Das Freiburger Augustinermuseum zeigt in einer Ausstellung die Normandie aus der Perspektive der Impressionisten. Die Schau ist auch eine Geschichte der beliebten Urlaubsregion in Nordfrankreich und gibt Einblicke in die Besonderheiten einer Kunstbewegung, die im 19. Jahrhundert einen neuen Stil prägte.
Text: Christine Weis
Wer in der Sommersaison in die Normandie reist, sollte eine Toleranz gegenüber Menschenmengen mit Selfiesticks mitbringen. Allein an den Küstenort Étretat pilgern jährlich 1,5 Millionen Touristen, die meisten, um sich vor den berühmten Kreidefelsen abzulichten. Die Klippen sind längst mehr Selfie-Motiv als Naturdenkmal. Die Gemeinde hat mittlerweile die Reißleine gezogen und den Zutritt verboten. Die Felsen bröckeln unter der Last der Massen, und zu viele rücken für das perfekte Instagram-Foto gefährlich nah an den Abgrund. „Die beeindruckenden Felsformationen in Étretat zogen im 19. Jahrhundert viele Künstler an, und so wurden sie zu einem wichtigen Motiv in der Malerei“, sagt Jutta Götzmann, Direktorin des Augustinermuseums, bei der Presseführung Ende Mai. Die aktuelle Ausstellung trägt den Titel „Licht und Landschaft. Impressionisten in der Normandie“.

Wenn man durch die Räume geht, kann schon Urlaubsstimmung aufkommen: Rund 70 Gemälde und einige historische Postkartenmotive, wandgroß wie Fototapeten, zeigen Sandstrände, Steilküsten und Fischerdörfer. Auf den Bildern sieht man, wie das Licht über dem Wasser tanzt, wie sich die Wellen bewegen, wie Himmel und Meer zusammenspielen. Längst nicht nur Künstler wurden damals von der Landschaft der Normandie angezogen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts machten neue Bahnverbindungen die Region gut erreichbar , die übrigens gar nicht so sehr von der Sonne verwöhnt ist. Die Touristen kamen in Scharen, und aus Fischerdörfern wurden Seebäder. Eines davon zeigt Eugène Le Poittevins Bild „Baden in Étretat“: die berühmten Kreidefelsen im Hintergrund, davor eine illustre Badegesellschaft – einige schwimmen, andere sonnen sich auf dem Steg oder in einem Boot. Le Poittevin malte das Werk um 1858 direkt vor Ort, „en plein air“, also im Freien, und nicht wie bis dahin üblich im Atelier. Das wurde möglich, weil es nun Tubenfarben, Malkästen sowie trag- und klappbare Staffeleien gab. Auch die Motive waren neuartig: Alltagsszenen, Momentaufnahmen, Natur, Licht und Atmosphäre rückten in den Vordergrund. Dafür bot die Normandie ideale Schauplätze.
Mit zwei Gemälden ist Claude Monet in der Ausstellung vertreten, einer der bekanntesten Künstler des Impressionismus. Die Bezeichnung der Kunstgattung geht auf sein Werk „Impression, soleil levant“ zurück. Ein Kritiker machte sich bei der ersten Gruppenausstellung 1874 in Paris über diesen Titel lustig – und gab der neuen Kunstbewegung unbeabsichtigt ihren Namen. „30 Künstler zeigten ihre Werke in dieser Ausstellung – viele von hoher Qualität, aber heute leider weniger bekannt als Monet“, erklärt Alain Tapié beim Rundgang. Er kuratiert die Sammlung „Peindre en Normandie“, die in den 1990er-Jahren in Caen gegründet wurde und seitdem um die Welt tourt. Freiburg ist nach Münster die zweite Station in Deutschland. Jutta Götzmann und Mirja Straub haben sie für das Augustinermuseum adaptiert und um wenige Leihgaben erweitert. Straub, zuständig für die Malerei des 19. Jahrhunderts, betont, dass der Impressionismus lange vor dem Jahr 1874 begann und einen Bogen von 1830 bis in die 1930er-Jahre spannte.

Zu den Anfängen gehört das Landgut Saint-Siméon bei Honfleur: ein Treffpunkt für Künstler wie Camille Corot, Eugène Boudin, Johann Barthold Jongkind sowie dem jungen Monet. Im Gasthof der legendären „Mutter Toutain“ diskutierten sie dort über Techniken und Ideen. Heute ist das ehemalige Künstlerquartier ein Luxushotel, das mit den berühmten Malern wirbt.
Wie so viele Kunstbewegungen war der Impressionismus männerdominiert. Eine der wenigen Ausnahmen: Berthe Morisot. Auch sie war 1874 bei der legendären ersten Ausstellung in Paris dabei. Als Frau hatte Morisot keinen Zugang zur Akademie. Sie lernte bei Camille Corot, kopierte im Louvre die alten Meister und suchte sich einen Weg außerhalb des etablierten Kunstbetriebs. Die Schau im Augustinermuseum präsentiert eine ihrer Arbeiten, als einzige einer Frau. Das Werk zeigt Morisots Schwester Edma mit deren Tochter im Hafen von Cherbourg.
„Die beeindruckenden Felsformationen in Étretat zogen im 19. Jahrhundert viele Künstler an, und so wurden sie zu einem wichtigen Motiv in der Malerei.“ – Jutta Götzmann, Direktorin des Augustinermuseums
Ein weiterer Abschnitt der Ausstellung widmet sich dem Leben der Fischer, dem vermeintlich authentisch einfachen Leben der Küstenbewohner. Maritime Bildthemen entsprachen zu der Zeit dem Geschmack des bürgerlichen Publikums. Ein Beispiel dafür ist Gustave Courbets „Strand von Trouville“: Zwei Menschen mit Körben auf dem Rücken sammeln Seetang am Strand. Sie wirken verloren und klein vor der Weite des mächtigen Meeres und unter dem wolkenverhangenen Himmel.
Schließlich wendet sich die Ausstellung vom Meer ab und folgt dem Lauf der Seine ins Hinterland – jenem Fluss, der Paris mit der Normandie verbindet. Auch hier wird die Landschaft zur Bühne: für Licht, Farbe und jene flüchtigen Augenblicke. Jutta Götzmann ermuntert, genau hinzusehen und sich durch die Betrachtung dieser Originalwerke aus dem Alltagsrauschen herausziehen zu lassen, zur Ruhe zu kommen. Gerade in einer Zeit, die von schnelllebigen Bilderfluten geprägt ist, in der permanent auf Bildschirme geschaut und Kunst zunehmend zum Event inszeniert wird, plädiert sie für eine Rückbesinnung: darauf, die Gemälde im Original auf sich wirken zu lassen – unmittelbar und ohne mediale Ablenkung. Wie sie wohl gerade jene suchen, die auf der Jagd nach spektakulären Instagram-Motiven auf Klippen klettern.
Licht und Landschaft. Impressionisten in der Normandie läuft bis zum 30. November im Augustinermuseum Freiburg. Gezeigt werden 72 Werke von 35 Malern wie Eugène Boudin, Camille Corot, Gustave Courbet, Johan Barthold Jongkind, Claude Monet, Édouard Vuillard sowie der Malerin Bethe Morisot. www.museen.freiburg.de/am