Kinos überleben im ländlichen Raum trotz Streaming im Wohnzimmer und Multiplexcentern in größeren Städten. Das liegt an engagierten Cineasten wie der Familie Winterhalder vom Krone-Theater in Neustadt und dem Verein „Kommunales Kino Kandern“.
Text: Christine Weis
Dienstagvormittag, Mitte August, in Neustadt im Hochschwarzwald. Im Krone-Theater am Hirschenbuckel ist trotz Schwimmbadwetter Hochbetrieb. Eine Horde Grundschüler stürmt nach der Vorstellung von „Die Schlümpfe“ aus dem großen Saal ins Foyer. Die Szene passt zur Antwort auf die Frage, warum Leopold Winterhalder und seine Bekannte Myriam Spang 1999 das Kino übernommen haben. „Wir hatten beide kleine Kinder, wollten ins Kino, aber es lief selten ein Familienfilm“, erinnert er sich. Ein Wink des Schicksals: Noch bevor sie die Inhaberin Christel Scherer darauf ansprechen konnten, erzählte sie, dass sie das Kino schließen werde. „Da haben wir kurzerhand beschlossen, es zu übernehmen. Dabei hatten wir keine Ahnung vom Kinogeschäft“, sagt Leopold Winterhalder. Myriam Spang war anfangs noch mit dabei, ab 2002 machte er alleine weiter. Der heute 64-Jährige war Buchhändler und managte das Kino zunächst nebenberuflich. „Es war viel Arbeit, ich musste mich in alles einarbeiten – von der Projektortechnik bis zur Popcornmaschine.“ Auf der Berlinale, den Festivals in Leipzig oder Locarno knüpfte er schon bald wertvolle Branchenkontakte.
„Neustadt ohne Kino, das kann ich mir nicht vorstellen.“ – Sophia Winterhalder, Kinobetreiberin
Jetzt tritt Tochter Sophia in seine Fußstapfen. Seit Juli ist die 28-jährige ausgebildete Erzieherin als Geschäftsführerin und Inhaberin hauptberuflich mit eingestiegen. Wie kam es dazu? „Ich wollte das schon immer machen.“ Sie und ihre zwei älteren Brüder seien in dem Kino aufgewachsen. „Neustadt ohne Kino, das kann ich mir nicht vorstellen.“
Die Zukunft des Hauses stand jedoch kurz auf der Kippe. Die Besitzer der Immobilie, eine Erbengemeinschaft, wollten das Gebäude 2023 veräußern. Der ursprüngliche Preis war für die Winterhalders zu hoch. Nachdem sich kein Käufer fand, konnte schließlich doch Sophias Ehemann Stephen Winterhalder das Krone-Theater erwerben – den Kaufpreis nennt die Familie nicht. Stephen Winterhalder arbeitet als Polizist, im Teenageralter jobbte er im Kino, verkaufte Tickets und Popcorn und lernte dabei auch Sophia kennen.
Das ist nicht die einzige Liebesgeschichte, die sich im Krone-Theater jenseits der Leinwand abgespielt hat. Einmal drehte ein Mann seinen Heiratsantrag als Kurzfilm und ließ ihn als Werbeclip vor der Vorstellung laufen. Zu sehen war, wie er beim Juwelier in Neustadt einen Ring kaufte, im Blumengeschäft Rosen holte und dann zum Kino lief. Seine Partnerin, die im Publikum saß, begriff schließlich die Botschaft des Filmchens – und da kam er schon durch die Saaltür auf sie zu, und sie sagte ja.


Von Arthouse bis Abomodell
Die Betreiberfamilie muss in den kommenden Jahren einiges ins Kino investieren: Heizung, Lüftung, Elektrik, Soundsystem, barrierefreie Toiletten. „Wirtschaftlich ist es keine einfache Zeit“, sagt Leopold Winterhalder. Die Coronajahre hätten sie mit Hilfen von Land und Bund überstanden. 2023 sei das Geschäft noch verhalten gewesen. Doch inzwischen kommen wieder mehr Besucherinnen und Besucher: 28.000 waren es im vergangenen Jahr, vor der Pandemie lag der Schnitt bei 33.000. Das laufende Jahr sei zufriedenstellend gestartet. Und die Komödie „Das Kanu des Manitu“ von Bully Herbig werde ein Publikumsliebling. „Bully holt uns aus dem üblichen Sommerloch“, da ist sich Leopold Winterhalder sicher.
„Bully holt uns aus dem üblichen Sommerloch.“ – Leopold Winterhalder, Kinobetreiber
Neben dem Programm von Mainstream bis Arthouse finden regelmäßig Konzerte, Lesungen, Comedy, Poetry Slams, Schulkinowoche und Filmgespräche statt. Immer wieder sind Regisseurinnen und Regisseure und auch Filmcrews zu Gast. Das ist einer der Gründe, warum sich das Krone-Theater über die Jahre hinweg einen Namen erarbeitet hat und mehrfach mit Kinopreisen des Landes Baden-Württemberg sowie des Bundes ausgezeichnet wurde.
Das Publikum sei dankbar, die Resonanz aus dem Ort gut. „Doch leicht ist es nicht in Zeiten von Netflix und Co., die Menschen und gerade auch Jugendliche ins Kino zu locken“, sagt Leopold Winterhalder. Er hoffe, dass seine Tochter mit neuen Ideen und dem Gespür für den Geschmack der jungen Generation frischen Wind ins Kino bringt. Sophia Winterhalder selbst ist „optimistisch, dass die Kinder, die heute die Schlümpfe gesehen haben, auch als Teenager und Erwachsene wiederkommen“.
Kinokultur in Kandern
Der Ort ist filmreif: Kommt man ins Foyer des Kommunalen Kinos im Ortskern von Kandern, fühlt man sich wie auf einer Zeitreise in die Fünfzigerjahre: Nierentische, Cocktailsessel, Polsterhocker, Vitrine mit Schrankuhr, Stehlampen. Nicht auf alt getrimmt, sondern original. Bei der Eröffnung im Jahr 1956 flimmerte der Heimatfilm „Ja, ja, die Liebe in Tirol“ über die Leinwand. Das Kino hieß noch Blumenlichtspiele, benannt nach dem Gasthaus nebenan, betrieben wurde es von der Familie Leonhard, die zudem Bäckerei, Bauernhof und Laden bewirtschaftete.
Nachdem die Gründer 1970 aufhörten, blieben die Lichter kurzzeitig aus. Drei Jahre später übernahm Werner Karg, später sein Sohn Michael Karg, der auch in Müllheim, Neuenburg und Buggingen Kinos hat. In den Neunzigerjahren drohte den Blumenlichtspielen das Aus, das Gebäude sollte zugunsten eines Straßenbauprojekts weichen. Die Kanderner Bürgerschaft protestierte und verhinderte den Abriss. Karg verkaufte das Gebäude an die Stadt, zeigte aber noch bis 2006 Filme dort. Mittlerweile ist der Innenraum des Kinos denkmalgeschützt. Die Stadt vermietet es an den Verein „Kommunales Kino Kandern“, der seit 2008 den Spielbetrieb regelt.


Es gibt ein buntes Angebot: bis zu fünf Vorstellungen in der Woche – vom Familienfilm, über Musikfilme bis zu dem „besonderen Film“ mit aktuellen gesellschaftskritischen Themen. Hinzu kommen Kindernachmittage, Open-Air Filme in der Kanderner Blueskneipe ChaBah sowie Konzerte im Kinosaal, sofern die Leinwand eine Rolle spielt. Am 16. November verbinden sich Musik und Bild: Schlagzeuger und Saxophonisten des Basler Sinfonieorchesters spielen live, dazu laufen Projektionen des Schweizer Künstlers Christophe Hohler.
Das alles stemmen in der Hauptsache Ehrenamtliche. Drei Filmvorführer und eine Kassiererin sind in Teilzeit beschäftigt. „Anders als etwa das Breisacher Kino schaffen wir es nicht komplett mit Freiwilligen“ sagt Judita Kovac. Die 40-jährige Architektin ist seit zwei Jahren Vorsitzende des Vereins. Sie ist im Austausch mit anderen Aktiven, die ebenfalls in der Region als Verein organisiert kleine Kinos betreiben, wie eben dem Verein „Kommunales Kino Breisach“.
Erlebnis mit Gefühlsverstärker
„Das Kino hat die VHS-Kassette und Corona überlebt. Auch Streamingdienste wird es überleben“, ist Judita Kovac überzeugt. Sie sei selbst erstaunt gewesen, als sie vor acht Jahren nach Kandern zog, dass es in dem Ort mit gerade mal 4500 Einwohnern ein Kino gibt.
Knapp über 9000 Besucherinnen und Besucher kamen im vergangenen Jahr. Dass sie die Filme meist erst mehrere Wochen nach dem Bundesstart bekommen, sei ein Nachteil. Der Kassenschlager 2025 war indes die Schweizer Komödie „Bon Schuur Ticino“, die in Kandern als einzigem deutschen Kino gezeigt wurde. „Aufgrund unserer Nähe zur Schweiz, hat der Verleih eine Ausnahme gemacht“, sagt Kovac. Der Film handelt von einer fiktiven Volksinitiative, die Französisch zur alleinigen offiziellen schweizerischen Landessprache erklärt. „Es gibt auch viele, die eigens aus Müllheim, Freiburg oder Basel wegen des nostalgischen Ambientes anreisen oder weil sie einen Film verpasst hätten und er hier noch einmal läuft“, sagt die Vorständin.
„Das Kino hat die VHS-Kassette und Corona überlebt. Auch Streamingdienste wird es überleben.“ Judita Kovac, Vorständin Kommunales Kino Kandern
Das Kino finanziert sich durch Gelder von der Stadt, die Landesfilmförderung, Vermietungen, lokale Kinowerbung, Getränkeverkauf, Spenden und Mitgliedsbeiträge. Aktuell hat der Verein 230 Mitglieder. „Die Einnahmen reichen gerade so, dass wir keine roten Zahlen schreiben, zuletzt blieb ein Plus von rund 3000 Euro“, bilanziert Judita Kovac. Alles in allem sei es herausfordernd, berichtet die Vorständin. Der Projektor muss bald für 50.000 Euro ersetzt werden. Dennoch sollen die Eintrittspreise weiter moderat bleiben. Acht Euro kostet ein Ticket für Erwachsene, Kinder zahlen fünf Euro.
Für Judita Kovac geht es nicht ums Geschäft. „Der Aufwand lohnt sich, denn wir wollen einen Ort haben, an dem Menschen zusammenkommen und Kinder dann auch mal ohne Handy was erleben“, sagt sie. Was ist das Besondere am Kino? „Für mich ist es ein Erlebnis und ein Gefühlsverstärker, denn man teilt mit einem Raum voller Menschen dieselben Emotionen“, antwortet Kovac. Und sie ist zuversichtlich, dass es das noch lange in Kandern geben wird. Den Optimismus belegt sie mit Zahlen: Im ersten Quartal 2025 kamen bereits 3500 Kinofans. Im Herbst laufe mit dem neuen Pumuckl-Film ein Garant für die Kinokasse. Er startet in Kandern zeitgleich mit den großen Kinos.