Es heißt zwar „Amerika, du hast es besser“, aber ob’s stimmt? Seit es den Spruch gibt, wird er ebenso angezweifelt. Wenngleich doch so einiges über jeden Zweifel erhaben ist: James Dean, Rockbands, koffeinhaltige Brause, New York, Grand Canyon – und BBQ. Wobei letzteres auch kein Alleinstellungsmerkmal mehr ist. Schauen wir nach Lahr in der südlichen Ortenau. Dort gibt es die zarteste Versuchung, seit es Fleisch gibt.
Text und Fotos: Pascal Cames
Der graubärtige Robert Wagner, man verwechselt ihn gerne mit einem Biker, macht in der Wirtschaft Guller die Megawellen in Sachen BBQ. Keine zwei Jahre ist der Mann im Geschäft und schon läuft es so rund als hätte er BBQ erfunden. Er begrüßt Kundschaft aus ganz Deutschland, dazu aus Österreich und der Schweiz. Seit Mitte April läuft auf Joyn die TV-Serie „Texas BBQ Legends“ mit Wagner als Experten, der sich durch Texas probiert. Mehr als 90.000 Follower auf Instagram wollen wissen, wie BBQ geht, wie man BBQ-Soßen macht und was er über Ozzy Osborne denkt.
Der Lahrer Wonder Boy Robert Wagner, Jahrgang 1976, stammt aus der südlichen Ortenau und ist von Haus aus Diplom Ingenieur mit Spezialgebiet Verbrennungsmotor. Sein kulinarischer It-place heißt Guller. Dieser Fleischtempel war ganz früher eine Bierbeitz, die jeder kannte. Dann ging es gastronomisch drunter und drüber, bis Robert Wagner vor knapp zwei Jahren mit seinem Konzept auftauchte. Dieses ist, um auf seinen Beruf anzuspielen, nichts anbrennen zu lassen. Die Fleischstücke werden auf niedriger Temperatur geräuchert. Auf den Grill gelegt wird nix. Das ist BBQ. Dafür braucht er Unmengen Holz, Fleisch, Leute (zehn sind festangestellt, weitere zehn als Aushilfen) – und Gäste, damit es sich rentiert. Es läuft alles sehr gut. Aber der Reihe nach.
Zielgruppe: Männer zwischen 18 und 45
Als Diplom Ingenieur war Wagner bei Porsche, Audi und Daimler und kam vor Jahren zurück, um sich mit Familie in seiner Heimat zu installieren. Zuletzt arbeitete er in Bühl bei der LUK (heute Schaeffler) und bei einem Lahrer Start-up. BBQ war nur eine private Leidenschaft, und er beherrschte es so gut, dass er immer wieder von Freunden und dann von Freunden von Freunden gefragt wurde, ob er das auch für die tun könnte. Dann kam ihm die Idee, sich selbstständig zu machen. „Alle haben mich gewarnt“, sagt er und zitiert „wer nichts wird, wird Wirt“. Aber natürlich stimmt das nicht. Natürlich weiß er, dass die Gastro kein Selbstläufer mehr ist. Die Leute geben nicht mehr so viel Geld aus, seit die Inflation alles verteuert hat. Trotzdem hat er’s gewagt. „Ich liebe Zahlen“, sagt Wagner. „Wer die Zahlen nicht kennt, wird scheitern.“ Natürlich kann er mit Zahlen, kann sich besser Telefonnummern merken als Namen. Natürlich kennt er seine Zielgruppe: „Männer zwischen 18 und 45, keine Frauen, keine Veganer.“ Und: Alle sind auf Social Media unterwegs.
Mehr als eine Million Euro Umsatz
Businessplan? Nein, sagt er zuerst, dann aber doch ja. Die Speisekarte stand von Anfang an. Zwischendurch hatte er als Zugabe noch mit amerikanischer Pizza probiert, aber die kam nicht so gut an. Da es sich rentieren muss, hat er es wieder gelassen. Und es rentiert sich! 2024 machte Wagner einen Umsatz von mehr als einer Million Euro, wie er verrät. Und das obwohl anfangs freitags nicht geöffnet war und es den offenen Donnerstag erst seit Oktober 2024 gibt. Seine Gäste legen eine durchschnittliche Fahrtstrecke von 165 Kilometern zurück, sagt er. Woher er das weiß? Das kann er von den Reservierungen ablesen. Der Guller ist immer auf acht Wochen ausgebucht, jetzt wo auch die Terrasse mit insgesamt 160 Plätzen zur Verfügung steht, entspannt sich die Lage. Wer an einem sonnigen Donnerstag vorbeischaut, wird wahrscheinlich einen Platz bekommen. Kellner Ryk meint zum Hype nur: „Langweilig soll’s nicht werden.“




Das Geheimnis des Erfolgs ist natürlich das Essen, aber auch die Propaganda. „Am Anfang war kein Lahrer da“, erinnert sich Robert Wagner. Mittlerweile hört man auch badische Gäste babbeln. Da er voll auf Social Media setzt, kamen die Gäste gleich von weit her. Auch wenn vegetarisch und vegan ein Trend sind, der Gegentrend ist mindestens genauso groß. Die Mitarbeiter findet er über denselben Weg. Von diesen erwartet er etwas: Spaß an der Freude beziehungsweise am Arbeiten. „Erfolg ist harte Arbeit, sagt er. „Du kannst hart arbeiten und keinen Erfolg haben, aber andersherum geht es nicht.“ Work-Life-Balance verstehe er gar nicht“, sagt er etwas verwundert. Wenn man einem 90-Jährigen Autofahren mit Automatik erklären würde, wäre die Reaktion nicht viel anders.
Deutsche Eiche und Rind aus Kansas
Aber digital hat er’s drauf. Sein Plan ist es, im Guller das Bargeld abzuschaffen. Überhaupt ist Wagner der digitalen Welt aufgeschlossen. Darum arbeitet er mit Apps, die auswerten, was eine Servicekraft an Umsatz macht. „Servicekräfte sind nicht nur Wohlfühlexperten, sondern auch Verkäufer von neuen Produkten,“ sagt er. Damit meint er zum Beispiel Desserts wie die hausgemachten Zimtschnecken. Hier gibt es ja Möglichkeiten. Warum verkauft einer mehr Desserts und der andere weniger? Robert Wagner geht es dabei nicht um Kontrolle, sondern um mehr Umsatz. Also werden die Leute geschult, damit es auch hier klappt.
Als Ingenieur sieht er es wissenschaftlich. Wenn er ein Brisket, eine Stück Rinderbrust, räuchert, braucht er bestimmte Temperaturen. Aber Hitze ist nicht gleich Hitze und jedes Holz anders. „Ich arbeite nur mit unperfekten Produkten und Zutaten“, sagt er, denn „jedes Holz und jedes Stück Fleisch ist anders.“ Das Ziel trotzdem die Perfektion. Beim Holz setzt er auf deutsche Eiche. Buchenholz hätte zwar die bessere Hitze, aber wenn eine Rinderbrust mehr als zehn Stunden im Rauch liegt, würde sie dann bitter schmecken. Die Eiche bringt Vanille- und Schokoladenaromen ins Fleisch, sagt Robert Wagner. (Tatsächlich ist das ein bekannter Effekt beim Barrique.) Schweine- und Truthahnfleisch bezieht er regional, das Rindfleisch stammt aus Kansas, weil dort Rinderrasse und Aufzucht nach seinem Geschmack sind.
Ganz unaufgeregt schaut Wagner seinen Leuten zu, wie sie Berge von Fleisch, rotglänzende Rippchen, kräftige Soßen, sogar mit Spätburgundergeschmack, gerupfte Fleischfasern (Pulled Pork), Truthahnscheiben und perfekt gegarte Rinderbrust – die würde wohl auch mit Meerrettichsoße schmecken – hinaustragen. In einer anderen Zeit hätte man das Schlachtplatte genannt. Oder wie es schon Johannes Lafer sagte: Alles unter 300 Gramm ist ein Carpaccio. Eine Vierpersonenplatte kommt auf 2,5 Kilo, nochmal so viel wiegen die Beilagen mit Pommes, Coleslaw (Krautsalat), Gurkensalat und Toastbrot. Dass hier mehr besser ist und besser mehr (weil‘s schmeckt), ist gelebte Philosophie. Woher hat er eigentlich seine Inspiration fürs BBQ? „Aus dem Fernsehen“, sagt Wagner. Du musst nicht nach Amerika, Amerika ist überall, sogar in Lahr.