Am Ende einer dritten Amtszeit wäre der Grüne Dieter Salomon 24 Jahre im Amt – derzeit bereitet sich der Freiburger Oberbürgermeister auf einen Wahlkampf vor, in dem er optimistische Töne anschlägt.
Von Rudi Raschke
Es klingt nach einem neuen Sound, den sich der Oberbürgermeister für die Neujahrsansprache beim offiziellen Händeschütteln der Stadt im Konzerthaus zugelegt hat: Klar verweist er wie gehabt auf Erfolge der Stadt im Kampf um Kita-Plätze und Schulsanierung, den CO2-Rückgang, auf die 1100 neuen Wohnungen jährlich.
Aber Dieter Salomon tut dies mit Worten, die man in den vergangenen Jahren nicht groß gehört hat von ihm: Die größte Geburtenrate der Stadt seit ihrer Gründung zeige den „Optimismus“ der Menschen hier, dreimal setzt er das Attribut „liebenswert“ ein, er lobt neuerdings die „Kreativität“ der 224.000 Einwohner in der „jüngsten Stadt Deutschlands“.
Er malt quasi ein Freiburg, in dem wir gut und gerne leben. Die Probleme der Stadtgesellschaft wie die Angst vor Veränderung in der schnell wachsenden Stadt verschweigt er nicht, auch nicht das schwindende Sicherheitsgefühl. Noch einmal erwähnt er den 15 Monate zurückliegenden Mord an einer Studentin an der Dreisam. Damals gelang es ihm, klare, bedächtige Worte zu finden: Empathie für das Opfer, deutliche Schärfe gegenüber dem mutmaßlichen Täter und eine Abgrenzung von Pauschalurteilen. Ähnlich hat er seither die für seine Stammwählerschaft schwer zu ertragende Debatte um das Sicherheitsgefühl in der Stadt moderiert.
Dass seine Wählerinnen zwar gegen mehr Polizei einstehen, aber sich trotzdem nicht mehr zu joggen trauten, ist in Freiburg eher ein Problem linker Befindlichkeiten als des OB. Auch dass er die örtliche Tradition der „kriminellsten Stadt Baden-Württembergs“ nicht fortführen mag, ist ihm in seinem Amt schwer vorzuhalten. Salomon sagt, er spüre, dass der Wandel einigen zu schnell gehe. In Begegnungen erkenne er ein Grummeln, eine Skepsis. Aufgabe der Politik sei es, das, was er als „Stadtgesellschaft“ bezeichne, nicht weiter auseinander driften zu lassen, sondern zusammenzuführen.
Der parteilose SPD-Kandidat Martin Horn hat bei seiner Vorstellung tags zuvor das „Zuhören“ angemahnt – man kann das auf dessen Eingewöhnung in der Stadt beziehen, aber auch auf Dieter Salomon, dem man hin und wieder unterstellt, er würde die Sorgen der Freiburger ignorieren oder eben nicht hinhören. Tatsächlich steht Salomon praktisch im Dauer-Austausch mit Bürgern. Er dreht keine offizielle Eröffnungsrunde beim sommerlichen Weinfest oder ähnlichen Veranstaltungen, ohne ständig mit weinfestfernen Fragen zum Stadtgeschehen konfrontiert zu werden.
Hin und wieder mit echten Problemlagen, meistens aber von Berufsfreiburgern, die ihm regelrecht auflauern. Salomon kennt praktisch jeden mit Namen und Funktion, Lust und Last eines nunmehr 16 Jahre dauernden Heimspiels. Eine Woche nach der Neujahrsrede nimmt er sich zum Gespräch in seinem Dienstzimmer konzentriert Zeit, er ist heiser, aber vor ihm wird der Tee kalt, zwei Packungen „Ricola“ bleiben ungeschlotzt. Der Besuch bei einem Nachhaltigkeits-Konvent im Historischen Kaufhaus liegt hinter ihm, am späten Nachmittag wird er noch einmal vorbeischauen.
Abends wird er beim Neujahrsempfang der Polizeidirektion sprechen, ehe er noch zur Protektoratsübergabe der „Wühlmäuse“-Narren fährt. Auf den Beginn seiner Amtszeit angesprochen, erinnert er sich daran, dass die ersten vier Jahre „brutal“ gewesen seien: Am Ende der 20 Jahre währenden Ära seines Vorgängers Rolf Böhme, SPD, blickte er in ein Schuldenloch von knapp 300Millionen Euro, das heute zu mehr als der Hälfte ausgebessert ist. Salomon wirkte in diesen Anfängen oft ungehalten gegenüber den Gemeinderäten. Mehr als einmal war ihm anzumerken, dass er sich als Stuttgarter Landtags-Heimkehrer in einem anderen Rennen sah als die ehrenamtlichen Stadträte ihm gegenüber. Trotzdem sagt er: „Wir haben vier Jahre lang kein kleines Rad gedreht, sondern gar kein Rad“. Es gab einen harten Stellenabbau bei der Verwaltung und den städtischen Gesellschaften, 320 Stellen musste er abbauen und hat sukzessive das Personal dem Stadtwachstum wieder angepasst, heute ist die Angestelltenbesetzung auf Rekordstand.
Anders als seinem Vorgänger am Ende war es ihm zum Anfang nicht vergönnt, reihenweise Einweihungen vorzunehmen. Böhme hatte zwei neue Stadtteile in Betrieb genommen, das damals umstrittene Konzerthaus, zu Befriedungszwecken auch gleich noch eine Riesenhalle für die Soziokultur. Eine mögliche Spaltung der Stadt nimmt Salomon weniger drastisch wahr als seine Herausforderer. Als Beleg spricht er von jenen täglichen Begegnungen, wenn er in der Stadt unterwegs ist. Die Verwerfungen seien ihm 2006, als der Stadtbau-Verkauf debattiert und für ihn zu einem verlorenen Bürgerentscheid wurde, weitaus hässlicher entgegen gekommen.
Salomon sagt, er habe ab 2007 „etwas Luft“ gewonnen, ehe er die folgenden zehn Jahre ans Gestalten von Projekten wie dem neuen Rathaus, des Dietenbach-Stadtteils oder dem Stadion-Neubau gehen konnte. Trotzdem benennt er das, was entstanden ist, nicht im Stil „großer Würfe“, oder „Leuchttürme“: Fünf Stadtbahn-Linien sind neu geschaffen oder ausgebaut worden. Die Schulen wurden für 300 Millionen Euro saniert, ein gleich hoher Betrag in diesem Bereich folgt. Und auch die von betroffenen Eltern nicht immer gefeierte Schulkindbetreuung lasse sich die Stadt jetzt 17,5 statt früher 2,5 Millionen Euro jährlich kosten. Nicht zuletzt genehmige sie umgerechnet fast doppelt soviele Wohnungen jährlich wie die Landeshauptstadt. Natürlich konzentriere sich die Aufmerksamkeit in einer „Green City“ auf Leuchttürme wie den „Smart Green Tower“, der gerade im Freiburger Norden entsteht, sagt Salomon.
Es ginge aber genauso darum, ein altes Gewerbegebiet in der Nachbarschaft zu vernetzen, was die Versorgung mit Energie angeht. Oder die bessere Steuerung des Verbrauchs mit dem „Smart Meter“ der badenova. „Die Zeit“ hat Salomon Ende vergangenen Jahres als „Künstler des Möglichen“ porträtiert, aber auch als „Prototyp des Kompromissgrünen“ und als „Hyperrealo“, alles zutreffend. Im Artikel werden schließlich die unverwirklichten grünen Dogma- Ideen in Berlin den vielen kleinen und großen Umsetzungen in Freiburg gegenüber gestellt. Wer sich also wie der Verfasser dieses Beitrags wundert, warum der OB dem Ministerpräsidenten Kretschmann bei dessen Breisgau-Visite im Dezember die gefühlt tausendste Stromzapfsäule-Vorführung samt Lastenfahrrad-Schau beschert hat – es scheint keineswegs selbstverständlich. Salomon sagt dazu, dass es „der Winfried“ durchaus außergewöhnlich fand, dass demnächst die gesamte Rathausflotte Elektro tankt. Somit dürfte auch jedem klar sein, dass bei einer realistischen dritten und letzten Amtszeit niemand wilde Werke oder Unpopuläres von einem Oberbürgermeister Salomon zu erwarten hat.
Er wird weiter die Entscheidungen mit der Verwaltung vorbereiten, für die er auch Mehrheiten erzielen kann. Das dürfte vor allem den Wohnungsbau betreffen, wie sein Rückzug aus der Mooswald-Bebauung belegt. Bei „kleineren“ Themen wird er seinen Co- Bürgermeistern freie Hand lassen. Mit der musealen Alternativkultur wird er es sich beispielsweise nicht verscherzen. Gegenüber der jüngeren Subkultur, die vom städtisch zuständigen Amt nicht mal mit dem Hintern angeschaut wird, wird er wohl keine Intensivierung der Kontakte vornehmen. „Das läuft von selbst“ sagt er knapp.
Mit den Entscheidern im Gemeinderat hat er überwiegend seinen Frieden geschlossen, die meisten trifft er halt auch schon ewig. Salomon kommentiert nur noch selten die Redebeiträge von Rats-Neulingen. Die 48 Gemeinderäte arbeiten mit dem OB am ehesten nach einer Art „Fisherman’s Friend“-Prinzip: Ist er zu stark, sind sie zu schwach. Am Ende des Gesprächs und nach zahllosen Aufritten zum Jahresauftakt zeichnet sich ab, auf welches Fundament er seinen Wahlkampf stellen wird: Da ist eine Faktenebene von Schulsanierungen bis Kita-Arbeit, die sich schwer als „sexy“ oder „cool“ verkaufen lässt. „Das sind Standards, die man hier achselzuckend zur Kenntnis nimmt“, hat er beim grünen Jahresauftakt gesagt. Aber der Überbau ist ebenso klar: Mit seiner Bilanz zwingt er jeden Kandidaten zum Bekenntnis, ein stark pessimistisches Bild von der Stadt zu zeichnen. Um dann als Herausforderer belegen zu müssen, wie ausgerechnet er als politischer Azubi (mit Ausnahme von Monika Stein) es besser machen will als der grüne Rathauschef. Das klingt nach der „Kunst des Unmöglichen“ – unabhängig von gefühlten oder tatsächlichen Wechselstimmungen.