Yvonne Glienke und Julia Steckeler teilen sich seit vier Jahren die Geschäftsführung der Tuttlinger Medical Mountains GmbH, die sich für die Medizintechnikbranche in der Region engagiert. Ein Gespräch über weibliche Stärken, gegenseitiges Vertrauen und die Vorteile der Doppelspitze.
INTERVIEW: KATHRIN ERMERT
Seit wann gibt es das Motto von Medical Mountains „Gemeinsam Spitze in Medizintechnik“? Das könnte ja auch für Sie beide gelten …
Glienke: Das Motto ist in diesem Jahr mit unserem neuen Webauftritt an den Start gegangen. Gemeinsam bezieht es sich auch auf Julia Steckeler und mich sowie unser starkes Team insgesamt, aber eigentlich ist es mehr in Richtung der Unternehmen gemeint. Da haben wir in den vergangenen Jahren wirklich ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen. Daran ist Medical Mountains stark beteiligt.
Wie kam es zu der Doppelspitze?
Glienke Das liegt an mir und hat familiäre Gründe, weil ich 2018 Zwillinge bekommen und beschlossen habe, nicht mehr in Vollzeit, sondern in Teilzeit zu arbeiten. Den Gesellschaftern war es aber wichtig, dass es eine Vollzeitstelle gibt, die die Geschäftsführung macht. Eine externe Lösung mit einem fremden Geschäftsführer, der von außen reinkommt und uns sagt, was Sache ist, konnten wir uns nicht vorstellen. Ich wollte ja nicht aussteigen, nur kürzertreten. Deshalb haben wir den Gesellschaftern vorgeschlagen, dass Julia Steckeler miteinsteigt und wir uns die Geschäftsführung teilen.
„Die Chemie muss genauso stimmen wie die fachliche Kompetenz.“
Julia Steckeler
Steckeler: Ganz wichtige Basis für die Doppelspitze ist, dass Yvonne Glienke und ich immer schon den gemeinsamen Weg gespürt und gesehen haben, dass wir uns in der strategischen Ausrichtung einig sind.
Ist es wichtig, dass Sie sich gut verstehen?
Steckeler: Auf jeden Fall. Die Chemie muss genauso stimmen wie die fachliche Kompetenz. Damit man auch mit Konflikten umgehen kann.
Wie genau haben Sie sich und die Zuständigkeiten organisiert?
Glienke: Thematisch nach Ressorts sowie intern, wer was organisatorisch macht. Das funktioniert reibungslos.
Steckeler: Jede kennt ihren Aufgabenbereich und akzeptiert den der anderen. Zudem stehen wir uns gegenseitig als Sparringspartner zur Verfügung. Es gibt immer die Möglichkeit der Rücksprache für die eigenen Bereiche, was ein Riesenvorteil der Doppelspitze ist, weil man Fragen immer noch mal gemeinsam klären kann.
Und in Prozent der Arbeitszeit?
Steckeler: Wir sind mit 50 und 80 Prozent gestartet und haben inzwischen auf jeweils 80 Prozent aufgestockt.
Was ist bei einer Doppelspitze schwierig, was besser als bei einer Ein-Personen-Führung?
Glienke: Das ist wie in einer Ehe. Natürlich gibt es auch Konflikte und verschiedene Meinungen zu bestimmten Punkten. Aber wir haben einen offenen Umgang miteinander. Wir können das ansprechen und sind nicht nachtragend. Wichtig ist auch: Man muss teilen können – sowohl die Erfolge als auch die Misserfolge. Ein Alphatier kann damit Schwierigkeiten haben.
„Man muss teilen können – sowohl die Erfolge als auch die Misserfolge.“
Yvonne Glienke
Steckeler: Der Vorteil ist, dass jede ihre Stärke und Schwächen hat. Wir können uns gut ergänzen und ausgleichen. Es gehört auch sehr viel Respekt und Akzeptanz dazu. Auch wenn man selbst etwas anders machen würde, heißt es ja nicht, dass die andere es falsch macht. Die Doppelspitze nimmt auch Druck. Bei Krankheit oder Urlaub wissen wir: Die andere ist da und kann sich kümmern.
Unter ihren knapp ein Dutzend Angestellten ist gerade mal ein Mann. Ist das Zufall?
Glienke: Ja. Unsere zwei Männer haben unser Unternehmen verlassen. Wir würden das Team gern mehr durchmischen, hatten aber bei Neueinstellungen nie das Glück, dass die männlichen Bewerber den weiblichen das Wasser reichen konnten.
Was für Erfahrungen machen Sie mit den überwiegend männlichen Chefs in der Medizintechnik?
Glienke: Die Erfahrungen sind durchweg positiv. Ich würde sogar wagen zu behaupten, dass ein Mann mit Medical Mountains nicht so einen Erfolg gehabt hätte wie wir als Frauen. Gerade auf der Vertrauensebene, wo das Netzwerkthema im Vordergrund steht, konnten wir einen Durchbruch erzielen. Medizintechniker gehen eigentlich nicht auf andere zu, es bedarf sehr viel Empathie, um dahin zu kommen, wo die Probleme liegen. Dabei konnten wir unsere weiblichen Stärken nutzen.
Welche sind das außer Empathie?
Steckeler: Wir haben nicht nur das analytisch-strategische Denken – das können wir natürlich auch – sondern auch ein gutes Bauchgefühl. Wir kombinieren Betriebswirtschaftslehre mit Bauchgefühl und liegen oft richtig.
Was nervt, was mögen Sie nicht mehr hören?
Glienke: Wir haben schon das Gefühl, dass eine Frau immer mehr leisten muss als ein Mann in der gleichen Position. Das Gefühl ist seit Beginn da und geht nicht weg.
Steckeler: Man muss sich ständig aufs Neue beweisen. Und wenn mal etwas nicht so läuft, heißt es gern: Na klar, die muss ja auch zuhause sein und sich um die Kinder kümmern, wie soll das funktionieren.
Wie sehen Sie das Thema Frauen in Führung Stand 2022?
Glienke: Es funktioniert, aber es funktioniert weniger mit Familie im Hintergrund. Wie will ich einen großen Konzern leiten, wenn die Schule ausfällt oder die Betreuung wegfällt? Im Kindergartenalter gibt es noch super Betreuungs- und wenige Schließzeiten. Aber mit der Einschulung wird es schwierig. Wie soll ich 72 Ferientage mit 30 Urlaubstagen abdecken? Selbst wenn mein Mann und ich komplett getrennt Urlaub nehmen, fehlen noch über zwei Wochen Betreuung. Das kann doch nicht sein. Da kann man doch keine Frauenquoten einführen, wenn schon das System nicht stimmt.
Steckeler: Weibliche Führungskräfte brauchen Rückhalt – entweder familiären vom Partner und von Großeltern oder von Nannys. Das sollte schon in der Bezahlung einkalkuliert werden. Die Gehälter von Frauen in Führung müssten nicht nur an die männlichen angeglichen werden, sondern auch ein Plus für die Betreuung enthalten.
Halten Sie Kinderbetreuung für die Zuständigkeit der Frauen?
Steckeler: Gesellschaftlich wird es nach wie vor so gesehen. Und wir müssen ehrlich sein: Papas können fast alles, wir haben beide tolle Männer an unserer Seite. Aber manchmal muss es eben die Mama sein. Außerdem scheint mir das Verständnis für kinderbetreuende Väter und somit für eine komplett gleichberechtigte Kinderbetreuung noch nicht gegeben.
Yvonne Glienke: (42) stammt aus Schonach, Ausbildung zur Steuerfachangestellten und Studium Wirtschaftsingenieurwesen in Furtwangen. Sie arbeitete erst beim Tuttlinger Medizintechniker Karl Storz im Produktmanagement, wechselte dann zur IHK in Villingen, wo sich unter anderem um Unternehmensnetzwerke kümmerte und deshalb 2010 den Aufbau von „Medical Mountains“ übernahm.
Julia Steckeler (41) hat nach dem Abitur in Tuttlingen im Tourismus gearbeitet, dann International Business Administration an der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen und bei Karl Storz absolviert. Nach ihrem Master in Marketing und PR in Sheffield, ging sie nach Madrid und arbeitete zunächst in der Werbung. Im Anschluss an die Elternzeit ihrer zweiten Tochter ist sie bei Medical Mountains eingestiegen.
Medical Mountains GmbH ist eine Clusterorganisation für Medizintechnikunternehmen in Tuttlingen, die 2010 von der IHK und sechs weiteren Gesellschaftern gegründet wurde. Yvonne Glienke kümmerte sich anfangs als Einzelkämpferin um den Aufbau. Mittlerweile hat die GmbH elf Mitarbeitende und betreut mehr als 300 Medizintechnikunternehmen. Sie finanziert sich eigenständig mit Veranstaltungen, Service, Publikationen sowie anderen Projekten und setzt rund eine Million Euro jährlich um.