Der Begriff Respekt wird ebenso häufig verwendet wie unterschiedlich interpretiert. Was er für sie bedeutet und ob die Respektlosigkeit zunimmt, haben wir zwei junge Rettungskräfte, einen Stadtreiniger und zwei Kommunikationsfachleute gefragt.
Von Kathrin Ermert
Die Recherche zum Thema Respekt begleitet eine Melodie: R-E-S-P-E-C-T, sang Aretha Franklin in ihrem Hit Ende der 1960er-Jahre. „Find out, what it means to me“ – finde heraus, was er für mich bedeutet. Der Song wurde zu einer Hymne der afroamerikanischen Bürgerrechts- sowie der Frauenbewegung und zeigte eine neue Interpretation von Respekt: nicht die vertikale, die sich auf die Stellung oder Leistung eines Menschen bezieht, sondern eine horizontale, die mit einer bedingungslosen Wertschätzung jedes Einzelnen einhergeht. Respekt funktionierte bis dahin vor allem von unten nach oben und ging mit Gehorsam oder gar Furcht einher. Jetzt verlangten die Untergegebenen ihrerseits Wertschätzung und Achtung. Das kam der eigentlichen Bedeutung des Wortes näher. Das lateinische „respicere“ heißt berücksichtigen, beachten.
Heute fordern alle – unten wie oben – Respekt für sich ein. Wir verwenden den Begriff in vielen verschiedenen Bedeutungen: von Fairness bis Angst über Rücksicht, Bewunderung, Höflichkeit, Aufmerksamkeit, Menschlichkeit und mehr. Respekt ist ein beliebtes Thema in Ratgebern. Mehr als 2000 Treffer erzielt die Büchersuche bei Amazon. „Wie Sie Ansehen bei Freund und Feind gewinnen“, „Über Anerkennung, Konfliktfähigkeit, Überzeugungskraft und Selbstbeherrschung“, oder „Der Schlüssel zur Partnerschaft“ lauten die Untertitel der Bücher, in denen es darum geht, sich Respekt zu verschaffen. In der Beziehung gleichermaßen wie in der Kindererziehung, beim Umgang mit Haustieren, im Sport und natürlich im Job.
Was ist für Sie Respekt, Frau Panidis? „Viele denken bei Respekt vor allem an Höflichkeit, für mich ist ein respektvoller Umgang aber viel mehr“, sagt Hannah Panidis. Nämlich sich auf andere Menschen einzustellen, ihnen zuzuhören und sie ernst zu nehmen. Die 38-Jährige arbeitet in Lahr als selbstständige Trainerin und Speakerin, nachdem sie zuvor die Kommunikation der Biohandelskette Tegut in Fulda geleitet hat. Respekt sei das Wesentliche in der Kommunikation und die Essenz dessen, was Menschen sich wünschen, so Panidis. Er motiviere, mache Teams produktiver und Mitarbeitende gesünder. „Respekt steht zu Recht bei fast allen Unternehmen im Leitbild, die Frage ist aber, wie sie ihn mit Leben füllen“, sagt Panidis. Sie sieht die Kommunikation als Weg. Es gehe um Lob und Anerkennung, aber auch darum, schwierige Gespräche richtig zu führen. „Respekt ist nicht gleichbedeutend mit Harmonie“, betont die Kommunikationsexpertin. Sie ermutigt, kontrovers zu diskutieren und Probleme anzusprechen, statt zu verschweigen.
„Respekt ist nicht gleichbedeutend mit Harmonie.“
Hannah Panidis, Respekt-Trainierin
Die Skills dafür vermittelt sie Führungskräften und Mitarbeitenden in ihren Respekt-Trainings und -Vorträgen. Auf ihrer Referenzliste stehen unter anderem der Messtechnikhersteller Testo, das Landratsamt Ortenau und der Automobil-Zulieferer Schaeffler. Vor der Technik gehe es aber um die Haltung. „Sonst lernen Führungskräfte zwar, wie sie loben, aber ohne den anderen wirklich zu schätzen ist das Lob nur eine Technik“, erkärt Panidis. Entscheidend sei eine positive Haltung, die auch im Internet und den sozialen Medien funktioniere: „Egal ob Reinigungskraft, CEO oder Azubi: Wir können von jedem Menschen etwas lernen. Wer offen auf andere zugeht, stelle Augenhöhe und damit die Grundlage für ein respektvolles Miteinander her.“ Es gelte, mit- statt übereinander zu sprechen.
Fühlen Sie sich respektiert, Herr Stolz? „Überwiegend schon, aber es sagt kaum jemand.“ Wenn jemand ihm Respekt ausspreche, dann meist ältere Menschen. Christian Stolz arbeitet seit neun Jahren für die Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg (ASF). Als Vorarbeiter eines sechsköpfigen Teams der Stadtreinigung im Bezirk 1 sorgt der 41-Jährige dafür, dass die Stadtmitte sauber und schön für Gäste wie Einheimische ist. Sein Team leert Abfallbehälter, kehrt Straßen, Gehwege und Plätze, sammelt unzählige Pizzakartons, Kaffeebecher und Flaschen ein. Sein Job gehe aber weit übers Reinigen hinaus, berichtet Stolz. Er habe auch viel mit Pädagogik zu tun. Wenn er morgens ums sechs seine Schicht beginnt, trifft er oft noch Feiernde, meist sind sie angetrunken. Außerdem diejenigen, die dort leben, wo er sauber macht: Obdachlose und Drogenabhängige.
„Man muss ein Gefühl entwickeln, wie man auf die Leute einwirken kann“
Christian Stolz, Stadtreinigung Freiburg
„Man muss ein Gefühl entwickeln, wie man auf die Leute einwirken kann“, sagt Stolz. Gelernt hat er das nicht, er sei einfach kommunikativ und geduldig. Auch dem „ganz normalen Bürger gegenüber, der seine Vorstellungen und Wünsche äußern möchte“. Wer meint, ihm erklären zu dürfen, wie er seine Arbeit machen soll, weil er Steuern zahlt, den verweist Stolz an die Zentrale. Und wenn ihn jemand beschimpft, bleibe er sachlich. „Ich mach keinen Terz. Ich fahr einfach weiter. Und wenn ich kurz später wiederkomme, haben sich die Gemüter meistens beruhigt.“ Er nimmt keinen Ärger mit nach Hause, berichtet Stolz. Wenn er den orangenen Kittel auszieht, legt er jeglichen Unmut mit ab. Ohnehin seien üble Erlebnisse eher selten der Fall. Er weiß aber, dass sich die Kollegen bei der Müllabfuhr mehr gefallen lassen müssen, weil sie mit ihren Fahrzeugen die Straße blockieren.
Nimmt Respektlosigkeit zu, Herr Passarge? „Das mediale Bild von Respektlosigkeit nimmt zu“, sagt Roman Passarge. Der 55-jährige Schramberger war mehr als zwanzig Jahre in Führungspositionen tätig, unter anderem als kaufmännischer Leiter des Vitra Design Museums, ehe er sich als Coach unter anderem auf Kommunikation und Konfliktlösung spezialisiert hat. Passarge nimmt in Sachen Respektlosigkeit zweierlei wahr. Einerseits habe es immer schon respektloses Verhalten gegeben. Andererseits habe er das Gefühl, dass es sich verstärkt hat, zum Beispiel im Verkehr. „Man merkt, dass der Druck in der Gesellschaft zunimmt.“ In manchen Berufsgruppen und Branchen sicherlich deutlich mehr als in anderen, vor allem überall da, wo viele Menschen aufeinandertreffen oder es sehr schnell gehen müsste. Denn ein Faktor, der Konflikte und damit gefühlte Respektlosigkeit fördert, ist laut Passarge Zeitmangel: „Lösungen im Konsens brauchen Zeit.“ Es dauert länger, sich in sein Gegenüber reinzuversetzen, andere Meinungen zu hören und zu respektieren, als die eigene einfach durchzusetzen. „Wenn alle unter Stress stehen, wird es oft respektlos und konfliktreich“, beobachtet der Konfliktexperte.
Ist Respektlosigkeit ein Thema bei Ihnen, Herr Pfeiffer? „Leider sehr. Es hat sich vor allem in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert“, sagt Michael Pfeiffer, stellvertretender Rettungsdienstleiter des DRK Ortenau, und vermittelt fürs Interview zwei, die draußen unterwegs sind: Ina Adam (28) und Robin Henninger (27) arbeiten seit fast zehn Jahren im Rettungsdienst und haben zusammen die dreijährige Ausbildung als Notfallsanitäterin beziehungsweise -sanitäter absolviert. Dabei spielte die Kommunikation eine große Rolle, zu Recht. Die beiden müssen viel erklären, häufig deeskalieren. Sie werden beschimpft oder sogar tätlich angegriffen. „Der Rettungsdienst erfährt weniger Respekt“, sagt Henninger. Von einem älteren Kollegen weiß er, dass der früher durch eine Schlägerei einfach durchgehen konnte, ohne selbst etwas abzukriegen. Das ginge heute nicht mehr.
Aber wer greift Helfende an? „Das sind meist Randgruppen, im Sucht- oder psychischen Ausnahmezustand“, sagt Adam. Das größere Thema sei aber verbale Gewalt. Die Ursache dafür sieht Henninger auch in falschen Vorstellungen: „Wenn im Nachmittagsfernsehen für jeden blauen Fleck der Rettungsdienst kommt, erzeugt das eine Erwartungshaltung, die wir nicht erfüllen können.“ 40 Prozent der Einsätze sind laut Henninger keine echten Notfälle. Doch viele Menschen wissen sich nicht anders zu helfen. Wenn sie daran gescheitert sind, einen Arzttermin zu bekommen, ist die Frustration von vornhinein groß. „Das liegt am wachsenden Egoismus“, vermutet Adam. „Ich bin wichtig, ich bin hier, alle anderen müssen Rücksicht nehmen.“ Und nicht in allen Kulturen seien Rettungsdienste gleichermaßen be- und anerkannt. Auch deshalb nehmen in einer zunehmend diversen Gesellschaft Probleme zu.
Auf der Straße sind Gaffende ein Problem, die filmen, statt zu helfen oder sogar den Einsatz behindern. Laut Henninger sind das fast immer junge Menschen. Respektlosigkeit erleben die Notfallkräfte aber auch von Älteren. Den Satz einer Passantin vergisst Ina Adam nicht. Während sie einen auf der Straße liegenden Verletzten behandelte, sagte die: „Man muss auch nicht jeden retten“. Und Robin Henninger erzählt von einem Einsatz, bei dem ein ungeduldiger Autofahrer das Rettungsfahrzeug kurzerhand wegfahren wollte, um mit seinem Pkw vorbeizukommen. Solche Ausnahmereaktionen kommen bei etwa fünf Prozent der Einsätze vor, schätzt Henninger. Meistens aber erleben die Helfenden Wertschätzung und Dankbarkeit, auch derer, die den Rettungsdienst fälschlich gerufen haben. „Das macht mich glücklich und wiegt alles andere auf“, sagt Adam. „Es ist und bleibt mein Traumberuf“, betont Henninger.