Christa Porten-Wollersheim unterstützt mit ihrer Firma Fitalmanagement seit mehr als 20 Jahren Unternehmen aller Branchen und Größen bei der Umsetzung von Gesundheitsförderung im betrieblichen Alltag. Hier schreibt die Gesundheitsexpertin über das große Thema mentale Gesundheit in Unternehmen.
VON CHRISTA PORTEN-WOLLERSHEIM
Die Pandemie und alle damit zusammenhängenden Herausforderungen liegen hinter uns, und wir sind wieder im „Business as usual“ angekommen. Ist das wirklich so? Nein, absolut nicht, so unsere Erfahrung. Die (Arbeits-)Welt hat sich verändert. Mobiles Arbeiten, Digitalisierung und New Work haben das Arbeitsleben revolutioniert. Hinzu kommen der demografische Wandel und der damit verbundene Personalmangel, der Generationenwandel von Babyboomer zu GenZ sowie nationale und globale, politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Krisen. Doch wo drückt der Schuh, mit Fokus auf die mentale Gesundheit, bei Unternehmen und wo bei den Beschäftigten genau? Welche Herausforderungen, Chancen und Hebel haben Führungskräfte, um ein gesundes Unternehmen mit gesunden Mitarbeitenden zu bleiben oder zu werden?
Die Anamnese
Zu Beginn steht eine Bestandsaufnahme, nennen wir es Anamnese. Diese wird systematisch über eine Befragung der Mitarbeitenden durchgeführt und mit wichtigen Kennzahlen ergänzt. Da finden wir auf Unternehmensseite häufig folgende Symptome: hoher Krankenstand, insbesondere im Bereich der psychosozialen Erkrankungen, Präsentismus, also die Tendenz trotz Krankheit am Arbeitsplatz zu erscheinen, hohe Fluktuation, innere Kündigung, Mobbing, erhöhte Fehler-und Unfallquote, Konflikte, Frühverrentung. Aus Sicht der Beschäftigten sehen die Symptome wie folgt aus: Über- und Unterforderung, Erschöpfung, Depression, Burnout, Boreout, innere Kündigung, Dienst nach Vorschrift, Mobbing sowie fehlende Wertschätzung.
Diese Ergebnisse belegen Zahlen aus dem Krankenstandbericht 2023 der DAK-Gesundheit: Insgesamt stiegen die Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) um 13 Prozent im Vergleich zu 2022. Der Krankenstand lag 2023 im Durchschnitt bei 5,5 Prozent. Die Analyse ergab 7,4 Prozent mehr Fehltage 2023 aufgrund psychischer Erkrankungen, das heißt eine Steigerung von 301 auf 323 Fehltage je 100 Beschäftigte, also circa 32 Tage pro Jahr und erkranktem Mitarbeitenden. Die meisten Fehltage waren auf Erkältungskrankheiten zurückzuführen, gefolgt von Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems, allerdings mit wesentlich geringeren AU-Tagen.
„Stress ist die Gesundheitsepidemie des 21. Jahrhunderts.“
Die Ursachen liegen aus Unternehmenssicht in der Komplexität, der Digitalisierung und Flexibilisierung der Arbeitswelt, der Arbeitsverdichtung, dem demografischen Wandel und dem daraus resultierenden Personalmangel, den globalen politischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen und Unsicherheiten. Aus Sicht der Mitarbeitenden finden sich die Ursachen neben der allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Unsicherheit, die jedes Individuum wahrnimmt, in der Arbeitsverdichtung, dem Personalmangel, der häufig schlechten Kommunikation, Partizipationsmöglichkeit und Transparenz, der fehlenden Wertschätzung und Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Insbesondere die sogenannte GenZ mit ihrer mehrheitlichen Haltung bei der Life-Balance stellt Organisationen und diverse Teams vor Herausforderungen.
Die Therapie
Welche therapeutischen, sprich präventiven Maßnahmen und Hebel, können dieser Entwicklung Abhilfe verschaffen? Die Einführung eines nachhaltigen, systematischen, betrieblichen Gesundheitsmanagements. Laut WHO ist Stress die Gesundheitsepidemie des 21. Jahrhunderts. Es braucht zielgruppengerechte, niederschwellige Angebote, die die Mitarbeitenden präventiv unterstützen. Ein Teil wird über den gesetzlichen Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit abgedeckt. Seit 2013 schreibt das Arbeitsschutzgesetz die betriebliche Gefährdungsbeurteilung physischer und auch psychischer Belastungen vor (§ 5, Ziffer 6, ArbSchG). Wir empfehlen die Durchführung mit einer niederschwelligen Befragung. Denn wie bei jeder Befragung kommen natürlich Ergebnisse heraus. Diese gilt es ernst zu nehmen, Handlungsempfehlungen daraus abzuleiten und sie mit einem Stufenplan umzusetzen. Darauf sollte das Unternehmen vorbereitet sein.
An der Stelle kann das im Sozialgesetzbuch vorgeschriebene Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) hilfreich sein. Es geht dabei um die Wiedereingliederung von langzeiterkrankten Mitarbeitenden. Da wir die höchsten Fehltage bei psychosozialen Erkrankungen haben, treffen wir auch im BEM vorwiegend auf diese und können die Wiedereingliederung mit sinnvollen Etappen und Maßnahmen begleiten.
„Es braucht mehr als modern eingerichtete Büros, Obstkörbe und eine attraktive Kantine, um den Arbeitsplatz als Place-to-be interessant zu gestalten.“
Im Bereich der mentalen Gesundheit ist ein Mix aus zielgruppengerechten Angeboten zielführend: Präsenz, digital oder hybrid, gesunde Führung, Resilienztraining, Kurse wie Achtsamkeit, Zeit- und Stressmanagement, wertschätzende Kommunikation, Yoga, autogenes Training, Entspannungstechniken und Bewegungsangebote. Viele dieser Maßnahmen der Gesundheitsförderung (BGF) bezuschussen die gesetzlichen Krankenkassen oder Berufsgenossenschaften oder sie können beim Finanzamt bis 600 Euro pro Mitarbeitenden und Jahr geltend gemacht werden.
Weitere Mittel
Das große Feld der Corporate Benefits spielt im Bereich der mentalen Gesundheit und Unterstützung der Mitarbeitenden eine große Rolle. Zur Entlastung von Mitarbeitenden mit kleinen Kindern oder pflegebedürftigen Familienangehörigen gibt es die Möglichkeit der betrieblichen Kinderbetreuung oder phasenweise der Betreuung von pflegebedürftigen Familienangehörigen. Häufig führen nicht nur die Herausforderungen am Arbeitsplatz zu Stress und Überforderung, sondern auch das Privatleben. Dabei können sogenannte Employée assistant programs (EAP) sinnvoll sein. Meist ist das eine Hotline mit einer psychologischen Beratung oder Unterstützung bei der Suche nach einer Kurzzeitpflege oder Überbrückung von Kinderbetreuungszeiten.
Auf organisationaler Ebene ist der Aufbau einer Vertrauens- und werteorientierten Unternehmenskultur sowie die Entwicklung eines Kohärenz- und Wirgefühls ein entscheidender Erfolgsfaktor. Das kann man mit Schulungen, Seminaren und Teambuilding-Events fördern. Face-to-face-Begegnungen und sozialer Austausch im Unternehmen sind in puncto gute Beziehungen, Wohlbefinden, Vertrauen und Zugehörigkeit durch nichts zu ersetzen. Das ist neurowissenschaftlich belegt. Dazu gehören kurze Treffs an der Kaffeemaschine oder auf dem Flur, wie auch gemeinsame Events und Meetings mit sozialem Rahmenprogramm. Dass dies gelingt, stellt die Unternehmen in Zeiten von Remote und New Work vor große Herausforderungen. Es braucht mehr als modern eingerichtete Büros, den berühmten Obstkorb und eine attraktive Kantine, um den Arbeitsplatz als Place-to-be interessant zu gestalten. Nämlich gute Ideen und Initiativen, die Gemeinschaft fördern. Leider steht dies häufig im Gegensatz zum Wunsch vieler Mitarbeitenden flexibel, also egal wann und von wo, arbeiten zu können.
Fazit: Die Relevanz des Themas Gesundheit im Unternehmen ist klar erkennbar. Also handeln Sie jetzt. Im Sinn von Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“
