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Auf einen Espresso mit Nils Petersen

  • 28. November 2025
Petersen
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Seit seinem Abschied vom Profifußball im Jahr 2023 ist er vielfach unterwegs: als TV-Experte und Co-Kommentator, Keynote­speaker, Zeitungs­kolumnist, Podcaster – und Kreisligaspieler. Beim Kaffee im Café Ambrosia spricht er über Dorfplätze, Zweifel und das ewige Jokerglück.

Text: Julia Donáth-Kneer • Fotos: Bartosz Bem

„Eigentlich dachte ich, ich bleibe auch nach dem Karriereende beim SC“, sagt Nils Petersen beim Gespräch im Café Ambrosia in Freiburg-Littenweiler, einen Steinwurf vom Dreisamstadion entfernt.  Inzwischen geht er nur noch als Fan ins Stadion. Sein Zitat „Früher hab‘ ich 80 Minuten zugeguckt, heute 90“ wurde zum Fußballspruch des Jahres 2025 gekürt. Seit dieser Saison läuft der Bundesligarekordjoker bei der zweiten Mannschaft der SF Oberried in der Kreisliga auf. Seine Bilanz kann sich sehen lassen: zehn Tore in vier Spielen. „Es macht mir Spaß, den einstigen Bundesligaspieler mal aufblitzen zu lassen – sonst würde ich mich ja zum Obst machen“, sagt er jetzt. Petersen will spielen, er will sich anstrengen – hat keine Lust, sich auf dem Dorfplatz abkochen zu lassen. „Ich nehme das hier ernst. Das glaubt mir keiner, aber ich bin angespannt und nervös, genauso ehrgeizig wie früher und will jede Minute spielen. Und jetzt darf ich das ja auch“, sagt er und lacht. Geld bekommt hier keiner, auch ein Ex-Profi nicht. „Im Gegenteil – ich muss eher Geld mitbringen“. Bei jedem Doppel- oder Dreierpack sei ein Kasten Bier fällig – „mittlerweile bin ich im Minus“, scherzt Petersen.

Kaffee gibt es, Eis nicht. Petersen lebt sehr bewusst: Er ist Veganer, treibt sechsmal die Woche Sport, trinkt keinen Alkohol. Nur von den Zigaretten kann er nicht endgültig die Finger lassen.

Inzwischen sei er viel selbstbewusster. „In der Bundesliga war ich immer ein Zweifler, ich musste mir über Erfolgserlebnisse, über erzielte Tore, über das Feedback der Fans mein Selbstbewusstsein holen.“ Die Zweifel begleiteten ihn ein ganzes Profileben lang. Im Fußballinternat in Jena, in dem der Junge aus Wernigerode ausgebildet wurde, hing ein Spruch an der Wand: „Wer denkt, etwas erreicht zu haben, hört auf zu lernen“. Das habe etwas mit ihm gemacht. „Du liest das jeden Tag und denkst: nicht nachlassen, nicht zufrieden sein“, sagt Petersen. „Und ich war nie zufrieden, ich war immer hungrig.“

„Natürlich war ich enttäuscht, wenn mir der Trainer am Mittwoch sagte, dass ich am Wochenende nicht spiele. Aber ich habe mir dann gesagt: ,Du wirst halt später gebraucht‘. Es ist alles eine Frage der Perspektive.“ – Nils Petersen

Ein Leben der Rastlosigkeit, das erst in Freiburg den Herzschlag normalisieren konnte. „Bei Bayern München war ich fehl am Platz, da waren die Zweifel zu groß, da konnte ich nie ankommen“, sagt er. Beim Sport-Club hingegen stellte sich schnell das Gefühl ein, gebraucht zu werden. „Das haben mir alle vermittelt: Mitspieler, Trainer, die Fans“, erinnert sich der 36-Jährige, dem immer das Herz höher hüpft, wenn er Leute mit seinem Namen auf dem Trikot ins Stadion laufen sieht. „Deswegen bin ich hiergeblieben. Auch wenn ich fünfzehnmal hintereinander nicht getroffen habe, hat man mich gemocht. Das ist etwas Besonderes – vor allem im Neidgeschäft Fußball.“ Und das Jokersein? Zehrt das nicht an den Nerven von jemandem, der sich ohnehin mit Selbstzweifeln plagt? „Fußballer sind Diven. Da sitzen 30 in der Kabine und 19 davon stehen nicht in der Startelf“, sagt Nils Petersen. „Natürlich war ich enttäuscht, wenn mir der Trainer am Mittwoch sagte, dass ich am Wochenende nicht spiele. Aber ich habe mir dann gesagt: ,Du wirst halt später gebraucht‘. Es ist alles eine Frage der Perspektive.“

Dass er heute so aufgeräumt über seine Gefühle sprechen kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Nach Karriereende macht er mit dem Buch „Bank-Geheimnis“ seine Probleme mit Depressionen und Angstzuständen öffentlich. Er holte sich psychologische Hilfe und trainierte mit der Disziplin eines Leistungssportlers seine mentale Gesundheit – mit Erfolg. Atemübungen, Meditation, Yoga, Selbstreflektion. „Jeden Tag das Maximum aus sich rausholen, das kann auch zu viel sein, aber ich bin es gewöhnt, dranzubleiben und an mir selbst zu arbeiten“, erzählt er. Seine Frau sage inzwischen, er sei so entspannt wie nie zuvor und auch er selbst fühlt sich gut. „Ich habe so viel aufgearbeitet, dass ich fast schon dankbar bin, dass ich so eine Phase hatte.“ Die Therapie sei vorbei, die Tür stünde aber offen. „Das ist wie beim SC“, sagt Petersen. „Wenn wir verloren haben, wussten wir: Wer down ist, muss zu den Basics zurück. Das mache ich jetzt genauso.“

Nach seinem Lieblingstor gefragt, nennt Nils Petersen den Treffer zum 1:2 gegen Stuttgart im Jahr 2018. „Die meisten denken, es sei das 40-Meter-Tor gegen den BVB, aber es ist der Lupfer gegen Stuttgart.“ Und natürlich das zweite Tor in seinem Abschiedsspiel am 20. Mai 2023. „Das hat nicht gezählt, aber ich dachte trotzdem kurz: Ach, vielleicht sollte ich doch noch nicht aufhören?“

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