann, entwickelte sich zum Wettbewerbsvorteil. Kunden aus der Region und der benachbarten Schweiz fühlen sich angesprochen. „Gerade Mandanten aus dem Handwerk oder Mittelstand schätzen es, wenn man ihre Sprache spricht“, sagt Probst. Das Alemannische erleichtere den Einstieg ins Gespräch, es sei eine Vertrauensbasis und Brücke zwischen den Menschen.
Toleranz für Muttersprache
Dialekte schaffen Nähe und Vertrautheit – davon ist auch Friedel Scheer-Nahor überzeugt. Und sie muss es wissen: Denn seit Jahrzehnten erforscht die Germanistin Dialekte und brachte gemeinsam mit Rudolf Post das „Alemannische Wörterbuch“ heraus. Das Werk dokumentiert mit 10.500 Stichwörtern, 12.500 Bedeutungen und 149 Karten die sprachlichen Besonderheiten zwischen Nordschwarzwald, Hochrhein und Bodensee. Außerdem ist Scheer-Nahor Redakteurin bei der Mitgliederzeitschrift „Alemannisch dunkt üs guet“ der Muettersproch-Gsellschaft, einem Verein zur Erhaltung und Förderung des Dialekts, sowie beim „Badischen Wörterbuch“ – dem Langzeitprojekt der Uni Freiburg. „Aktuell sind wir bei den Buchstaben St angekommen“, sagt die 68-Jährige. Badisch und Alemannisch werden häufig synonym verwendet. Badisch ist jedoch ein populärer, nicht-linguistischer Sammelbegriff für die unterschiedlichen Mundarten in der geografischen Region Baden, dazu zählen das Fränkische im Norden sowie Oberrhein-, Hoch – und Bodensee-Alemannisch im Südwesten.

„Damit Dialekte weiterleben und sich verändern, sollten sie nicht konserviert, sondern vor allem praktiziert werden.“ Friedel Scheer-Nahor
„Damit Dialekte weiterleben und sich verändern, sollten sie nicht konserviert, sondern vor allem praktiziert werden“, betont Scheer-Nahor. Das sei wichtig, denn sonst gehe ein wertvolles Kulturgut verloren. „Eifach Alemannisch schwätze, wenn Du’s kannsch“, fordert sie freundlich auf. Die Sprachexpertin weiß um die Hemmungen, Dialekt zu sprechen – besonders im Berufsleben. Umso mehr freut sie sich, wenn auch Unternehmen sich für Mundart stark machen.
So berichtet sie vom Maulburger Messtechnikunternehmen Endress+Hauser, in dessen Mitarbeiterzeitschrift es die Kolumne „Alemannisch für sälli, wo kei Alemanisch schwätze“ gibt. Christoph Stockburger, Communicator Manager bei Endress+Hauser, hatte sie um Unterstützung für die Lautschrift gebeten. In der Kolumne wird jeweils ein Begriff vorgestellt, Beispiele sind ringelegängele (über Umwege), Glucksi (Schluckauf), verschneugt (beim Essen wählerisch) oder Käpsele (schlauer Mensch). Die Begriffe lassen sich nicht eins zu eins übersetzen, denn die Ausdrücke transportieren Denkweisen, sind bildhafter oder verwenden kompakte Formulierungen, wo das Hochdeutsche ausführlicher wird. Jemand, der schneiggig ist, ist nicht nur wählerisch, sondern mäkelt ständig am Essen.
„Kinder sollten in Kita und Schule lernen, dass jede Muttersprache – egal ob Alemannisch oder Arabisch – gleich wertvoll ist.“ Friedel Scheer-Nahor
Für Scheer-Nahor geht es beim Thema Dialekt um Toleranz gegenüber allen Muttersprachen. „Kinder sollten in Kita und Schule lernen, dass jede Muttersprache – egal ob Alemannisch oder Arabisch – gleich wertvoll ist.“ Wer allerdings Daheim nicht mit Dialekt aufwachse, werde es auch später schwer haben, ihn zu lernen. Generell sei er auf dem Rückzug, in ländlichen Gegenden weniger als in Städten wie Freiburg. „Dazu gibt es keine Studie, doch die Erfahrungswerte zeigen es deutlich“, sagt die Sprachwissenschaftlerin.
Sie begrüßt es daher, wenn Prominente wie der ehemalige SC-Freiburg-Trainer Christian Streich selbstverständlich Dialekt sprechen und diesen damit in die Öffentlichkeit tragen. Dem Magazin „Der Spiegel“ gegenüber sagte Streich, dass Dialekt für ihn kein Mittel der Selbstvermarktung sei, sondern der praktischste und ehrlichste Weg, sich verständlich zu machen. Dennoch hätte er sich sprachlich etwas angepasst und spreche nicht mehr ganz das Alemannisch, wie es in seinem Heimatort Eimeldingen im Dreiländereck üblich sei.
KI und Komik
Mittlerweile lernt auch die KI Dialekt: Die virtuelle Sprachassistentin Anna der Sparkasse Offenburg/Ortenau wird derzeit mit alemannischen Ausdrücken trainiert. Laut einem Sprecher soll der Chatbot künftig dialektale Nuancen des Alemannischen verstehen. Vielleicht wird Anna irgendwann nicht nur Fragen wie „Wi hoch isch mi Kontoschdand?“ verstehen, sondern sogar antworten: „Leider, schu widder tiäf im Dischpo.“ In einem launigen Werbeclip der Sparkasse Ortenau/Hanauerland stellt Komiker Cossu bereits den weltweit ersten Geldautomaten, der Dialekt spricht, vor.

„Jeder Dialekt hat für sich einen eigenen Charme.“ Cossu, Komiker
Cossu, mit bürgerlichem Namen Lukas Saier, stammt aus Haslach im Kinzigtal und mit seinen Dialektvideos in den sozialen Medien bekannt. In dieser Ausgabe stellen wir ihn auch in der Rubrik „Auf einen Espresso mit …“ vor. „Jeder Dialekt hat für sich einen eigenen Charme. Das hat ja immer etwas mit der Denkweise der Menschen zu tun. Es geht nicht nur darum, wie ich spreche, sondern auch um den Duktus, und das Vokabular, das die Menschen verwenden. All das hat mit Heimat zu tun und zeichnet eine Gegend aus“, sagt er.
Im Oktober wurde Cossu mit dem ersten Dialektpreis Baden-Württembergs ausgezeichnet. Die Landesregierung hat noch viel vor: Anfang April verabschiedete sie eine umfassende Strategie zur Bewahrung und Stärkung der historischen Dialekte. Dazu gehört auch das Projekt: Mundart in der Schule.
Kleines Mundart-ABC
A | Ackersalat, Ritscherli, Sunnewirbele | Feldsalat |
aranze, ooranze | jemanden anschnauzen | |
B | Bäpper | Aufkleber |
bruttle | sprudeln, brummeln, nörgeln | |
C | Chrisi, Kriëse | Kirsche |
chnüsle | stöbern, herumsuchen | |
D | Dummis, Kratzete | zerstoßener Pfannkuchen |
dättele, gäckele | spielen | |
E | Eiertotsch | Rührei |
ehnder | eher, wahrscheinlich | |
F | Fegnescht, Fäägnescht | unruhige Person |
fuchsig | wütend, knauserig | |
G | Goschehobel | Mundharmonika |
geiße, goaße | herumhüpfen | |
H | Hafedatze | Topflappen |
huddle | überhastet | |
I | Itze | Dreck |
iberzwerch | eigensinnig | |
J | Jumpfer | Jungfrau |
jelimol | hie und da | |
K | Krutseckel | Frosch, kleiner Mensch |
klefere | lärmen, toben | |
L | Lappe | Tuch |
lätz, letz | links | |
M | Muggetätscher | Fliegenklatsche |
meglig | möglich, machbar | |
N | Nescht | Vogelnest, Bett, Haarknoten |
nimmi | nicht mehr, nicht länger | |
O | Ofeschlupfer | Gugelhupf |
ochse | schwer arbeiten | |
P | Plotzer | Aufprall, Kuchen mit Kirschen |
pappe, päppe | kleben | |
Q | Queri | quere Richtung |
quorkse | husten, quaken | |
R | Ranftete | Brotrinde |
rosse | sich wild gebärden | |
S | Schlappe | gequemer Hausschuh |
schweife | fegen, kehren | |
T | Tschobe | Jacke |
trämpele | unsicher gehen, drängen | |
U | Unterlibli | Unterhemd |
usbäfffzge | ausspotten | |
V | Vertleider | Überdruss, Ekel |
verbämperle | vergeuden | |
W | Welschkorn | Mais |
wadle | sich herumschlagen, durch die Gegend ziehen | |
Z | Zeine | Korb |
zämme | zusammen | |