Die gebürtige Allgäuerin Andrea Seeger war in Freiburg lange Jahre eines der bekanntesten Gesichter in der digitalen Szene: Als Medieninformatikerin war sie Gründerin und Vorstand von Oxid, das sich als Shopsoftware-Schmiede einen Namen gemacht hat. Vergangenes Jahr legte sie dort überraschend nach elf Jahren die Arbeit nieder und widmete sich einem ganz anderen Vergnügen: Seither ist sie nach einer Ausbildung neben anderen Tätigkeiten auch als Bier-Sommeliere tätig. Ein Gespräch über die Kunst des Brauens.
Wie kam es, dass Sie Ihren erfolgreichen Job in der digitalen Welt gegen die Hingabe für das herrlich altmodische Getränk Bier tauschen wollten?
Meine zweite Leidenschaft waren schon immer Genuss und gute Produkte mit hochwertigen Zutaten. Bier ist ein Jahrtausende altes Produkt, dennoch haben sich einige Rahmenbedingungen weiterentwickelt, und für mich zählen genau jene Begegnungen zu den spannendsten, bei denen Tradition auf Hightech trifft. Mir macht das macht sehr viel Spass, dies als Teil einer Community mitzugestalten.
Welche Ausbildung muss man als Bier-Sommeliere machen?
Meine Ausbildung zur Biersommelière habe ich mit Diplom in der Doemens Academy, Gräfelfing bei München und dem Kiesbye’s Bierkulturhaus, in Obertrum bei Salzburg absolviert. Es werden dabei geschichtliche Grundlagen vermittelt, Wissen über verfügbare Technologien und Rohstoffe, den Brauprozess und das praktische Brauen, Funktionsweise von Schankanlagen. Und natürlich der Schwerpunkt der Sensorik und Verkostung internationaler Bierstile.
Was macht eine Bier-Sommeliere genau, wie beraten Sie?
Die Rolle ist die eines Bierbotschafters als Vermittler zwischen Brauerei und Konsument. Mittlerweile finden sich in nahezu jeder Brauerei Biersommeliers u.a. in Marketing und Vertrieb, aber auch im Grosshandel, Journalismus, Eventplanung oder als unabhängige Berater sind sie zu anzutreffen. Biersommeliers trifft man vor allem bei Bier-Tastings, die auch ich zu verschiedenen Themen oder auf Anfrage durchführe. Zu meinem Repertoire gehören auch die Beratung und Entwicklung von Marketingkonzepten bis hin zur Durchführung. Die Zusammenarbeit zwischen Biersommelier und Gastronomie birgt grosses Pozential. Angefangen beim richtigen Zapfen und dem Aufräumen von Mythen wie dem „7-Minuten Pils“. Bier wurde in der Gastronomie ein wenig vernachlässigt, noch heute ist es üblicher, einfach „ein Bier“ zu bestellen als nach der Bierkarte zu fragen.
Die Verfeinerung der Lebensstile hat das Bier erreicht. Müssen wir uns künftig wie beim Wein auf ein Getränk einstellen, bei dem die Qualität zwar immer besser wird, aber auch die Liebhaberpreise in die Höhe klettern?
Ein ganz klares ja, schon heute sind die Preise für besondere Biere teilweise höher als für Wein. Es ist zu erwarten, dass wir künftig zwischen unterschiedlichen Bierqualitäten unterscheiden können, die sich in einer weiteren Preisspanne als gewohnt bewegen, z.B. Craftbier gegenüber Industriebier. Die handwerkliche Herstellung von Craftbieren findet mit hochwertigen Rohstoffen statt. Craftbrauer und Traditionsbrauereien verwenden oft Öko-Rohstoffe oder regionale Produkte und unterstützen damit lokal fairen Handel, allerdings mit Vertrieb fern der großen Handelsstrukturen. Das hat seinen Preis. Das günstige Industriebier wird es immer geben, aber der Konsument wird künftig informierter und bewusster seine Entscheidung treffen.
Die Deutschen sind stolz eine vierstellige Anzahl von Brauereien, viele immer noch in Familienbesitz und sehr regional. Wie wird die Entwicklung auf diesem Markt weitergehen, jenseits der erwartbaren Konzentrationsprozesse hin zu großen Braukonzernen? Gibt es Chancen, dass diese Vielfalt erhalten bleibt?
Auch in Deutschland hat man sich dem weltweiten Einheitsgeschmack angepasst und so wurde unser Pils beispielsweise immer weniger bitter, bis es teilweise kaum noch von einem Hellen zu unterscheiden war. Nichtdestotrotz haben wir in Deutschland immer noch eine grosse Biervielfalt durch die kleinen und mittleren Traditionsbrauereien. Und diese haben nun die Chance, von der Craftbier-Szene zu profitieren. Denn das Thema rückt durch Events, Tastings und vor allem eine ungekannte Biervielfalt in das Bewusstsein und wird zu einem hochwertigen Genussmittel. Genau der richtige Zeitpunkt für Brauereien, um der Markenstrategie neuen Glanz zu verleihen.
Im Moment erleben wir eine Pionierstimmung, die durch Dynamik und Kreativität Brauer wie Konsumenten gleichermaßen begeistert: Im Jahre 1995 hatten wir 1200 Braustätten und 2015 bereits 1400 Braustätten in Deutschland, dennoch wäre es unrealistisch, diese Vielfalt erhalten zu können, leider. Hier sind auch die Konsumenten gefordert, durch ihr Einkaufsverhalten die Entwicklung kreativer Brauereien weiter zu unterstützen.
Der Craftbier-Markt ist bereits in den Fokus der Venture-Kapitalgeber gerückt, es gibt erste Beteiligungen und Käufe, aber auch erfolgreiche Finanzierungen via Crowdfunding.
Bei den Diskussionen um das Reinheitsgebot kommt es zu stattlichen Angriffen der Craft-Brauer. Haben die recht, die das Gebot als etwas industriell-Verklüngeltes anprangern, oder jene, die diese Tradition des einfachen Rezepts weiterhin für eine Erfolgsgeschichte halten?
Es sind verschiedene Dimensionen zu betrachten: Das einfache Rezept, das nach außen kommuniziert wird, ist in Wirklichkeit nicht ganz so einfach. Es gibt einige Erweiterungen, welche Produktionsprozesse verschlanken und den Rohstoffeinkauf optimieren. Dies hat zur Folge, dass im grossen Stil immer günstigeres Bier produziert werden kann, was die Brauereivielfalt eher gefährdet. Gesetzliche Grundlage ist das vorläufige Biergesetz von 1993. Dieses erlaubt einige Ausnahmen mit der Bedingung, dass diese keine chemische Reaktion im Bier hervorrufen und „bis auf gesundheitlich und geschmacklich (…) unvermeidbare Anteile wieder ausgeschieden werden“. Im Vergleich zu der erlaubten Zutatenliste in vielen anderen Ländern, auch im europäischen Ausland, sind in Deutschland dank des Reinheitsgebots aber keine Aromen, keine Farbstoffe, keine Stabilisatoren, keine Enzyme, keine Emulgatoren und auch keine Konservierungsstoffe erlaubt.
Eine erlaubte Zutat, die dem Konsumenten nun erst seit den Diskussionen über das Reinheitsgebot ins Bewusstsein rückt, ist Röstmalzbier, oder Färbebier. Es handelt sich um Biere, die in spezialisierten Brauereien gebraut und dann zur Weiterverarbeitung an andere verkauft werden. Laut Brauerbund dienen sie dem Ausgleich von Farbschwankungen. In der Praxis kann die Produktion erheblich verschlankt werden, indem verschiedene Bierstile gemeinsam als Helles eingebraut und und erst im letzten Schritt zu dunklen Bieren eingefärbt und „aromatisiert“ werden. Staatliche Lebensmittelüberwacher aus Karlsruhe haben herausgefunden, dass von 80 überprüften dunklen Bieren 40 kein dunkles Malz enthielten. Die Kostenersparnis liegt auf der Hand. Zutaten und Vorgehensweise sind zwar unbedenklich, dennoch stellt sich der Konsument unter einem natürlich gebrauten Bier nach alter Tradition des Reinheitsgebots etwas anderes vor.
Da ist der Vorwurf, das Reinheitsgebot sei zum Marketinggag verkommen, gut nachvollziehbar. Nicht zuletzt bin ich aber der Überzeugung, dass wir diese Expertise im Brauhandwerk, das zum Braukunsthandwerk wurde, nicht entwickelt hätten, hätten wir einfachere Eingriffsmöglichkeiten gehabt. Und Immerhin können wir auch mit diesem „einfachen Rezept“ auf eine Auswahl von 170 verschiedenen Hopfensorten, 40 verschiedenen Malzsorten und knapp 200 unterschiedlichen Hefestämmen zurückgreifen. Mit der Wahl des eingesetzten Wassers und Besonderheiten der Brauverfahrens ergeben sich summa summarum mehr als eine Million verschiedene Möglichkeiten, ein Bier nach dem Reinheitsgebot zu brauen.
Und nicht zuletzt: Welches Bier trinken Sie gerade selbst am liebsten und empfehlen es gern weiter?
(lacht:) Diese Frage wird mir tatsächlich oft gestellt: Und welches ist jetzt das beste Bier? Letztendlich geht es aber um die Kunst, je nach Anlass oder Situation, am Kaminfeuer oder zur Strandparty, als Aperitif, zum Essen oder gegen den Durst … einfach das richtige Bier zu wählen.
Für mich ist es nach wie vor spannend in die Biervielfalt einzutauchen, internationale Bierstile zu erkunden, historische Bierstile zu entdecken oder kreative neue Rezepte zu versuchen. Aber auch unsere Traditionsbiere zeigen mittlerweile wieder mehr Charakter und sind neben allen neuen Trends hervorragende Biere.
Andrea Seeger:
www.facebook.com/biersommeliere
RR