Als die Kollegen vor zwei Jahren wegen Corona zuhause im Homeoffice gearbeitet haben, war das ein Notfallplan.
VON UDO MÖBES
Viele Unternehmen haben geschafft, was sich viele Zweifler nicht vorstellen konnten. Wer hatte aber auf dem Zettel, dass daraus nun ein Dauerzustand entstanden ist? Auch ohne Corona! Kollegen aus der Software-Branche, Kreativ- und Agenturwelt arbeiten inzwischen von zuhause aus. Genauso die Kollegen aus Marketing, Vertrieb, Personal, Finance, IT, Forschung etc. in großen Unternehmen und Konzernen.
Nur die Betriebe, deren Arbeit vor Ort erbracht werden muss, sind davon verschont. Dazu zählen zum Beispiel Gastronomie, Ärzte, Handwerk und Produktion. Die spannende Frage könnte sein, ob diese Jobs dann in Zukunft noch attraktiv genug sind?
Turbo Personalmarkt
Parallel zu Corona hat sich der Fachkräftemangel verstärkt. Bevor ich keinen neuen Mitarbeiter gewinne, ist „All-in“ die Chance! Die Gehälter sind gestiegen. Die Headhunter freuen sich. Und inzwischen kommt so langsam auch der zufriedenste Mitarbeiter ins Grübeln, ob er nicht die Chance des Lebens verpasst. Die Personalwelt ist in Unruhe.
Dafür haben andere Themen an Relevanz verloren. War der Dienstwagen früher ein Anreiz, so ist er im städtischen Umfeld unkomfortabel. Beim Homeoffice nicht erforderlich und ökologisch nicht cool. Genauso konnte man früher mit Karrieremöglichkeiten buhlen. Inzwischen schränkt das die eigene Komfortzone eher ein. Wie passt das zu meinem geplanten Sabbatical? Dafür stehen Flexibilität der Zeitplanung und der Arbeitsort im hohen Kurs.
Joker: Mallorca?
Konzerne posaunen es schon länger heraus: Jeder kann selbst entscheiden, von wo aus er in Zukunft arbeiten möchte. Nicht nur ob im Office oder von zuhause. Wie wäre es damit, dort zu arbeiten, wo andere gerne Urlaub machen? Einzige Vorgaben sind dann noch, dass man dann „nur“ bis zu drei Monaten aus einem EU-Land arbeiten darf! Wie wäre es mit einem Monat außerhalb der EU? Inwiefern man das jemals in seinem Leben wirklich macht, spielt keine Rolle. Für Menschen, die sich gerne so viele Optionen wie möglich offenhalten, ist das natürlich sehr „sexy“.
Geht alles online?
Viele Unternehmen sind happy, wie gut alles Remote funktioniert. Die Projekte sind agil aufgesetzt und werden so organisiert. Es gibt tägliche Stand-ups bei denen man erfährt, was gerade anliegt.
Ok, es läuft vielleicht schon vieles scheinbar schnurgerade durch, aber haben auch persönliche Themen noch ihren Platz? Werden Konflikte noch angesprochen oder eher runtergeschluckt? Oder treffen sich online dann nur noch die Schnellversteher, die keine Probleme haben, um den Schein zu wahren, dass man alles im Griff hat?
Vielleicht sind solche Themen dann wieder die Chance für Präsenz-Treffen im Büro? Als Platz der Begegnung, bei dem man sich ein bis zwei Tage pro Woche in den Teams treffen kann.
Büroflächen radikal umdenken?
Macht es dann noch Sinn, Arbeitsplätze vorzuhalten, wenn diese nicht mehr genutzt werden? Sogar Einzel-Arbeitsplätze, wenn Kollegen vielleicht nur einmal im Monat vorbeischauen? Bisher waren Büros Leuchttürme des Unternehmenserfolgs. Je grösser, desto besser! Aber wie ist die Wirkung, wenn die meisten Lichter aus sind?
Und wie fühlt sich die Handvoll Kollegen, die sich in einem geisterhaften Büro aufhält? Spätestens nach dem Anstieg der Energiekosten sollte darüber nachgedacht werden, wie sinnvoll es ist, das ganze Haus aufzuheizen? Was passiert mit der Kantine, wenn man nicht weiß, wer da ist und wer etwas isst? Und woher weiß die Putzfirma, wo sie putzen soll?
Wieviel Fläche wird in Zukunft wirklich noch benötigt? Wer ursprünglich für seine 200 Mitarbeiter noch Einzelarbeitsplätze hatte, dem reicht vielleicht ein großer Raum, in dem bis zu 30 Mitarbeiter workshoppen können. Am Montag trifft sich immer Team A, am Dienstag Team B und so weiter. Vielleicht sind noch 30 Working-Spaces erforderlich, in denen Langzeit- und temporäre Office-Worker einen Platz finden. Für das jährliche Townhall-Meeting in Präsenz wird eine Turnhalle oder eine Konzerthalle gebucht, anstatt diese das ganze Jahr vorzuhalten.
Wer sich traut, konsequent zu handeln, kann so 50 Prozent, wenn nicht sogar 70 Prozent der Kosten reduzieren.
Gewinner: Familie
Vorausgesetzt, das Arbeiten im Home-Office funktioniert wirklich gut, dann ist das für das Familiäre eine große Errungenschaft: Die täglichen Aufwände für An- und Abreise ins Büro entfallen. Sie reduzieren sich auf ein paarmal im Monat. Man gewinnt so auf jeden Fall mehr Zeit für daheim. Der Start in den Tag ist mit weniger Hektik verbunden. Die familiären Aufgaben können flexibel organisiert werden. Die Essenszeiten sind entspannter, da alle da sind. Vielleicht ist auch die „Eigenzeit“ für die Eltern grösser.
Insgesamt wird man viel mehr Zeit für den Kontakt mit seinen Kindern und vermutlich auch mit seinem Partner haben. Vielleicht kann man sich dann auch noch um Oma oder andere hilfsbedürftige Verwandte kümmern. Ein sozialer Zugewinn, den man eigentlich nicht hoch genug einschätzen kann.
Udo Möbes ist selbstständiger Berater, Trainer und Business-Coach und betreibt seit 2015 mit seiner Frau Ulrike Peter das Seminarhaus „Saiger Lounge“ im Schwarzwald. Er begleitet Change-Prozesse in Unternehmen und coacht Geschäftsführer-Teams oder einzelne Führungskräfte. Für das Digital-Unternehmen Virtual Identity mit 180 Mitarbeitern in Freiburg, München und Wien war er zuvor 16 Jahre lang an der Spitze tätig, davor arbeitete er 11 Jahre für die Haufe Mediengruppe. Udo Möbes gibt an dieser Stelle regelmäßig seine Erfahrungen mit Coaching-Themen an unsere Leser weiter. www.moebes.de