Die Stadt Lahr hat am Flugplatz immer noch riesige Flächen verfügbar, auch nach der Ansiedlung von Zalando. Die örtliche Wirtschaftsförderung arbeitet dennoch an einer umsichtigen Dosierung und setzt auf Mittelstand und Gründer.
VON RUDI RASCHKE
Es war ein Paukenschlag, als sich der Versandhändler Zalando im Jahr 2016 nahe der Landebahn des einstigen kanadischen Airports angesiedelt hat. Seither sind viele weitere Unternehmen auf dem Areal gelandet, man denke an Nela, Schrempp EDV und Kohler Maschinenbau. Und es sind immer noch Flächen mit rund 85 Hektar verfügbar, das entspricht knapp 120 Fußballfeldern.
So könnte der Ansatz für die nächsten Jahre „Think big“ lauten. Zumal der konvertierte, vom kanadischen Militär 1994 aufgegebene Airport tatsächlich Möglichkeiten bietet, die kein vergleichbares Gewerbegebiet in Südbaden liefern kann. Neben der Größe gehört die unschlagbare Mobilität dazu: Aus der Luft, direkt an der Autobahn, eines Tages vielleicht auch noch mit bessere Anbindung an die Rheintalbahn – und nicht zuletzt der nahe Rheinhafen Kehl.
Dennoch denken sie im Lahrer Rathaus schon einige Schritte weiter. Seit 2019 wird es vom parteilosen Markus Ibert, 54, als Oberbürgermeister geführt. Michael Voigt, 37, ist zustandig für die Wirtschaftsförderung der auf rund 48.000 Menschen angewachsenen Gemeinde. Er sagt, dass die Flächenverfügbarkeit tatsächlich ein großes Pfund sei, “mit dem wir wuchern könnten. Trotzdem ist sie endlich”. Die Stadt und das Lahrer IGZ, das Kürzel steht für Industrie- und Gewerbezentrum, haben dagegen eher die maßvolle Entwicklung nach der großen Entwicklung im Blick, und hier stehen andere Herausfor-derungen als schlichte Größe an.
Das ergibt sich allein schon durch die Auswirkungen der bisherigen großen Ansiedlungen am Lahrer Flugplatz. Michael Voigt erklärt, dass die Arbeitsmarktdaten für das einst schlecht abschneidende Lahr dadurch deutlich gesteigert worden seien. Thema seien daher jetzt eher Zukunftsbranchen mit klar lokalem Bezug. Bei der Ansiedelung eines neuen Werks von Julabo aus Seelbach habe beispielsweise im Rathaus Grundeinigkeit geherrscht, dass hier auch “überregionalwirtschaftliche Wertschöpfungsketten” eine Rolle spielen, sagt Voigt. Das Temperiertechnik-Unternehmen wird kommendes Jahr auf 5000 Quadratmetern bauen.
Lahr, das ist ein mittelständischer Standort mit traditionell wachsender Industrie. Für eine funktionsfähige Stadt braucht es aber durchaus auch Handwerk und Gründer aus unterschiedlichsten Dienstleistungsbetrieben. Dazu gehören aus Sicht von Wirtschaftsförderer Voigt Gründer kleinerer Industriebetriebe ebenso wie jene, die mit Beratung oder Digitalisierungs-Expertise bei der Transformation helfen. Themen aus der Künstlichen Intelligenz wie der Automation gehören dazu, wenn die Gewerbeflächen der Kommune weiter wachsen sollen.
Dazu zählen auch Flächen für kleine und mittlere Unternehmen und Handwerk in Lahr-Langenwinkel, aber auch Potenziale im Industriegebiet West. Hinzu kommt das Postareal und weitere Gebiete – alles in allem sind noch 100 freie Hektar im Rennen.
Der Wirtschaftsförderer Michael Voigt sagt hierzu, dass es sehr konkrete Vorstellungen gibt, wie die kleineren Gebiete zu Bauherrn und Pächtern kommen. Sie fügen sich zu einem, der Begriff sei erlaubt, quasi ganzheitlichen Ansatz: ‘”Wir brauchen auch die Elektrofachbetriebe und den Hausmeisterdienste”, sagt Voigt dazu. Unübersehbar: Die Kleinen sind essenziell, dass sich weiterhin Große ansiedeln. Und die Wechselwirkung existiert auch umgekehrt, was Aufträge angeht.
Die Anstrengungen für die Gemeinde finden auch im Projekt Startkla(h)r ihren Ausdruck. Für Start-ups sei dies unter den genannten Rahmenbedingungen ein guter Standort, um erste Kunden zu gewinnen. Gerade im Fall von regionaler Business-to-Business-Verbindungen sei der Schwarzwald mithin geeig-neter als Berlin.
Bleibt die Frage nach der Innenstadt. Wer über den Lahrer Standort spricht, tut dies meist vom westlichen Stadtrand, dem Flughafen-Areal, aus. Die Innenstadt ist ebenfalls Gegenstand diverser Überlegungen: Vor allem das brach liegende Postareal braucht ein frisches Nutzungskonzept, das gemeinsam mit der Volksbank entwickelt werden soll. So aktiv wie die Gewerbegebiete soll in den kommenden Jahren auch die Innenstadt begleitet werden. Voigt sagt, dass das Rathaus bei der Transformation der Innenstadt ebenfalls “die Hände nicht in den Schoss legen” wolle.
Der Bestand an Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen sei noch vergleichsweise gut in der City. Mit dem Gemeinderat habe sich das Rathaus aber verständigt: Was an Einzelhandel aufgegeben wurde, kann auch durch andere Gewerbeformen ersetzt werden. Denkbar seien weitere Dienstleistungen, Büros oder kleinere Handwerksbetriebe.
Für die Stadt, die sich als Dienstleister, aber auch als Impulsgeber für mehr Nachhaltigkeit versteht, fasst Michael Voigt die weiteren Aussichten des Wirtschaftsstandorts so zusammen: „Wir wollen nicht einfach nur verkaufen, sondern entwickeln.“ Dazu gehöre ein überregionaler Ansatz bei der Fachkräftegewinnung ebenso wie bei der Mobilität.
Dass aber nicht komplett die Sonne über Lahr scheint, dafür sorgt hin und wieder Martin Herrenknecht. Der Tunnelbauer aus Schwanau ist Geschäftsführer der Lahrer Flugbetriebs GmbH, deren Träger die Herrenknecht Verwaltungsgesellschaft ist. Herrenknecht will einem Windpark oberhalb des benachbarten Ettenheim den Bau verweigern. Angeblich sei der Wirtschaftsbetrieb des Flughafens mit Blick auf die Sicherheit mehrerer Routen gefährdet. Die Befürworter argumentieren, dass Gutachten und Genehmigungen auf ihrer Seite seien, der Windpark sei bei lediglich drei Flugbewegungen in den vergangenen vier Jahren im Weg gewesen.
Markus Ibert, der als Mann des Dialogs auftritt, wird den Ausgleich finden müssen zwischen einem recht stattlichen Flughafen, an dem sich einiges dreht, und seinen Überzeugungen für Nachhaltigkeit und Energiewende. Kein ganz kleiner Konflikt in einer Gemeinde, die sich neben dem Großen verstärkt den Details verschrieben hat.