Nina Hartmann nennt es ihre Lebensaufgabe, Frauen zu mehr Mitsprache zu motivieren. Die 53-Jährige selbst ist ein gutes Beispiel: Sie ist Prokuristin beim Versicherungsmakler Südvers in Au und führt die Nepomuk Kinderwelt in Neuenburg. Dazu kommen Posten als Vorsitzende des badischen Landesverbands deutscher Unternehmerinnen (VdU) sowie bei der Vereinigung Badischer Unternehmen und Verbände (VBU).
Interview: Julia Donáth-Kneer
Frau Hartmann, Sie stehen seit vier Jahren an der Spitze des VdU Baden. Aus Ihrer Sicht: Was definiert einen Verband für Frauen?
Nina Hartmann: Der Verband deutscher Unternehmerinnen setzt sich für Gründerinnen und Unternehmerinnen, für mehr weibliche Führungskräfte und allgemein für bessere Bedingungen für Frauen in der Wirtschaft ein. Wir unterstützen sie darin, selbst in Erscheinung zu treten und Verantwortung zu übernehmen. Viel zu häufig leiden Frauen an dem sogenannten Impostor-Syndrom: Sie haben Angst, nicht gut genug zu sein, oder die Rolle, die sie übernehmen, nicht ausfüllen zu können. Daher freue ich mich sehr über die steigende Zahl junger Mitglieder. Das sind Gründerinnen von Start-ups oder Frauen aus Familienunternehmen, die die Nachfolge antreten. Es ist wichtig, diese Frauen zu erreichen, die an der Schwelle zur Unternehmerin stehen. Ich selbst hätte gerne zu Beginn meiner Karriere gewusst, wie wichtig es ist, eigene Netzwerke zu knüpfen. Und wie viele Türen einem die Mitgliedschaft in einem Verband öffnen kann.
Wie haben Sie zum VdU gefunden?
Hartmann: Ich bin seit 2017 beim VdU aktiv und recht schnell in Führungsverantwortung gegangen, weil ich gemerkt habe, wie viel mir der Austausch unter Gleichgesinnten bringt. Ich komme aus der Versicherungsbranche, also aus einer sehr männerdominierten Welt. Durch den VdU habe ich gelernt, dass die weibliche Art des Denkens, Handelns und Entscheidens auch unternehmerisch eine Bereicherung ist. Beim VdU sind viele Branchen vertreten, da gibt es völlig unterschiedliche Frauentypen und so kann jede eine Art Role Model finden. Ganz häufig ist es die Erkenntnis: Ich bin nicht die Einzige, die so denkt.
Sie sind auch Präsidentin der Vereinigung badischer Unternehmen und Verbände (VBU), das ist die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Dachorganisation der südbadischen Wirtschaft. Wie kam es dazu?
Hartmann: Die VBU wurde auf mich wegen meiner Rolle beim VdU aufmerksam. Als die Anfrage kam, war ich skeptisch – typisch weiblich – und habe erst mal nicht zugesagt. Ich meine: Den Verband gibt es seit 70 Jahren und es gab noch nie eine Frau an der Spitze. Jetzt bin ich dankbar, dass ich mich dafür entschieden habe. So knüpfen sich die Netzwerke immer weiter.
Zwei Verbandfunktionen, außerdem Prokuristin bei Südvers sowie Geschäftsführerin der Nepomuks Kinderwelt und dreifache Mutter. Auch Ihr Tag hat nur 24 Stunden. Wie machen Sie das?
Hartmann: Natürlich, auch meine Zeit ist limitiert, aber all diese Rollen sind mir sehr wichtig. Meine Kinder sind größer, mein Mann stärkt mir den Rücken bei all den Funktionen. Es ist eine Frage der Priorisierung. Ich mache diese Dinge und es freut mich sehr, dass es in der Familie akzeptiert ist.
„Frauennetzwerke sind super, um Heimat und eine Form von Rollenidentität zu finden. Die gemischten Netzwerke können wir nutzen, um mit unseren Themen auch außerhalb der eigenen Blase wahrgenommen werden. „
Mit „Sinnplauderei“ haben Sie zudem einen Social-Media-Kanal für Unternehmerinnen und Unternehmer gegründet. Worum geht es dort?
Hartmann: Ich möchte, dass sich Frauen aus Klischees befreien und dem Mittelstand eine Bühne geben. Viele denken: Wenn ich fachlich gut bin, kommt der Erfolg von allein. Das stimmt aber nicht. Fachliches Wissen ist die Basis, aber ohne ein gutes Netzwerk kommst du nicht weiter. Das ist meiner Meinung nach der Hauptfaktor für eine berufliche Karriere und der entscheidende Schlüssel in der Wirtschaftswelt, wenn man wirklich etwas bewirken möchte. Ich kann gar nicht genug betonen, wie hoch man das Netzwerken priorisieren sollte, wie wahnsinnig wichtig es für die eigene Sichtbarkeit, Wirksamkeit und Rollenidentität ist. Deswegen lebe ich das selbst ja auch.
Wie erleben Sie den Unterschied zwischen weiblichen und gemischten Netzwerken?
Hartmann: Frauennetzwerke sind super, um Heimat und eine Form von Rollenidentität zu finden. Die gemischten Netzwerke können wir nutzen, um mit unseren Themen auch außerhalb der eigenen Blase wahrgenommen werden. Beides gibt sich die Hand. Wenn wir Frauen nur unter uns bleiben und uns dabei schön einig sind, werden die Hebel dann doch nur von den Männern bedient. Daher finde ich es wichtig, über die Frauen- in Männernetzwerke reinzukommen und auch dort eine sichtbare Rolle einzunehmen – sei es im Vorstand, in der Presse, auf der Bühne, im Panel.
Netzwerken Frauen denn anders als Männer?
Hartmann: Ich glaube, sie netzwerken viel weniger als Männer. Viele denken, es geht um die Sache allein. Man kommt, um den Vortrag zu hören – und dann kann man eigentlich wieder gehen. Aber das ist nicht so. Man muss dort sein, wo Lobbyarbeit geschieht. Ich erlebe viel zu häufig, dass bei großen Wirtschaftsveranstaltungen kaum Frauen sind. Dabei ist das die Welt, in der es gilt, dicke Bretter zu bohren. Da werden Kontakte geknüpft, Entscheidungen getroffen und bei informellen Gesprächen Denkmuster kreiert. Wenn das immer ohne Frauen stattfindet, geht die weibliche Perspektive verloren. Man muss mitreden und dabei helfen die Frauennetzwerke.
Inwiefern?
Hartmann: Einerseits laden wir dort unsere Akkus wieder auf. Andererseits schaffen wir uns eine Bühne. Mittlerweile haben die meisten verstanden, dass rein männlich besetzte Panels nicht gut ankommen, also fragen sie zum Beispiel bei uns an. Auf diese Weise machen wir unsere Mitglieder sichtbar. Ich plädiere aber dafür, dass Frauen auch in gemischte Netzwerke gehen. In manchen Branchen gibt es fast nur Männer, die sich teilweise seit Jahrzehnten kennen. Da reinzukommen ist extrem schwer. Bis heute ist es so, dass ich bei Gala-Abenden manchmal für die „Ehefrau von“ gehalten werde, dass Menschen gar nicht auf die Idee kommen, dass ich in eigener Funktion da bin. Es gibt noch diese Welt, wo Männer unter sich sind. Ich glaube, man könnte so vieles anders machen, wenn mehr Frauen mitreden würden. Das ist meine Lebensaufgabe: Ich möchte Frauen Mut machen, dass sie etwas zu sagen haben.
Sie engagieren sich auch bei dem Investorinnen- und Gründerinnennetzwerk Encourageventures, das die Sichtbarkeit von Frauen in der Start-up-Welt erhöhen und mehr Vielfalt in die Gründungslandschaft bringen will. Wie gehen Sie vor?
Hartmann: 97 Prozent des Kapitals werden von Männern vergeben. Wir wissen, dass Frauen beim Pitch andere Fragen gestellt bekommen. Wir arbeiten mit den Gründerinnen daran, wie sie ihre Idee an Männer verkaufen können. Frauen ist der Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit oft wichtig, den Geldgebern aber nicht. Überspitzt gesagt: Die wollen einfach nur wissen, ob ein Projekt erfolgreich ist und nicht, ob es die Welt verbessern kann. Andererseits sensibilisieren wir Investoren, dass gemischte Portfolios attraktiv sein können.
Sehen Sie sich als erfolgreiche Unternehmerin und Mutter von drei Söhnen auch als Vorbild für junge Menschen?
Hartmann: Ich habe schon früh verstanden, dass man keine Medaille dafür bekommt, es allen recht zu machen. Das geht auch gar nicht. Bringt Männern und Kindern bei, Dinge selbst zu erledigen – das liegt vielen Frauen nicht, ist aber wichtig. Manchmal frage ich mich: Was würde ich essen, wenn ich nur für mich koche, was würde ich denken, wenn ich nie dabei unterbrochen werde? Diese Gedanken möchte ich nicht verlieren. Ich sehe mich aber nicht als Vorbild, ich bin eine von vielen Möglichkeiten.