Die Weine heißen „Famose Schose“ oder „Bis in die Puppen“ – und klingen eher nach City Nightlife als nach Kaiserstuhl: Winzerin Bettina Schumann kommt aus Berlin. In ihrem Weingut in Königschaffhausen, das sie zusammen mit Melanie Panitzke führt, macht sie seit zehn Jahren Weine mit Schuhdesign.
Text: Christine Weis • Fotos: Alex Dietrich
Auf der Hauptstraße von Königschaffhausen ist an diesem sonnigen Dienstagnachmittag Mitte März einiges los. Autos, Traktoren, Lieferwagen, Camper, Fahrräder schieben sich durch das lange Winzerdorf am nördlichen Kaiserstuhl. Direkt bei der einzigen Fußgängerampel an der viel befahrenen Straße liegt das Weinhaus Bettina Schumann. Quasi der Haltepunkt für Weinfreunde. Wer ein klassisches Weingeschäft erwartet, wird überrascht: Denn die kleine Vinothek wirkt eher wie eine hippe Wohnzimmerbar im Vintage-Stil.
Doch bevor wir hineingehen, zeigt uns Schumann, wo die Weine gekeltert werden. Zwischen der Vinothek und dem Nachbarhaus geht es eine schmale Gasse entlang und durch eine unscheinbare Tür in der Mauer. Dahinter öffnet sich ein weitläufiger Innenhof. Mehrere Gebäude gruppieren sich um eine breite Einfahrt, von der aus man in die Weinberge und hinauf zum Endinger Hausberg mit der Katharinen-Kapelle auf dem Gipfel sieht. „Schön, nicht wahr?“, sagt Schumann.
An einem der Gebäude prangt noch der alte Schriftzug St. Katharinen-Kellerei. Früher füllte hier das Pfälzer Handelsunternehmen Pieroth Weine ab, bevor Bettina Schumann 2015 mit ihrem Betrieb einzog. Die 8000 Quadratmeter waren viel zu groß für die damalige Einzelkämpferin. Doch der Verpächter sei flexibel gewesen, heute teilen sich mehrere Mieter das Areal, darunter eine Stadtmarketingagentur und eine Eismanufaktur.
„Der Kaiserstuhl ist wirtschaftlich relevant, weil er national wie international eine eingeführte Marke ist.“ – Bettina Schumann

Einen Teil der vorhandenen Kellereitechnik konnte Schumann übernehmen. Pumpen, Schläuche, Presse hat sie zugekauft. Eigene Weinberge hingegen besitzt sie nicht. Die Trauben von ausgewählten Lagen liefern ihr Winzer aus Königschaffhausen und den Nachbargemeinden. Mit allen hat sie Verträge abgeschlossen und einen Kriterienkatalog vereinbart, der die Qualität der Trauben garantiert. „Bei uns gibt es keine einfachen Einstiegsweine“, sagt Schumann. „Sondern feine, strukturierte Essensbegleiter. Weine, bei denen du nach dem ersten Glas sagst: bitte noch ein Glas.“ 70.000 Flaschen produziert das Weingut im Jahr. Abnehmer sind hauptsächlich die gehobene Gastronomie und der Fachhandel. Inzwischen exportieren sie auch nach Belgien, Dänemark, Holland, Schweden oder in die Schweiz.
Im Keller reihen sich Edelstahltanks an Eichenholzfässer. Dazwischen ein auffälliges graues ovales Gebilde. „Das ist ein Betonei“, erklärt die Winzerin. In den 50er- und 60er-Jahren sei das eine gängige Alternative zum Holzfass gewesen. Erst mit dem Siegeszug der Edelstahltanks geriet es aus der Mode. Zu Unrecht, findet Schumann, denn das Betonei sorgt für gleichmäßigen Sauerstoffaustausch und stabile Temperaturen. Gerade reift ein Weißburgunder im Ei. Der ungefilterte und kaum geschwefelte Wein wird im Sommer abgefüllt und heißt Bagalut, was Schiffshalunke bedeutet.
Zum Putzen muss man komplett ins Betonei hineinklettern, das sei mühsam und beengend. „Überhaupt“, sagt Schumann, „besteht meine Arbeit zu 80 Prozent aus Putzen, denn Sauberkeit ist neben der Qualität der Trauben die Voraussetzung für einen guten Wein.“


Vin Santo statt Bravo
Doch wie wird eine Berlinerin Winzerin? „Ich war zwölf und mit meinen Eltern in den Ferien auf einem Weingut in der Toskana“, erinnert sich Schumann. „Eines Abends schenkte der Wirt Vin Santo aus, einen über 90 Jahre alten Süßwein. Ich durfte probieren und war fasziniert: Wie kann so etwas Altes so gut schmecken?“ Während ihre Freunde die Bravo lasen, verschlang sie den Feinschmecker und andere Gourmetzeitschriften. Mit 16 lernte sie einen Weinhändler kennen, der ihr zu einem Weinbaustudium an der Hochschule im hessischen Geisenheim riet.
Warum ist sie dann ausgerechnet an den Kaiserstuhl gekommen? „Das war Zufall“, sagt sie. In Geisenheim lernte sie Hermann Dörflinger kennen, einen Winzer aus dem Markgräflerland. Die beiden lebten zusammen in einer WG. Er zeigte ihr eine Stellenanzeige als Betriebsleitung beim Weingut Zimmerlin in Bötzingen. Schumann bekam den Job und blieb sieben Jahre. Dann wollte sie ihr eigenes Projekt starten. Und zwar am Kaiserstuhl, denn hier wachsen die Rebsorten, die sie mag: Weißburgunder, Grauburgunder, Spätburgunder, Chardonnay. „Außerdem ist der Kaiserstuhl auch wirtschaftlich relevant, weil er national wie international eine eingeführte Marke ist“, erläutert die Winzerin. Auch privat hat sie längst Wurzeln geschlagen: „Die Region ist wunderschön, das Essen fantastisch, Frankreich nah, und die Leute haben eine Mentalität, die mir gefällt. Man arbeitet hart, weiß aber auch, das Leben zu genießen.“

Design mit Absatz
Schumanns Sortiment ist klein, aber präzise komponiert. Jeder Wein hat seinen eigenen Charakter, einen besonderen Namen im Berliner Slang und einen roten oder goldenen Schuh als Markenzeichen. Die Etiketten zeigen das jeweilige Modell von Pumps bis Stiefel. Der Weißburgunder „Bis in die Puppen“ trägt einen Schnürstiefel, „Haute Volaute“ (Berliner Ausdruck für eine feine Gesellschaft) eine Stiefelette mit Pelz. „Ich wollte kein klassisches Label, sondern eines, das auffällt und im Gedächtnis hängenbleibt“, sagt Schumann. Der Gengenbacher Designer André Riehle hat ihre Idee grafisch umgesetzt. Originell ist auch die Verpackung in Form eines Schuhkartons.

„Die Leute sollen sich wohlfühlen, ins Gespräch kommen, Musik hören, Wein probieren, Spaß haben.“ – Melanie Panitzke
Ein Wein tanzt schuhlos aus der Reihe: Badisch Rotgold. Kein Berliner Sprachwitz, kein Schuh auf dem Etikett. Stattdessen: zwei Frauen im Jugendstil-Look, eine blond, eine rothaarig. Sie stehen für Grauburgunder und Spätburgunder. Badisch Rotgold sei ein regionaler Klassiker, den Schumann wiederbelebt. „Wir haben ihn aus dem Dornröschenschlaf geholt“, sagt sie.
2018 ist Bettina Schumanns Ehefrau Melanie Panitzke in den Betrieb miteingestiegen. Die 42-Jährige stammt aus Nordenham an der Nordsee und lebte zuletzt lange in Köln, bevor sie ihrer Frau an den Kaiserstuhl folgte. Sie ist erfahrene Gastronomin und Sommelière. Neben der Arbeit im Keller organisiert sie Weinproben und managt den Vertrieb.


Gemeinsam haben die beiden 2023 ihre Vinothek eingerichtet, einen Ort, der wenig mit herkömmlichen Weinverkaufsstellen gemein hat. Keine Theke, keine mit Flaschen gefüllten Regalreihen. Stattdessen: Sofa, Tisch mit Stühlen, Sitzecke, Kunst an den Wänden, Musikanlage und Schallplatten von BAP bis Kate Bush. „Die Leute sollen sich wohlfühlen, ins Gespräch kommen, Musik hören, Wein probieren, Spaß haben“, sagt Panitzke und ergänzt: „Eine Theke ist etwas Trennendes, die Distanz schafft, deshalb gibt es keine, denn wir wollen niemanden einfach abfertigen.“
Seit vergangenem Jahr verstärkt Joachim Bumen das Team. Der Winzer aus Kiechlinsbergen hat ebenfalls in Geisenheim studiert und hat neben Weinbau-Know-how auch Edelbrand-Expertise. Mit dem 26-jährigen Kaiserstühler hat sich das Sortiment daher um die Obstbrände Schwarze Kirsche und Williams Birne erweitert – klassische Namen, aber auf den Etiketten leuchten rote Schuhe.
