Humus, Kohle, Schrott, Stahl, Steine – im Kehler Hafen türmen sich Rohstoffe. Gabriele Engelhardt verwandelt diese Haufen in Kunstwerke, die von Arbeit, Warenfluss, Versorgung oder Vergänglichkeit erzählen. Manche ihrer fotografischen Skulpturen erinnern dabei an Landschaften, als führten sie die Stoffe zurück an den Ort ihrer Herkunft.
Text: Christine Weis
„Kehler Berge“ heißt die Ausstellung mit Werken der Karlsruher Künstlerin Gabriele Engelhardt. Berge ausgerechnet in der Stadt am Oberrhein, wo es topfeben ist? Doch Kunst ist eben mehr als Abbild der Realität. Sie schafft Neues, Unerwartetes, regt zum Denken an und sorgt mitunter für Verwunderung. So staunten manche Hafenarbeiter (es sind fast nur Männer) nicht schlecht, als Gabriele Engelhardt vor zehn Jahren mit Kamera und Stativ anrückte, wie sie Mitte September bei der Vernissage erzählte. „Was zur Hölle machen Sie stundenlang vor dem Schrotthaufen?“, fragte einer. Sie antwortete, wie faszinierend sie die verschiedenen Materialien finde. Daraufhin empfahl ein anderer, doch mal in seinen Heimatort zu kommen, da gebe es einen schönen Berg.
Mittlerweile ist die Künstlerin im Hafen keine Fremde mehr. Sie kommt mehrmals im Jahr. Neulich unterstützte sie Kranfahrer Markus Röder, indem er mit der Schrottkralle einen Blechhaufen für die Aufnahmen in Form brachte. Der Kontakt mit den Menschen im Industriehafen ist ihr besonders wichtig, betont die 57-Jährige. Mehr noch: Sie versteht die „Kehler Berge“ als eine gemeinsame Aktion der kulturellen Teilhabe.
Wie kam sie überhaupt nach Kehl? 2016 schrieb das städtische Kulturbüro einen Wettbewerb aus, bei dem die Besonderheiten der Stadt in Szene gesetzt werden sollten. Engelhardt nahm teil, radelte drei Tage durch die Stadt, am Hafen blieb ihr Blick an einem Kohleberg hängen. Auf das Gelände kam sie nur mit Genehmigung, was angesichts des dort herrschenden Hochbetriebs nicht überraschend ist. Die Zahlen verdeutlichen das: 2024 wurden hier über fünf Millionen Tonnen Güter umgeschlagen, 145.000 Container verladen, 4800 Menschen arbeiten in mehr als 100 Unternehmen.

Gabriele Engelhardt studierte Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart sowie Medienkunst mit den Schwerpunkten Fotografie und Szenografie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. In ihren Arbeiten verbindet sie Fotografie und Bildhauerei.
Engelhardt gewann den Wettbewerb und ihre Bilder hingen an einer Betonwand beim Bahnhof. „Als die Papiere durch den Regen von der Wand fielen, dachte ich: Jetzt ist Kehl für mich Geschichte.“ Doch es kam anders. 2018 wurden ihre Materialberge bei den Darmstädter Tagen der Fotografie ausgezeichnet, danach reisten sie nach Baden-Baden, Stuttgart, Hamburg, ins österreichische Krems und im November nach Paris.
Das Thema lässt sie nicht mehr los. „Wenn ich in eine Stadt komme, fahre ich zuerst ins Industriegebiet, in den Hafen oder auf den Recyclinghof“, berichtete sie. Am Anfang wusste sie oft nicht, welches Material sie vor der Kamera hatte. Inzwischen bezeichnet sie sich selbstironisch als „Schüttgutexpertin“. Im Kehler Hafen werden Humus, Stahl, Schrott, Steine, Kohle, Flussspat oder Holzhackschnitzel verladen. Engelhardt macht daraus Berge, indem sie viele einzelne Fotografien digital zu plastischen Landschaften moduliert. Ihr geht es nicht nur um Ästhetik, sondern ebenso um ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Dimensionen. Der Hafen, sagte sie, ist Teil des Versorgungs- und Verwertungssystems unserer Wirtschaft. Sie wünscht sich, dass dabei auch deutlich wird, wie Kunst und Wirtschaft gemeinsam Wirkung entfalten können.
Ob das gelingt, kann man noch bis zum 6. Januar in Kehl sehen. Dann endet die Ausstellung „Kehler Berge“. Die 15 großformatigen Werke sind auf Seecontainern angebracht, verteilt auf sieben Orte in der Innenstadt, etwa am Läger-Parkplatz, auf dem Marktplatz oder vor dem Kulturhaus.
Auswahl Kehler Berge von Gabriele Engelhardt


