Sie sitzen fast den ganzen Tag im Gurt am Seil, bohren Löcher, setzen Anker und befestigen Netze an brüchigen Steinhängen: Die Kletterer der Firma Alpina sichern Felsen, damit der Verkehr darunter gefahrlos rollen kann. Besuch auf der Baustelle am Feldbergpass.
Text: Christine Weis • Fotos: Alex Dietrich
Ende August, 10 Uhr, Feldbergpass: Es regnet in Strömen, Nebelschwaden steigen aus dem Wald, der Wind pfeift, das Thermometer zeigt 14 Grad. Für die acht Kletterer der Firma Alpina aus Waldkirch ist Feierabend. Zu den ohnehin widrigen Bedingungen sind schwere Gewitter angekündigt. Drei Stunden haben sie da schon im Seil am Felsen gearbeitet. „Wir brechen für heute ab. Die Sicherheit der eigenen Leute geht vor“, sagt Frank Baumann und ergänzt: „Wir sorgen dafür, dass niemand durch Steinschlag verletzt wird. Aber unser eigenes Risiko müssen wir dabei zuerst im Blick haben.“
Der 61-Jährige ist Oberbauleiter bei Alpina, trägt die Verantwortung für das Projekt und führt an diesem Morgen durch die Baustelle auf 1200 Metern Höhe. Die B317 ist auf einem Abschnitt von rund 150 Metern zwischen Feldbergpass und Fahl gesperrt, der Verkehr läuft einspurig mit Ampelschaltung. Unterhalb der zerklüfteten Felswand, die zwischen 20 und 50 Meter hoch ist, stehen Hubsteiger-Arbeitsbühnen, Bohr-LKW mit Bohrlafette, Hydraulikaggregat, Kompressoren, Materialcontainer und Baustoffmaterial wie Zement bereit.
Im Seil am Hang

„Die Männer sind fast den ganzen Tag im Seil, bohren Löcher, setzen Anker, verpressen sie mit Zementsuspension und befestigen Stahlseilnetze“, erklärt Baumann. Vieles ist Handarbeit. Weil die Baustelle im Naturschutzgebiet liegt, müssen die Arbeiten zwischen Juli und Dezember stattfinden, abgestimmt auf die Brutzeit bestimmter Vogelarten. „Wir verarbeiten zertifizierte Materialien, alles wird dokumentiert und geprüft“, betont Baumann. Regelmäßige Gefährdungsbeurteilungen sind Pflicht und werden für jedes Bauvorhaben neu eingeschätzt und erstellt.
An der Felskante wurden zuerst bis zu drei Meter hohe Steinschlagschutzzäune montiert. Sie fangen herabfallende Felsbrocken von oberen Schichten ab und schützen zugleich die Arbeiter unterhalb. Jeder Hang sei anders, jede Steinwand verhalte sich anders. „Das ist es, was unsere Arbeit spannend, aber auch herausfordernd macht“, sagt der Bauleiter. Bevor es überhaupt losgehen kann, müssen Zuwegungen ins Gelände geschaffen werden, oft mit Hilfe von ortskundigen Landwirten und Förstern. Nicht selten kommen auch Hubschrauber zum Einsatz.
Zwölf Mitarbeiter beschäftigt Alpina, dazu zählen neben den acht Kletterern auch Maschinen- und Bauführer. Peter Rambach hat das Unternehmen 1975 gegründet. Der Bergführer und Felsmechaniker aus Waldkirch ist Anfang des Jahres im Alter von 77 Jahren gestorben. Frank Baumann erinnert sich an ihn als charismatischen naturbegeisterten Menschen. Die Zukunft von Alpina habe er von langer Hand vorbereitet. 2013 übernahm Sebastian Pingel das Unternehmen samt der gesamten Belegschaft. Der Bergingenieur ist zudem Gesellschafter der Sachtleben Mining Services GmbH (SMS) in Wolfach.

„Wir sorgen dafür, dass niemand durch Steinschlag verletzt wird. Aber unser eigenes Risiko müssen wir dabei zuerst im Blick haben.“ – Frank Baumann
SMS mit seinen 40 Mitarbeitenden ging 2009 aus der traditionsreichen Sachtleben Bergbau GmbH hervor und ist breiter aufgestellt als Alpina. Unter anderem erstellt, sichert und saniert SMS untertägige Hohlräume im Tunnel-, Stollen- und Bergbau, führt Böschungssicherungsmaßnahmen mit Steinschlagschutzzäunen und Übersetzungen sowie über- und untertägige Sprengarbeiten durch. Rund 15 Prozent der Einsätze betreffen Hangsicherungen entlang von Bahnstrecken. Während SMS mit schwerem Gerät anrückt, ergänzt Alpina die Arbeiten im felsigen Gelände mit Seilklettertechnik. Mitbewerber kommen aus den Alpenländern Österreich und Schweiz, in der Region sei Alpina aber einzigartig, sagt Frank Baumann. „Hangrutsche, Blockschläge, Felsstürze: von solchen Katastrophen leben wir, so hart das klingt.“ Die Auftraggeber sind Land, Bund, Kommunen und Ingenieurbüros. Das Einsatzgebiet ist der Schwarzwald.




Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit
Anfang September am Feldbergpass: Diesmal spielt das Wetter mit, die Arbeiten laufen auf Hochtouren. An einem Teilstück montieren die Männer die Stahlnetze. Während einer die Enden zweier Netzbahnen mit Klammern verknüpft, zieht sein Kollege nebendran die Muttern der Anker mit dem Pressluftschlagschlüssel fest. Einige Meter weiter rattert der Sennebogen: Der gigantische Arm der Maschine reicht 30 Meter hoch und bohrt bis zu acht Meter tiefe Löcher in den Stein.
„Das Netz muss sich wie eine zweite Haut über den Felsen legen“, erklärt Nico Steinke. Er ist Vorabeiter und koordiniert die Abläufe. Vor 13 Jahren kam er aus Leipzig in den Schwarzwald. Damals arbeitete er noch als Trockenbaumonteur im Wohnungsbau. Eigentlich war er nur zum Urlaub hier, doch in dieser Zeit lernte er einen Alpina-Mitarbeiter kennen. Der zeigte ihm Fotos seiner Einsätze in der Felssicherung. „Mir war sofort klar: Das will ich auch machen“, erinnert sich der heute 40-Jährige. Zwei Wochen später hatte er alles geregelt, kam mit einer einzigen Reisetasche nach Südbaden – und blieb.

„Das Netz muss sich wie eine zweite Haut über den Felsen legen.“ – Nico Steinke
Mit Klettern hatte er zuvor nichts zu tun. Bei Alpina lernte er den Beruf von Grund auf: alle Scheine des Industriekletterers bis hin zur Teamführung. Eine klassische Ausbildung gibt es nicht, vieles eignet man sich über Lehrgänge und Erfahrung an. Die meisten seiner Kollegen sind seit Jahren dabei, viele seit Jahrzehnten. Gregor Schuler zum Beispiel, 57 Jahre alt, arbeitet seit fast dreißig Jahren im Seil. „Er ist topfit“, sagt Steinke. „Man kann den Job lange ausüben. Vieles ist Technik, nicht nur Kraft.“
Sechs Stunden am Stück im Seil sind erlaubt, so lange dauert es aber selten. Meist steigen die Männer für Pausen aus. Nur bei extremen Höhen wie am Hirschsprung im Höllental lohnt sich der Abstieg nicht. „Dann machen wir auch mal im Gurt Mittagspause“, erzählt Steinke. Ist der Beruf gefährlich? „Ja, das ist er“, sagt er. „Aber wir haben eine sehr geringe Unfallrate. Wir achten aufeinander, das Vieraugenprinzip gilt immer: beim Anlegen des Gurts, beim Befestigen des Seils oder beim Wechseln von Gestängen.“ Gerade Routine könne tückisch sein. Zudem gelte immer der Grundsatz: „Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit.“