Die Art und Weise, wie Menschen einkaufen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren völlig verändert. Wie es dem stationären Einzelhandel geht und welche Marketinginstrumente helfen können, die Innenstädte lebendig zu halten, haben wir uns exemplarisch in Lahr und in Freiburg angesehen.
Text: Julia Donáth-Kneer
Beginnen wir mit einer erstaunlichen Tendenz: In Freiburg scheint der große Leerstand erstmal Geschichte zu sein. Im weitläufigen Areal zwischen Johanneskirche und Europaplatz stehen nur noch vereinzelt Ladenflächen leer, allerdings wechseln Mieter und Nutzung häufig. „Immer wieder sprechen mich Leute an, die für eine Idee, ein Pop-up oder ähnliches eine Örtlichkeit im Innenstadtbereich suchen“, erzählt Carmen Siecke beim Interview Ende Oktober im Fili Café. „Wir können nichts aus dem Hut zaubern. Ich gebe das dann an unsere Mitglieder weiter, damit sie die Augen und Ohren offenhalten.“ Siecke ist Geschäftsführerin der Stadtinitiative Gemeinsam Freiburg und ziemlich zufrieden mit der Entwicklung in ihrer Wahl- und Herzensheimat. „Das kann ja jeder selbst sehen“, sagt sie und zeigt mit ausladenden Bewegungen auf das gut besuchte Café, die trubelige Einkaufsstraße, das Treiben in den Läden rund ums Martinstor. Das sei kein Selbstläufer, aber Siecke findet: „Insgesamt machen wir in Freiburg schon sehr viel richtig“.
Die 51-Jährige gehörte bis zu deren Schließung viele Jahre zum Führungskreis der Kaiser Modehäuser, war verantwortlich für Marketing und Kommunikation. „Ich wollte immer etwas bewegen und habe mich geärgert, wenn ich an die Grenzen des Machbaren gestoßen bin“, sagt sie heute. Daher fühle sie sich in ihrer neuen Aufgabe bei der Stadtinitiative auch so gut aufgehoben. Gerade hat sie die „Echt Freiburg Card“ vorgestellt, die den bisherigen, analogen Freiburg-Gutschein ergänzen und ersetzen soll. „Sie ist zugleich Mitarbeiter- und Cashback-Card sowie in eine App eingebunden“, berichtet Carmen Siecke. Mitmachen können alle: Gastronomie und Hotellerie, Einzelhandel, Dienstleistung, Tourismus, die Grundfinanzierung erfolgt über ein Landesförderprogramm. „Die teilnehmenden Einlösestellen bewerben ihre Aktionen und Veranstaltungen auf der App und Unternehmen verbuchen steuer- und abgabenfreie Zuschüsse direkt. Auf diese Weise werden Guthaben aus verschiedenen Quellen zusammengefasst und als Zahlungsmittel bereitgestellt“, erklärt Siecke das Prinzip. Mit der Echt Freiburg Card sollen zum Beispiel die kleinen, inhabergeführten Betriebe gestärkt werden. „Die Digitalisierung ermöglicht es, das Potenzial, das ja vorhanden ist, auszubauen, um die Innenstadt zukunftsfähig zu gestalten“, sagt Siecke, die derzeit damit beschäftigt ist, die Werbetrommel zu rühren. Ziel sei es, bestehende Angebote zu bündeln und damit neue Impulse für „Kaufkraftbindung, Innenstadtbelebung und lokale Identifikation“ zu setzen.

Bei den Akteurinnen und Akteuren kommt das gut an. „Ich überlege, ob ich meine eigenen Gutscheine überhaupt noch anbiete“, erzählt zum Beispiel Gastronom Filipos Klein, der auch im Vorstand der Stadtinitiative tätig ist. Und Andrea Seeger, Inhaberin der Craftbeer Lodge am Schwabentor, berichtet: „Ich habe den Freiburg-Gutschein bereits in analoger Form und der läuft schon sehr gut. Von der neuen, digitalen Variante erhoffe ich mir viel. Vor allem ist es eine sehr gute Möglichkeit, die Kaufkraft in der Stadt zu halten.“
Lahr: Neueröffnungen haben es schwer
Bei der Einführung schielt Freiburg vor allem nach Lahr. Denn dort gibt es das Produkt bereits seit 2021. Hier wie da wird das System von der Karlsruher Firma Trolleymaker umgesetzt. Die Zahlen in Lahr sind beachtlich: Nach Angaben der Werbegemeinschaft Lahr sind derzeit rund 27.000 Lahr-Cards im Umlauf, monatlich werden zwischen 400 und 500 Mitarbeiterkarten beladen. Der Gesamtumsatz der Aufladungen und Einlösungen summiert sich seit September 2021 auf rund 3,2 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der Umsatz des Freiburg-Gutscheins lag bisher deutlich niedriger, 2024 waren es rund 365.000 Euro bei 12.500 verkauften Gutscheinen.
„Die Karte kommt in Lahr gut an“, bestätigt Michael Schmiederer, Vorstand der Lahrer Werbegemeinschaft. Der 57-Jährige ist geschäftsführender Gesellschafter von insgesamt fünf Textileinzelhandelsunternehmen in Südbaden, dazu gehören die Geschäfte Kilian in Lörrach, Feldmüller Fank in Lahr, Schmiederer in Achern sowie zwei weitere Läden in Offenburg und Bühl.
Schmiederer ist weniger positiv eingestellt als Carmen Siecke, was den Wasserstand und die Zukunft seiner Branche angeht: „Der Einzelhandel ist nichts, was vergnügungssteuerpflichtig ist“, sagt er. Es laufe generell schleppend. Gründe seien die altbekannten – gestiegene Preise, weniger Geld im Portemonnaie. „Die Leute konzentrieren sich auf das, was wirklich wichtig ist“, sagt Schmiederer. „Da bleibt weniger verfügbares Einkommen für die schönen Dinge, die man nicht unbedingt braucht.“ Das merke man in Lahr ebenso wie in vielen anderen Orten.
In der 50.000-Einwohner-Stadt seien Leerstände nach wie vor ein Thema, das auf das Gesamtbild drücke. „Bei fast jeder leerstehenden Immobilie kann man sehen, woran es liegt“, erklärt der Unternehmer. „Entweder ist die Miete zu hoch oder die Immobilie hat sonstige Einschränkungen, die eine Vermietung schwierig machen. Was leer wird, ist schwer neu zu vermieten.“ Neuansiedelungen gebe es kaum, aber Umsiedelungen fänden statt: „Gut laufende Geschäfte ziehen in bessere Lagen oder attraktivere Räumlichkeiten“, berichtet Schmiederer, dem ad hoc kein einziges Beispiel von einer Neueröffnung einfallen will, die sich behaupten konnte.

Der stationäre Einzelhandel stehe wegen verschiedener Faktoren unter Druck, das habe aber nur wenig mit der Konkurrenz aus dem Netz zu tun. „Es wird einfach deutlich weniger konsumiert“, sagt er. Gleichzeitig steigen überall die Kosten. „Die Strukturen sind so nicht mehr zu halten. Vieles bewegt sich in Dimensionen, die heute nicht mehr funktionieren können.“ Er spricht von riesigen Shoppingzentren mit immensen Instandhaltungskosten, von schlecht erreichbaren Einkaufsstraßen und leeren Fußgängerzonen. Es brauche ein Umdenken, neue Anreize und spürbare Entlastungen für die Händler.
Die Konsequenz politischer Versäumnisse
Ähnliches berichtet der Handelsverband Deutschland (HDE): „Der Wirtschaftsstandort Deutschland hat massiv an Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit verloren“, heißt es in seiner Agenda. „Eine jahrelange Stagnation, eine im internationalen Vergleich hohe Kostenbelastung und eine ausufernde Regulierung haben zu einer tiefen Verunsicherung bei Unternehmen und Verbrauchern geführt.“ Diese strukturelle Schwäche manifestiere sich im Einzelhandel besonders deutlich: Der HDE prognostiziert für 2025 lediglich ein preisbereinigtes Umsatzwachstum von 0,5 Prozent, was faktisch eine Fortsetzung der Stagnation bedeutet. Gleichzeitig berichten 71 Prozent der stationären Händler von sinkenden Kundenfrequenzen, und mehr als die Hälfte der Unternehmen erwarten sinkende Erlöse. Das sei nicht nur das Ergebnis einer Konjunkturdelle, sondern auch „die Konsequenz politischer Versäumnisse“.
Aus der Region kommt die gleiche Kritik. Roland Fitterer, Präsident des Handelsverbands Südbaden, sagte bei der Delegiertenversammlung in Freiburg im Sommer dieses Jahres: „Der Druck im Einzelhandel ist so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr.“ Die Frage sei: Lohnt sich das noch? Hat der stationäre Handel überhaupt eine Zukunft? Bei einer Umfrage unter 650 Einzelhändlern berichteten mehr als 50 Prozent von einer Verschlechterung, 60 Prozent erwarten weniger Gewinn als 2024. „Das Geschäftsklima stagniert, das Vertrauen in die Politik schwindet“, fasst Fitterer zusammen. „Berlin hat nicht geliefert und den Ankündigungen keine Taten folgen lassen.“ Dass der Einzelhandel beispielsweise bei der Stromsteuersenkung leer ausging, sei „mehr als eine Enttäuschung. Es ist ein Vertrauensbruch.“
„Der Einzelhandel ist Wirtschaftsfaktor und Begegnungsart und muss als Motor lebendiger Städte erhalten bleiben.“ – Roland Fitterer, Handelsverband Südbaden
Mit rund 280.000 Unternehmen und mehr als drei Millionen Beschäftigten ist der Einzelhandel einer der bedeutendsten Arbeitgeber und die drittgrößte Branche Deutschlands. Die entsprechende Behandlung seitens der Politik fehle jedoch, meint Roland Fitterer. Der Mindestlohn etwa bringe den Einzelhandel an seine Grenze. „Wenn mehr als 40 Prozent Abgabenlast erreicht sind, kommt man an den Punkt, an dem man sagt, dass es untragbar geworden ist“, betont der Präsident. Der stationäre Handel sei mehr als eine Branche. „Er ist Wirtschaftsfaktor und Begegnungsart und muss als Motor lebendiger Städte erhalten bleiben“.
Dass die Zeiten heute anders sind als noch vor ein paar Jahren, bestätigt auch die Optimistin Carmen Siecke: „Bevor sich der Onlinehandel etablierte, war es natürlich für den Einzelhandel deutlich einfacher, Umsatz zu machen. Diese Zeiten sind vorbei. Es knabbern alle. Nichtsdestotrotz sind wir in Freiburg gut aufgestellt.“ Der Einzelhandel habe es auch hier nicht leicht, aber man spüre eine motivierende Belebung. „Wenn ich durch die Stadt gehe und die vielen kleinen, individuellen Läden sehe, bin ich beeindruckt von all dem Herzblut“, schwärmt Siecke. Diesen Punkt betont auch Andrea Seeger von der Craftbeer Logde: „Natürlich ist es wichtig, große Player dabei zu haben. Ich finde, das hat Freiburg super gelöst mit Manufactum, Zara, Zalando Outlet oder Decathlon. Aber das finden wir in vielen Großstädten, teilweise weiß man gar nicht, in welcher Stadt man gerade ist“, sagt sie. „Was den Charme einer Stadt wirklich ausmacht, sind die kleinen Einzelhändler. Für uns ist es umso wichtiger, dass wir uns die Bälle zuschmeißen und gemeinsam dranbleiben.“