Sich mit Obst und Gemüse aus der Region zu versorgen, das im besten Falle selbst angebaut ist – es ist möglich. Verschiedene Initiativen aus der Region beweisen das. Drei Beispiele.
VON SUSANNE MAERZ
Tomaten, Zucchini, Gurken und Salat – all dies sowie andere saisonale Gemüse ernten Mitarbeitende und Mitglieder des Vereins „SoLaVie“ beim Fototermin im Juli auf ihren Feldern rund um Neuried-Altenheim. „Wir bauen alles an, was bei uns rund ums Jahr wächst“, sagt das Vereinsmitglied Marlene Werfl. Auf insgesamt 6,5 Hektar Land stehen drei Folientunnel. Die meisten der rund 60 Gemüsesorten wachsen unter freiem Himmel. Die Geräte und der jüngst angeschaffte Traktor lagern in einer Halle in Altenheim. Dort sammeln die Helfer auch das geerntete Gemüse, bevor sie es zu den elf Abholstellen in der Umgebung bringen. Das Besondere: Es gibt hierfür keinen Bauernhof.
Dass „SoLaVie“ – der Name steht für solidarisch landwirtschaften und leben – weder über einen Hof verfügt noch mit einem zusammenarbeitet, ist eine Besonderheit des Projekts. Vor rund sieben Jahren stellten es eine Handvoll Frauen und Männer aus Offenburg und Umgebung auf die Beine. Junge und Ältere mit unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten und Beweggründen. „Für die einen stand die Versorgung mit wohnortnah und ökologisch erzeugtem guten Gemüse im Vordergrund“, sagt Marlene Werfl, „anderen war es außerdem wichtig, ein Teil der Agrarwende zu sein.“
Seit dem ersten Anbaujahr 2016 hat sich die Menge des angebauten Gemüses und der Menschen, die es beziehen, fast verdreifacht. Inzwischen versorgen die Vereinsmitglieder, die drei fest angestellten Gärtnerinnen und mehrere geringfügig Beschäftigte circa 170 Haushalte. Und zwar mit allem, was gerade auf den Feldern wächst. Die Nachfrage nach Ernteanteilen ist weiterhin größer als das Angebot. Wer einen Ernteanteil erwirbt, verpflichtet sich, ein Jahr lang Gemüse abzunehmen und zahlt, so viel er kann oder es ihm Wert ist. „Es gibt aber Richtwerte“, sagt Marlene Werfl. Nicht alle Vereinsmitglieder beziehen auch Gemüse. Manche sind reine Unterstützer. Und viele, auch Externe, helfen mit zinslosen Darlehen oder Spenden, die Investitionen zu finanzieren. „Anders würde unsere solidarische Landwirtschaft auch nicht funktionieren“, sagt Marlene Werfl.
Gegengewicht zu globalen Lieferketten
Im Gegensatz zu „SoLaVie“ baut die Regionalwert AG mit Sitz in Eichstetten am Kaiserstuhl selbst nichts an. Sie verfolgt aber ein ähnliches Ziel: „Unser Geschäftszweck ist der Aufbau von resilienten regionalen Wertschöpfungsräumen“, sagt der Gründer und Vorstand Christian Hiß. Die Intention, mit der er und seine Mitstreiter vor 15 Jahren starteten, ist aktueller denn je: „Es hat uns bekümmert, dass die Versorgung der Bürger an globalen Lieferketten hängt“, sagt der gelernte Landwirt, Gärtner und Ökonom. Schon damals sei das meiste Saatgut aus China bezogen worden, Stickstoffdünger aus Russland sowie der Ukraine, und die Arbeitskräfte reisten aus Osteuropa an. Die Regionalwert AG setzt dem regionale Wertschöpfung entgegen. Dafür beteiligt sie sich an verschiedenen Betrieben der Umgebung und unterstützt diese entweder bei der Gründung oder beim Wachstum. Dazu zählen das Weingut Dilger in Freiburg, der Obsthof Kiechle in Schallstadt-Mengen und derKita-Caterer Zwergenküche aus Endingen. Die Beteiligungen starten bei fünf und reichen bis zu hundert Prozent.
“Die Versorgung der Menschen in der Region muss gewährleistet werden.”
Christian Hiß, Regionalwert AG
Letzteres ist beim Freiburger Biorestaurant Adelhaus der Fall. „Wenn wir zum Beispiel zu dem Urteil komnetzwerkmen, dass wir eine Biogastronomie in Freiburg brauchen, gründen wir auch eigene Unternehmen und suchen dafür Geschäftsführer“, nennt Christian Hiß den Grund. Ein aktuelles Projekt ist das einer Großküche für regionales, biologisches Schulessen. „Es fehlt an der nötigen Infrastruktur. Die werden wir bereitstellen“, sagt Christian Hiß. „Und wir suchen Pächter, die darin Speisen herstellen.“
Um Projekte wie diese zu stemmen, gibt die Regionalwert AG regelmäßig neue Aktien aus. Fast alle rund 1000 Aktionäre sind Privatpersonen. Das Kaiserstühler Unternehmen war das erste seiner Art. Inzwischen gibt es deutschlandweit neun weitere Regionalwert AGs mit insgesamt 8000 Aktionären. Das Potenzial ist für Hiß unbegrenzt. Denn, so betont er: „Die Versorgung der Menschen in der Region muss gewährleistet werden. Das ist das Ziel.“
Existenzen mit Expansion gesichert
Bereits seit mehreren hundert Jahren versorgen die Gärtner der Insel Reichenau Menschen in der Region mit Gemüse. Seit 1956 hilft ihnen dabei die Genossenschaft Reichenau Gemüse. Das Motto von Geschäftsführer Johannes Bliestle: „Wer bewahren will, muss verändern.“ Die Struktur auf der Reichenau ist traditionell kleinteilig. Vor allem Familienbetriebe bewirtschaften im Schnitt eineinhalb bis zwei Hektar mit vielen kleinen Gewächshäusern darauf. Zusammen kommen sie auf 120 Hektar. Mehr Platz ist auf der Reichenau nicht. In einer Zeit, in der Landwirtschaft von Großbetrieben dominiert wird, reicht dies nicht aus, um auf Dauer bestehen zu können.
“Wer bewahren will, muss verändern.”
Johannes Bliestle, Reichenau Gemüse
Daher machte Bliestle mit der Genossenschaft im Jahr 2011 den Schritt aufs Festland. Im Hegau mit seinen fruchtbaren Vulkanböden fanden sie Platz, um Biolandwirtschaft in größerem Stil zu betreiben und dafür auch große Gewächshäuser zu errichten. Drei Gärtnersiedlungen sind hier entstanden – in Beuren, Aach und Mühlingen. Die Genossenschaft stemmte unter anderem die Investitionen in die Infrastruktur. „Mit der Expansion haben wir die Zukunft der Familienbetriebe und die regionale Gemüseversorgung gesichert“, sagt Bliestle.
Einige Mitglieder der Reichenauer Betriebe pflanzen im Hegau inzwischen auf 80 Hektar Freilandfläche und 24 Hektar Gewächshäusern vor allem Biogurken, -tomaten und -paprika an. Da in jeder Siedlung mehrere Familien gemeinsam wirtschaften, können sie sich nun gegenseitig aushelfen und – anders als kleine Familienbetriebe – auch während der Saison Urlaub machen. „Das ist ein wichtiger Faktor“, sagt Johannes Bliestle. Gleichwohl macht der Strukturwandel in der Landwirtschaft auch vor den Genossen nicht halt. Die Zahl der Betriebe ging 2021 um 10 auf 50 zurück. „Aber die Anbauflächen wurden von anderen Betrieben übernommen“, berichtet der Geschäftsführer.
Die Genossenschaft vertreibt ihr Gemüse in ganz Süddeutschland. Größter Kunde ist der Lebensmitteleinzelhandel, darunter Edeka Südwest, ein großer Abnehmer beispielsweise der Biopaprika. Das große Biosortiment ist laut Bliestle der Hauptgrund für die gute Entwicklung der Genossenschaft. Der Umsatz hat sich bei gleicher Menge in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt.
Die gestiegene Nachfrage nach regionalem Gemüse in der Coronapandemie hat für einen weiteren Schub gesorgt. Der Umsatz legte 2021 um rund 14,6 Prozent auf 41,4 Millionen Euro zu. Der Bioanteil stieg auf knapp 50 Prozent. Wie sich dies angesichts der Inflation entwickelt, ist derzeit ungewiss. „Wir merken einen fast kompletten Paradigmenwechsel“, sagt Bliestle. Die Verbraucher kauften derzeit Bio fast nur noch in Discountern. „Das spüren wir deutlich.“