Immer mehr Firmen nutzen immer mehr digitale Kanäle. Sie wollen dort Kunden oder potenzielle Mitarbeiter treffen. Doch die Netzwerke sind kein Erfolgsgarant. Torsten Boschert von der Agentur Sichtwechsel rät zu mehr Gehalt und Qualität in den Botschaften und warnt davor, sich orientierungslos in den sozialen Kanälen zu verlaufen.
VON CHRISTINE WEIS
Facebook, Instagram, LinkedIn, Pinterest, WhatsApp, Snapchat, TikTok, Twitter, YouTube, Xing – die Liste ließe sich fortführen, denn ständig kommt Neues hinzu oder verschwindet wieder. Das Angebot an Kommunikationskanälen in der Onlinewelt ist riesig, immer mehr Firmen sind auf den Portalen aktiv. Sie wollen damit bekannter werden, Absatzmärke erschließen, Mitarbeiter gewinnen oder das Image aufpolieren. Das Statistische Bundesamt vermeldet, dass knapp die Hälfte aller deutschen Unternehmen im Jahr 2019 Social-Media-Plattformen verwendeten. Der Bevölkerungsanteil der Social-Media-Nutzer lag 2020 bei 54 Prozent, Tendenz steigend. Dabei ist laut einer Online-Studie von ARD und ZDF Instagram mit 15 Prozent am beliebtesten, gefolgt von Facebook mit 14 Prozent. Twitter liegt bei acht Prozent. Der Facebook-Konzern beziffert die Nutzer von Facebook in Deutschland auf 32 Millionen monatlich. Für Instagram gibt er nur weltweite Daten an: Das sind mehr als eine Milliarde Konten.
Bei solchen Zahlen klingeln die Ohren von Marketern und Vertrieblern. Aber was bringen die Kanäle wirklich? Torsten Boschert, Experte für Markenkommunikation aus Oberkirch, empfiehlt speziell kleinen und mittelständischen Unternehmen, nicht jedem Trend hinterherzulaufen und sich nicht von Statistiken und Reichweiten blenden zu lassen. Die Quote (Interaktionsrate) relevanter Kontakte auf Instagram und Co., die etwas kaufen, weiterempfehlen oder bewerten, sinke beständig. Es sei denn, man investiere hohe Werbebudgets in zielgenaue Social-Media-Kampagnen. Dies lohne sich für kleine Marken allerdings selten.
Wichtig sei es, seine Zielgruppe zu kennen und zu wissen, in welchen analogen und digitalen Welten sie unterwegs sind. Facebook steht zwar bei den 50-Jährigen noch im Kurs, deren Kinder kennen das Netzwerk schon nicht mehr. Auf YouTube treffen sich die Generationen, aber bestimmt klicken sie nicht dieselben Videos an. „Entscheidend sind zielgruppen- und wirkungskreisorientierte Inhalte. Dabei steht der Kanal erst an zweiter Stelle und Social Media ist selten die erste Wahl “, sagt Boschert.
Inhalt und Zielgruppe sollten zusammenpassen
Mit seiner Agentur Sichtwechsel hat sich der 40-Jährige seit 15 Jahren auf Markenstrategie und Unternehmenskommunikation spezialisiert. In seinen Augen werden tagtäglich zu viele Informationen verbreitet, die dann auf der Suche nach dem passenden Empfänger umherirren. „Die Kommunikatoren überschätzen die Fähigkeit und Möglichkeit der Rezipienten, diese Botschaften überhaupt zu empfangen, zu verstehen und zu verankern“, sagt Boschert.
Wenn ich nichts zu pfeifen habe, dann lass ich es und strapaziere nicht unnötig das Zeit- und Aufmerksamkeitskonto des Adressaten.
Torsten Boschert
Informationsökonomie nennt er seine Maxime: Das heißt, nur so viel zu kommunizieren, wie notwendig ist, um den gewünschten Ertrag zu erreichen. Das klingt nach dem Grundsatz „weniger ist mehr“. Dieses Weniger ist allerdings gehaltvoll und die eigentliche Qualität guter Kommunikation. Denn Inhalte (im Fachjargon „Content“) müssen Produkt und Unternehmen authentisch und verständlich vermitteln. In welcher Form – Text, Bild, Film oder Podcast – bestimmt Art, Inhalt und Zweck der eigentlichen Botschaft.
Boschert erläutert seine Herangehensweise am Beispiel einer regionalen Firma für Holzbausysteme. „Bevor wir eine neue Webseite oder andere Bausteine produzieren und PR-Kampagnen starten, geht es darum, das Wesen des Unternehmens zu erfassen, und zwar vom Produkt, über die Vertriebsstrukturen bis hin zum strategischen Plan des Unternehmens für ein ganzes Portfolio oder einzelne Teile“, erläutert Boschert, „es genügt nicht, etwas toll zu designen. Denn Kommunikation ist mehr als das.“
Im Falle des Holzbausystembauers konnte er in Zusammenarbeit mit dem Management unter anderem bestimmte Produktgrößen und -eigenschaften sowie den regionalen Rohstoffbezug als Alleinstellungsmerkmale herausarbeiten. Diese Besonderheiten bestimmen die gesamte Unternehmenskommunikation, mit der man sich an Abnehmer und Multiplikatoren richte. Damit sei die Arbeit noch lange nicht abgeschlossen. Er mache keine Projektarbeit, sondern betreue seine Kunden über Jahre. Dabei achtet er streng darauf, dass die Agentur nur eine Marke pro Markt und Branche betreut. Entsprechend breit ist das Kundenspektrum vom Brennerei-Hersteller Müller aus Oberkirch (netzwerk südbaden berichtete) bis zu international agierenden Verbänden wie der EPAL Deutschland. Die Exklusivität der Kundschaft in einem Segment schmälert auf der anderen Seite sein eigenes Wachstumspotential, aber viel mehr wachsen will er nicht, sonst würde er irgendwann nur noch verwalten. Sechs Mitarbeiter umfasst sein Team vor Ort.
Kommunikation funktioniert on- und offline
Keine Internetpräsenz zu haben, kann sich heute kein Unternehmen mehr erlauben – und sei es der kleine Handwerkerbetrieb auf dem Dorf. Die Webseite ist für Boschert das digitale Herzstück. Egal, ob der Besucher über Instagram oder eine Google-Suchanfrage auf die Webseite gelangt: Hier sollte er auf gut strukturierte Informationen treffen, mit dem Unternehmen interagieren können und zum Kunden werden, der wieder kommt.
Eigentlich wollte das Durbacher Weingut Andreas Männle vor fünf Jahren „nur“ einen neuen Webauftritt. Die alte Seite war in die Jahre gekommen, ein Generationenwechsel stand ins Haus, das 100-jährige Jubiläum nahte und man dachte über Wachstumsmärkte nach. Sichtwechsel erarbeitete mit der Winzerfamilie eine umfassende Kommunikationsstrategie. Heute gibt es neben der Webseite, „Schwarzwald. Wein. Gut“ als Markenerweiterung, dazu eine Online-Vinothek, ein neues Etikettendesign, einen zunehmend überregionalen Kundenstamm und ein nennenswertes Wachstum.
Den Erfolg brachte eine Mischung aus digitalen und analogen Maßnahmen, etwa die Google-Optimierung oder Veranstaltungen mit wirksamer Presse- und Besucherresonanz. Bilder vom Weinberg-Picknick oder dem Jubiläumsfest finden sich auf vielen Smartphones und Social-Media-Kanälen der Gäste.
Wenn andere die Kommunikation für die eigene Marke übernehmen, ist das optimal.
Torsten Boschert
Männle ist übrigens auf Facebook und Instagram aktiv, dort wird gerade der neue Weißwein Cuvée „Kellerkind“ in Szene gesetzt, den man offline im Weingut kaufen kann.