Wirtschaft und Sport haben viele Parallelen jenseits von Sponsoring und Werbung. Unternehmen schätzen die Eigenschaften von Sportprofis, die Volkswirtschaft profitiert von einer agilen Bevölkerung und der Tourismus vom Fitnesstrend. Ein sportlicher Rundumschlag.
Text: Kathrin Ermert
Im Sommer surfen, im Winter snowboarden, ansonsten ins Fitnessstudio und ab und an ins Stadion: Viele Menschen beschäftigten sich aktiv wie passiv in ihrer Freizeit mit Sport. Er ist damit ein relevanter Wirtschaftsfaktor. Für Sportausrüstung und -bekleidung, Eintrittsgelder zu Sportveranstaltungen und anderem sportbezogenen Konsum gaben die Deutschen 2022 rund 75 Milliarden Euro aus. Insgesamt trägt Sport rund zwei Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und gibt rund 1,2 Millionen Menschen Arbeit, das sind gut zweieinhalb Prozent der Beschäftigten. Diese Zahlen hat das sogenannte Sportsatellitenkonto des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISP) Anfang des Jahres veröffentlicht.
„Bewegungsmangel kostet Deutschland jährlich rund 2,2 Milliarden Euro.“ – Sportsatellitenkonto
Abgesehen von den mit ihm verbundenen Umsätzen hat Sport eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung. Denn je fitter und somit gesünder die Menschen sind, desto weniger Behandlungskosten verursachen sie. Sport gilt als Wunderpille zur Vorbeugung und Behandlung vieler häufiger Leiden wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Demenz. Er ist wirkungsvoller und sicherer als die meisten Medikamente. Im Umkehrschluss hat körperliche Inaktivität negative Konsequenzen: Wer sich zu wenig bewegt, riskiert, früher zu sterben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jährlich eine Millionen Menschen in Europa an den Folgen von Bewegungsmangel sterben, das entspricht zehn Prozent aller Todesfälle. Zudem führt mangelnde Bewegung zu vielen Lebensjahren mit eingeschränkter gesundheitlicher Lebensqualität. Damit gehen Behandlungs- sowie Rehabilitationskosten und Produktivitätsverluste einher. Laut einer BISP-Studie kostet Bewegungsmangel Deutschland jährlich rund 2,2 Milliarden Euro.
Systematisch und planbar
Aber was ist Sport eigentlich: Bewegung, Fitness oder Wettbewerb? Von der Freiburger Innenstadt zum Sportinstitut der Uni radeln, dort die Treppe in den dritten Stock hochsteigen zum Interview mit Urs Granacher – ist das schon Sport? Nein, sagt der Professor für Sportwissenschaft und Leiter der Abteilung Trainings- und Bewegungswissenschaft. Das sei körperliche Aktivität, bei der die Muskulatur Energie braucht. Von Sport spricht Granacher, wenn zwei Attribute zutreffen: systematisch und planbar. Wenn man also ein Ziel verfolgt und darauf hintrainiert. Im Spitzensport ist das die Optimierung der Leistung und der Wettkampferfolg. Im Freizeitsport können eine bessere Fitness, Wohlbefinden, gesundheitliche oder ästhetische Gründe die Ziele sein.
„Wer hohe Türme bauen will, muss lange am Fundament verweilen.“ – Urs Granacher
Urs Granacher hat selbst viele Jahre sportliche Ziele verfolgt, ist mehrfacher Deutscher Jugendmeister im Judo und hat es bis zum schwarzen Gurt geschafft. Der 52-Jährige stammt aus Waldshut-Tiengen, studierte und promovierte am Freiburger Sportinstitut, arbeitete viele Jahre an der Uni Potsdam, ehe er 2022 nach Südbaden zurückkehrte und den Lehrstuhl seines Doktorvaters Albert Gollhofer übernahm. Laut Granachers Definition ist also nicht jede alltagsmotorische Bewegung Sport. Umgekehrt beinhaltet Sport nicht zwingend körperliche Bewegung, wie zum Beispiel Motorsport, Schach oder E-Sports. Dennoch erfüllen diese Disziplinen die Kriterien Systematik und Planbarkeit des Trainings, um erfolgreich zu sein. Zudem müssen Rennfahrer beispielsweise ihre Nacken- und Schultermuskulatur trainieren, um den starken Fliehkräften bei großen Geschwindigkeiten standzuhalten, und die hohe Konzentration bei Schach oder E-Sports sollte geschult werden, dabei kann körperliches Training unterstützen.
Entsprechend den jeweiligen Zielen unterscheiden sich Trainingspläne sehr von einer Disziplin zur anderen. „Jede Sportart hat ihr eigenes konditionelles Anforderungsprofil und unterschiedliche Anforderungen, um Leistung zu bringen“, sagt Granacher. Im Leistungssport stünden jene Fitnesskomponenten im Fokus, die unmittelbar die sportliche Leistung in der jeweiligen Disziplin beeinflussen. Überspitzt gesagt braucht es im Gewichtheben Kraft, im Sprint Schnelligkeit, beim Marathon Ausdauer. Der Nachwuchs sollte laut Granacher aber zunächst ein breites Fundament an körperlicher Fitness aufbauen und erst dann sportartspezifisch trainieren – nach dem Motto: Wer hohe Türme bauen will, muss lange am Fundament verweilen. Denn dann sei das Verletzungsrisiko geringer und die Aussicht auf Erfolg größer.
Auf Input folgt Output
Leistung, Disziplin, Ausdauer: Eigenschaften, die erfolgreiche Sportprofis auszeichnen, gefallen auch Führungskräften in der Wirtschaft. Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass sich allein im Juli drei Veranstaltungen in der Region mit den Parallelen zwischen Spitzensport und Wirtschaft beschäftigten.
„Vier Stunden gemeinsame Rückfahrt nach einem null zu vier – dann ist es fast wieder gut.“ – Nils Petersen
Beim Praxistreff Innovation des Energieversorgers Naturenergie plaudert Vorstand Daniel Schölderle in der Lounge des Europa-Park-Stadions mit Nils Petersen über Motivation. Im Stadion vor 30.000 Menschen sei das kein Problem, erzählt der ehemalige Fußballprofi „Die Leute gehen bis Mittwoch gern zur Arbeit, wenn wir am Samstag gewinnen.“ Schwieriger sei Motivation im Alltag und gelinge besser mit Gleichgesinnten. Wie es im Team auch einfacher sei, Niederlagen zu verarbeiten, sagt Petersen: „Vier Stunden gemeinsame Rückfahrt nach einem null zu vier – dann ist es fast wieder gut.“
Durch den Leistungssport wisse er, dass auf viel Input irgendwann auch Output folgt, berichtet Petersen. Früher ging es um sportliche Spitzenleistung. Nun hat der Ex-Fußballer offensichtlich das Sprechen trainiert. Er weiß um seine Wirkung, setzt sicher seine Pointen. Es ist klar: Das macht er nicht zum ersten Mal. Reden ist jetzt Teil seines Jobs. „Als inzwischen erfahrener Keynote-Speaker hat Nils Petersen verschiedene Themen im Repertoire“, steht auf seiner Webseite. Selbstführung, Respekt, Vertrauen, Verantwortung, Fairness, Teamgeist, Erfolg, Motivation und Kollegialität gehören zu seinem Repertoire. Das braucht er auch bei seinem Job als RTL-Experte für die Europa League. Außerdem hat er in Talkshows und bei Signierstunden viel über sein Buch „Bank-Geheimnis“ gesprochen, das er – unterstützt von einem Co-Autor – kurz nach dem Ende seiner Profizeit veröffentlichte.
Vom Sport in die Wirtschaft
Ortswechsel. Im Experience Center der Schneeweiss-Gruppe in Kippenheim findet im Juli zum vierten Mal die Badische Innovationskonferenz statt mit ehemaligen Rennrad- und Handballprofis. Gastgeber Alexander Gut war selbst Radprofi und gründete während des Studiums die Initiative „Racing Students“, die Rennradelnden parallel zum Hochleistungssport eine Berufsausbildung und Kontakte zur Wirtschaft ermöglichen will. Seit 2011 arbeitet Gut bei der Schneeweiss-Gruppe in Kippenheim, die auf Objekt- und Sondermöbel spezialisiert ist und circa 300 Mitarbeitende beschäftigt.
„Wenn ich die Wahl habe, würde ich immer einen Sportler einstellen.“ Alexander Gut, Schneeweiss-Gruppe
Wie Kontakte zwischen Sport und Wirtschaft funktionieren, zeigt die Innovationskonferenz. Die organisiert Alexander Gut gemeinsam mit seinem ehemaligen Radkollegen Christian Emrich, der demnächst die Leitung der Freiburger Berufsfeuerwehr übernimmt, ein Buch über strategische Entscheidungen geschrieben hat und Unternehmen hierin berät. Emrich wiederum spielte zudem viele Jahre Handball und kennt aus dieser Zeit Pirmin Bender, der die Ettenheimer Finanzberatung GFA leitet. Auch unter den Gästen sind Sportler wie der Ex-Handballnationalspieler Jens Schöngart, der auf dem Podium über seinen Weg vom Profisport in die Wirtschaftswelt berichtet.
Der 2,03-Meter-Hüne, der seine Karriere bei der SG Köndringen/Teningen begann, leitet heute beim schwäbischen Werkzeughersteller OSG die Sparte Dental+Medical. Schöngarth wusste schon in seiner aktiven Zeit, dass er nach dem Sport in die Wirtschaft möchte. Er studierte nebenher BWL und ging nach Lissabon, um eine weitere Sprache zu lernen, erzählt er in Kippenheim. 2023 beendete er seine Profikarriere und startete kurz drauf bei OSG. Das Unternehmen war Sponsor von einem seiner Vereine. In seinem neuen Job kommen ihm die sportlichen Erfahrungen zugute, vor allem die Erkenntnisse, die zum Erfolg führten, sagt er. Zum Beispiel: „Man schafft alles, wenn man intrinsisch motiviert ist.“ Diese Einstellung und Fähigkeit zu fokussieren, schätzt Schneeweiss-Chef Alexander Gut. „Wenn ich die Wahl habe, würde ich immer einen Sportler einstellen“, sagt er
Umgang mit Sieg und Niederlage
Um solche Verbindungen zu fördern, arbeitet der Olympia Stützpunkt Freiburg (OSP) nun mit der Freiburger Unternehmensberatung Personalmanufaktur und dem Innovationszentrum Baden Campus aus Breisach zusammen. Beim ersten Treffen Mitte Juli geht es um Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Umgang mit Sieg und Niederlage. Ein Sieg sei nicht zwingend ein Erfolg, ebenso wie eine Niederlage nicht immer einem Rückschlag gleichkomme, sagt Zsuzsanna Zimanyi, die als Sportpsychologhin am OSP arbeitet: „Die Analyse des Ergebnisses bewertet das Ergebnis selbst.“ Scheitern könne auch ein Moment angenehmer Klarheit sein, umgekehrt auf einen Erfolg eine Leere folgen.
„Haltet bei Bewerbungen nicht mit euren Leistungen hinterm Berg. Die Disziplin, Resilienz und Leistungsbereitschaft aus dem Sport sind auch im Job superwichtig.“ – Kai Klappdor, Diveo Energy
Das bedeutet: Wer sich nicht ausschließlich über Erfolge im Sport oder Job definiert und Ausgleich etwa in der Familie oder bei Freunden findet, kann Rückschläge besser verarbeiten. Dabei hilft der Olympiastützpunkt, der seine Hauptaufgabe darin sieht, den etwa 240 Aktiven, die er betreut, eine duale Karriere zu ermöglichen. Ein Ziel der Beratung sei es, beim Menschsein zu unterstützen, erklärt Zimanyi. Die psychologischen Themen – Durchhaltevermögen, Druck, Scheitern – gleichen denen in der Wirtschaft. Kai Klappdor, Geschäftsführer der auf Agri-PV spezialisierten Firma Diveo, der auf dem Podium mit der Ringerin Elena Brugger, dem ehemaligen Skispringer Martin Schmitt und der Recyada-Gründerin Vivian Loftin über diese Gemeinsamkeiten spricht, appelliert an Sportlerinnen und Sportler: „Haltet bei Bewerbungen nicht mit euren Leistungen hinterm Berg. Die Disziplin, Resilienz und Leistungsbereitschaft aus dem Sport sind auch im Job superwichtig.“
Wandern und Biken im Schwarzwald
Der Erfolg von Sportlern wie Martin Schmitt nutzte auch dem Schwarzwald, wie ohnehin der Wintersport den Tourismus in den Bergen prägte. Die Wintersaison verliert zwar in jüngster Zeit mangels Schnees an Bedeutung, doch die Sportindustrie hat das klassische Wandern dank modernem Equipment aufgepeppt und andere Trends initiiert, von denen der Schwarzwald profitiert. „Das Gravel Bike ist für uns ein Segen“, sagt Hansjörg Mair, Geschäftsführer der Schwarzwald Tourismus GmbH (STG). Denn dafür sind die breiten Wanderwege, wie es sie im Schwarzwald gibt, ideal. Mountainbikes und Downhill-Trails mögen medial dominieren, doch die Mehrheit der Gäste sind laut Mair Genussradler auf dem E-Bike.
„Das Gravel Bike ist für uns ein Segen.“ – Hansjörg Mair, Schwarzwald Tourismus
Reisende suchten die Abwechslung oder „Multioptionalität“, wie es der Touristiker nennt: Radeln, Wandern, Wellness, Genuss, Kultur. Gerade die Generation Z, die zu Mairs Freude den Schwarzwald entdeckt, schätze die Auswahl. Passender Botschafter der STG ist der Parkour- und Freerunning-Profi Andy Haug. Als „Schwarzwaldathlet“ stellt er in Videoclips Sportlerinnen und Sportler aus der Region vor wie das Kletterpaar Daniela und Robert Jasper, die ehemalige SC-Freiburg-Kapitänin Hasret Kayikci oder den Triathleten Maurice Clavel.
Unbezahlte Werbung für den Schwarzwald hat die spanische Fußballnationalmannschaft der Herren gemacht, die vergangenes Jahr während der Europameisterschaft ihr Lager im Öschberghof aufschlug und einen Monat blieb, weil sie das Turnier gewannen. „So etwas merken wir“, sagt Mair. Die STG registriert steigende Übernachtungszahlen spanischer Gäste – auch weil der Trend infolge des Klimawandels zur „Coolication“ geht: Abkühlung im Schwarzwald.