Das Forum Würth in Arlesheim bei Basel zeigt einen Querschnitt der heterogenen Werke des Elsässers Tomi Ungerer. Die Spannweite des provokanten Künstlers reicht vom Kinderbuch bis Erotika.
VON CHRISTINE WEIS
Würth im Industriegebiet Arlesheim: Links geht’s zum Handwerker-Shop, geradeaus ins Museum. Dass es Schrauben und Skulpturen am selben Fleck gibt, gehört bei Würth zur Unternehmenskultur. Dies ermögliche ein „inspirierendes Neben- und Miteinander von Kunst und geschäftlichem Alltag“, lautet die Devise. An 15 Standorten des Weltmarktführers für Befestigungs- und Montagetechnik aus Künzelsau gibt es ein Museum.
Die Privatsammlung, die der 86-jährige Firmenchef Reinhold Würth seit den 1960er Jahren aufbaut, ist immens und umfasst rund 18.500 Werke. Kunstliebhabern rauscht es in den Ohren bei Namen wie Max Beckmann, Georg Baselitz, Christo und Jeanne-Claude, Max Ernst, Hans Holbein, Anselm Kiefer, Joan Miró, Edvard Munch, Emil Nolde oder Pablo Picasso.
„Ich bin ein netter Typ, ich male nur Zeichnungen für eine böse Gesellschaft.“
Tomi Ungerer
Der französische Zeichner Tomi Ungerer (1931–2019) ist mit 250 Werken in der Sammlung vertreten, von denen 157 Exponate bis August im Forum Arlesheim zu sehen sind. Ungerer ist einer der bedeutendsten, aber auch provokantesten Künstler der Gegenwart. Seine Karriere begann als Karikaturist, Kinderbuchautor, Werbezeichner und Illustrator in den USA, wo er von 1957 bis 1971 lebte. Die Gesellschaftssatire „The Party“ sowie die Darstellungen von Sexismus und Gewalt in dem Band „Fornicon“ lösten Ende der 1960er Jahre Proteste aus, woraufhin seine Bücher in USA und Großbritannien verboten wurden. Den Vorwurf der Pornografie hat Ungerer zurückgewiesen. Ab Anfang der 1970er Jahre lebte er zunächst in Kanada, dann in Irland und immer wieder in seiner Geburtsstadt Strasbourg, die ihm 2007 ein eigenes Museum widmete.
„Ich habe nie Pornografie gemacht, sondern erotische Satire.“
Tomi UJngerer
Ungerer – ein Pendler zwischen der heilen und geilen Welt
In der von Catherine Iselin kuratierten Ausstellung spürt der Betrachter die Ambivalenz von Ungerers Schaffen zwischen liebevollen Kinderbüchern, scharfer Satire und provokativer Erotik. Auf zwei Stockwerken präsentiert sich ausschnitthaft das gesamte Spektrum des Künstlers. Jedes dargestellte Themenfeld ist mit einem Ungerer-Zitat an der Wand markiert, das wie eine Überschrift oder Zusammenfassung wirkt.
Die Plakate gegen Rassismus und den Vietnamkrieg gruppieren sich etwa unter der Aussage „Jede Zeichnung ein Blitzkrieg“. Dabei kann dem Betrachter bei den oft zynischen Darstellungen der Atem stocken: „Black Power/White Power“ zeigt einen schwarzen und einen weißen fratzenhaften Menschen, die sich in einer Art Gewaltspirale gegenseitig auffressen. Und „Give“ stellt ein Flugzeug dar, das abwechselnd Bomben und Geschenke abwirft.
„Ich glaube, dass sich die Realität durch das Absurde selbst illustriert.“
Tomi Ungerer
Eine Leiter aus nackten Frauenbeinen mit High Heels wirkt wie der Eingang zu dem Bereich, der für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet ist und ethische Wertvorstellungen verletzten könnte. Die Totentanz-Tuschezeichnungen „Varianten Rigor Mortis“ mit Sexszenen zwischen Skeletten und nackten Frauen verträgt vielleicht nicht jeder.
Wen das schockt, kann anschließend im Raum „Räuberhöhle“ unter Sternenhimmel auf einem weichen Kissen Augen und Gemüt mit den Kinderbüchern „Emil, der hilfreiche Tintenfisch“, „Crictor, die gute Schlange“ oder „Der Mondmann“ beruhigen. Ungerer war eben „ein Pendler zwischen der heilen und geilen Welt“, wie er sich selbst beschrieb.
Der eher heilen Welt kann man auf der ersten Etage des halbelliptischen Bauwerks des Basler Architekten Urs Büttiker begegnen, etwa in den Werken „Bermuda für frisch verheiratete“ und „Sommersonnenwende in Skandinavien“, die Ungerer für das amerikanische Reisemagazin „Holiday“ entwarf, in fantasievollen Collagen aus Fundstücken, einer Katzenkopfserie oder den romantischen Illustrationen im „Großen Liederbuch“. Der Klassiker mit deutschen Volks- und Kinderliedern enthält Ungerers Lieblingslied „Die Gedanken sind frei“ – die Kunst ist es auch.
Die Ausstellung „Tomi Ungerer“ im Forum Würth in Arlesheim bei Basel läuft noch bis zum 14. August, geöffnet von Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr, Eintritt frei. www.forum-wuerth.ch