Salon, Konzertsaal, Galerie und Betrieb: Es ist eine wahrhaft ausgefallene Kombination, die sich in Denzlingen befindet und „Fuge trifft Fuge“ heißt. Erfunden und geschaffen hat diese Einrichtung Goran Kojic, gelernter Fliesenleger und studierter Jazzpianist.
Text: Joachim Schneider • Fotos: Santiago Fanego
Umringt von den Besuchern und den Bildern der Dauerausstellung sitzt Clara Haberkamp inmitten des Raums am Flügel und hat sichtlich große Freude. Erzählt ein paar Anekdoten über das ein oder andere Stück, erklärt einen Text von früher, beschreibt die Struktur des Ganzen oder singt eine Coverversion von Nina Simone mit ungehörter Leichtigkeit. Eine neue Komposition der aktuellen Preisträgerin des westfälischen Jazzpreises ist aufgebaut wie eine (barocke) Fuge. Zufall? Eher Fügung. Denn dieser ganz spezielle Ort heißt „Fuge trifft Fuge“. Gastgeber und Veranstalter Goran Kojic hat ihn erfunden, und es herrscht eine ganz besondere Atmosphäre, wenn er zum Konzert in seine Räume einlädt, in der Regel sonntags. Familiär geht es zu, das liegt wohl auch daran, dass Kojic selbst Musiker ist. Aber auch Fliesenleger. Mit Leib und Seele. Trotzdem überrascht so ein Dialog, wenn nach einem Jazzkonzert zu hören ist. „Wie fanden Sie das Konzert?“ „Ja, toll und wirklich beeindruckend, doch in nächster Zeit sollten wir uns treffen und die neuen Fliesen aussuchen“.
„Fuge trifft Fuge“, daher der Name. Lateinisch Fuga bedeutet ursprünglich Flucht, auch das passt: „Ohne die Musik könnte ich das Ganze nicht machen, das wäre unmöglich“, sagt Goran Kojic. Andererseits sei er „als Handwerker ein glücklicher Mann. Jeden Tag sehe ich, was ich gemacht habe.“ Erstaunlich, wie viele Parallelen der studierte Jazzpianist und Fliesenleger mit Ausbildungsberechtigung in seinem Tun sieht: „Musik ist sehr komplex, ein Gebäude und das Handwerk sind es auch. Man muss in beiden Disziplinen mehrere Schritte vorausdenken. Und gleichzeitig mehrere Sachen beherrschen. Die Sensibilität in der Musik hilft auch bei anderen Dingen.“ Und weiter: „Die Fliesen verlangen chirurgische Präzision.“ Am liebsten verlegt Kojic große Platten, mehr als zweieinhalb Meter lang und über einen Meter breit.




Morgens Fliesen legen, abends üben
Der Weg zu diesem Status und zu diesen Einsichten war nicht einfach. Als Jugendlicher floh der Bosnier vor dem Krieg auf dem Balkan zu seinem Vater nach Heilbronn. Dort lernte er erst Installateur, dann Fliesenleger. Er bekam einen kleinen Synthesizer geschenkt, wenngleich die Familie keine besondere Beziehung zur Musik hatte. Dennoch weckte das Instrument den Künstler in ihm, „den Hunger nach Anerkennung, das Bedürfnis auf einem Sockel zu stehen“. Auch hier sind sich der Handwerker und der Künstler ähnlich: immer auf der Suche nach Bestätigung.
Die ersten Jahre in Heilbronn als Keyboarder in einer Rockband waren wild, erzählt er. Sie ruinierten seine erste Ehe, später das Klavierspielen und fast die Gesundheit, bis Kojic nach einer langen Schaffenspause als 30-Jähriger 2008 die Aufnahmeprüfung zum Studiengang als Jazz-Pianist an der Jazz- und Rockschule Freiburg bestand – im Bewusstsein, dass er nie die Virtuosität eines Instrumentalisten erreichen würde, der schon als Kind angefangen hat zu spielen. Morgens Fliesen legen, um das Studium zu finanzieren, abends üben, üben, üben. Mit Kommilitonen gründete er später das Goran Kojic Trio, das originell und ohne Volkstümelei Balkanklang mit Jazz kombinierte. „Hätte ich mich nur auf die Musik konzentriert, hätte ich Angst um meine Hände gehabt, aber so konnte ich quasi meine beiden Kindheitsträume verwirklichen.“
Umbau des Kaufhauses Leimenstoll
Auch als Parkeinweiser ist er an diesem Sonntagabend zugange. Zwar gibt es neben dem ehemaligen Kaufhaus in der Ortsmitte von Denzlingen reichlich Platz für Autos, doch die Anwohner dürfen nicht zugeparkt werden. Der Gastgeber kennt die meisten Leute, die aus dem Auto steigen, Hände schütteln, ein Kurzes „Wie geht’s“, um dann wieder am Eingang zu stehen und eine zu rauchen. Ganz in schwarz, mit langem Bart, in Weste, Pullover und Schlaghosen gekleidet und mit Amulett um den Hals erinnert der Look ein wenig an vergangene Zeiten, als es so etwas wie private Jazzzirkel noch öfters gab.
Das ehemalige Kaufhaus Leimenstoll in Denzlingen stand vor zehn Jahren leer, die Gelegenheit ließ sich der Kleinunternehmer nicht entgehen und mietete die Räumlichkeiten an. Ursprünglich plante er ein Fliesenfachgeschäft, merkte aber schnell, dass Verkaufen nicht sein Ding ist. Stattdessen sollte dort lieber ein Flügel stehen. Das eine kam zum anderen. Drei Jugendliche ohne Ausbildung standen gerade unter seiner Fittiche, brauchten Arbeit. Mit denen renovierte er kurzerhand die Räume. Der Flügel hat nun einen schönen exponierten Platz. Natürlich bedecken elegante Fliesen den Boden, und auch die Decke kann sich sehen lassen: Fäden spannen sich über weiße Kunststoffplatten, die fließende Struktur vermittelt etwas Leichtes, wirkt wie ein Kunstwerk. „Ich wollte einfach, dass man nicht sieht, wie krumm die Decke ist“, erklärt Kojic schmunzelnd. „Dann haben die Jungs die Fäden angebracht“.

Der neueste Fliesenleger: ein ukrainischer Theologe
Nun ist das kleine ehemalige Kaufhaus Salon, Galerie – mit Unterstützung des Künstlers Michael Bögle – und Konzertraum in einem. Eher unauffällig werden auch Fliesen präsentiert, Küche und Büro sind ebenfalls untergebracht, am Hintereingang befindet sich in Garagengröße der Raum mit Werkzeugen, Klebern und was es sonst noch zum Fliesenverlegen braucht, vieles davon ist in den beiden Firmenwagen und unterwegs.
Drei Vollzeitkräfte hat der Betrieb inzwischen, eine Bürokraft und neben dem Chef zwei Fliesenleger, der neueste ist ein studierter ukrainischer Theologe. Wie schick die Projekte geworden sind, kann man auf der Website sehen, zu den bekanntesten gehört das Schloss in Bad Krozingen, wo es galt, Modernes und Altes zu verbinden. Überhaupt sind denkmalgeschützte Objekte die größte, willkommene Herausforderung. „Vorausdenken, das Ganze sehen und über den Tellerrand schauen, sind hier besonders gefragt“, sagt Kojic. Fünf, sechs Jahre habe es gedauert, bis er sich die Arbeit aussuchen konnte. Gleich dem Handwerker legt die Kundschaft Wert auf Qualität, Stil und etwas Dauerhaftes, und diese Kunden sind dann auch des Öfteren zu Gast bei den Konzerten.
Ohne die Musik könnte ich das Ganze nicht machen, das wäre unmöglich. Andererseits bin ich als Handwerker ein glücklicher Mann. Jeden Tag sehe ich, was ich gemacht habe.“ Goran Kojic, Fuge trifft Fuge
Trockenbau und Akkordarbeit halfen in schwierigen Zeiten zu überleben. Wobei selbst der Schlagzeuger des Trios mit angepackt hat. Timo Ernst ist hauptberuflich Geschäftsführer der privaten Freiburger Musikschule „Musikwerk“ – und immer noch eine helfende Hand: An so einem Konzertabend sitzt er an der Kasse, stellt die Künstlerin vor und schließt den offiziellen Teil des Abends mit den Worten: „Geben sie uns Aufträge, damit wir auch im nächsten Jahr Konzerte veranstalten können.“
„Wir sind eine große Familie“, sagt Kojic, „dabei habe ich auch noch eine zuhause“. Die aber gibt ihm an Sonntagen frei, der für Veranstalter nicht so teuer ist, da die Künstler auf der Heimreise nochmal Zwischenstation machen können. Dennoch bleibt das Ganze ein Verlustgeschäft. In den 30 Euro Eintrittspreis spiegelt sich die Liebe zur Musik, darin sind sogar – was nirgends steht – Getränke enthalten. „Darauf kommt es auch nicht mehr an“, sagt Kojic.
Dieses Jahr stehen noch zwei Veranstaltungen aus. Am Sonntag, den 30. November (19 Uhr) kommt das Fabian Willmann Trio, das mit seinem Debut-Album für großes Aufsehen sorgte. Des Bandleaders melodisches Saxofon wird mit ganz Großen verglichen. „Da geht es dann etwas wilder zu, ich hoffe, auch das wird vom Publikum angenommen.“ In der letzten Woche des Jahres – der Termin steht noch nicht endgültig fest – schließt traditionsgemäß das Goran Kojic Trio den Konzertreigen ab, die Einnahmen von diesem Abend gehen nach Bosnien, in ein Projekt für Kinder.www.fuge-trifft-fuge.de