Der Fotograf hat mit seinen ikonischen Bildern einen eigenen Stil geschaffen, der weltweit zu funktionieren scheint. Uns erzählt er beim Kaffee in seiner Galerie in Freiamt von seiner ganz speziellen Art zu arbeiten.
Text: Julia Donáth-Kneer • Fotos: Santiago Fanego
Der Kaffee ist wirklich gut. Sebastian Wehrle hantiert mit einer verchromten Siebträgermaschine, allein für die frisch gemahlene Bohne hat er drei verschiedene Stempel. „Ich bekomme von Kaffeetrinkern ständig etwas Neues empfohlen und dann kaufe ich alles“, sagt er. Zu Sebastian Wehrle, 40 Jahre alt, dunkelblonder Zopf, eisblaue Augen, kommen viele Menschen. Erst vor wenigen Tagen das Porschezentrum Freiburg, 40 Unternehmer mit Boxermotoren hielten am Sonntag in der Galerie. Am Wochenende nicht freizuhaben stört Wehrle nicht: „Ich rödele die ganze Zeit vor mich hin.“
Ab Mai wird es neue Arbeiten geben. So viele, dass sich sein Gesamtwerk verdoppelt. Das forderte Tribut: Vergangenes Jahr hat er keinen Tag Urlaub gemacht. Auf Reisen war er dennoch – „dienstlich, da bringe ich 17.000 Fotos mit“. Gerade kommt der Fotograf von zwei Wochen Malediven zurück. Er war auch tauchen, natürlich mit Unterwasserkamera. Plötzlich ging nichts mehr. Sebastian Wehrle hatte eine Panikattacke. „Das fühlte sich an wie tausende Ameisen, die mir die Beine hochkriechen“, berichtet er. „Adrenalin – da geht der Körper in Fluchtmodus und du willst nur noch weg.“ Geht natürlich nicht 20 Meter tief im Meer. Den Grund kennt er selbst: Er fühlte sich eingeengt, weil er sich nicht so bewegen konnte, wie er wollte. „Ich war schon immer freiheitsliebend, deshalb habe ich mich auch selbstständig gemacht“, erzählt Wehrle.
Das war 2012. Der gelernte Luftheizungs- und Kachelofenbauermeister fotografierte bereits kleinere Aufträge, Hochzeiten, Gruppenshootings, Nacht- und Naturaufnahmen. Damals verkaufte er seinen Ofenkunden gerahmte Fotos manchmal einfach mit. 2013 – den Meister und den Titel als Deutschlands bester Kachelofenbauergesellen hatte er in der Tasche – radelte er von Los Angeles nach Peru, ein paar Wochen durch Asien. Zurück in Deutschland zeigte er die Aufnahmen bei Ausstellungen, traf auf Uwe Baumann, der ihn für das Projekt „Kosmos Schwarzwald“ engagierte. Wehrle fertigte eine Serie von vier Bildern, inspiriert von einem Motiv, das alles änderte. Dafür steckte er eine Bekannte in die schwarze Tracht seiner Schwiegeroma. Dazu: punktgenaues Make-up, perfekte Lichtkomposition, ideale Symmetrie, schwarzer Hintergrund. Ein Stil war geboren, der Sebastian Wehrle aus Simonswald international bekannt machen sollte.




Heute hängen seine Bilder in Kuala Lumpur und Singapur, Berlin oder New York. Es gibt Postkarten für rund zwei Euro und limitierte Werke hinter Museumsglas für 20.000 Euro. Frontalfotografie, wie Wehrle sie praktiziert, gilt als sehr anspruchsvoll. Jede Einstellung hat einen Effekt auf die Symmetrie: Abstand, Höhe, Licht. „Ich bin sehr rational beim Fotografieren“, sagt Wehrle, der für seine Exaktheit bekannt ist. „Ich erzeuge Emotionen über die Körperhaltung, nicht über extravagantes Posing.“
Besonders herausfordernd sind die Kuhshootings, mitunter ist er wochenlang für ein einziges Portrait beschäftigt. Sein Stil würde zum Beispiel bei Pferden mit ihren langen Gesichtern nicht funktionieren. „Pferde sehen von der Seite spannend aus. Eine Kuh ist breiter. Deshalb wirkt sie von vorne immer interessant“, erklärt der 40-Jährige, der am Hochlandrind Eireen fast verzweifelte. Er bekam bei dem wuscheligen Tier den Blick nicht mit drauf. „Ich dachte wirklich, dass es ein schlechtes Bild ist, weil der Betrachter die Augen nicht sehen kann“, sagt Wehrle. Doch Eireen wurde zur erfolgreichsten Kuh überhaupt, die gesamte Edition ist ausverkauft, es gibt sogar eine Plüschtierkooperation mit Steiff. „Ich überdenke meine Arbeiten manchmal zu sehr“, meint Sebastian Wehrle. „Ich bin ultrakritisch mit mir selbst. Doch am Ende sorgt es dafür, dass ich mich noch mehr anstrenge.“

Sebastian Wehrle hat die Galerie in Freiburg aufgegeben und einen historischen Bauernhof in Freiamt gekauft. Dort möchte er auf rund 1000 Quadratmetern Platz für seine Kunst schaffen. „Endlich alles an einem Ort, kein Umräumen und kein Hin- und Herfahren zwischen Galerie und Lager mehr“, sagt Wehrle. Der Bauantrag läuft, das meiste möchte der gelernte Handwerker selbst organisieren, um die Kosten so niedrig wie möglich zu halten.