Vorreiterkommune in Sachen Klimaschutz, attraktiver Standort für Unternehmen und lebenswerter Ort für die 14.000 Bewohner: Die Gemeinde Denzlingen probiert den Spagat.
TEXT: KATHRIN ERMERT | FOTOS: ALEX DIETRICH
Auf dem Tisch im Bürgermeisterbüro liegt die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Geo. Darin: Ein seitengroßes Foto von Markus Hollemann auf einer Photovoltaikanlage liegend. Es illustriert den Bericht „Einfach mal machen“ über die Aktivitäten von kleinen Städten und Gemeinden in Sachen Nachhaltigkeit – unter anderem von Denzlingen. Doch der Bürgermeister ist nicht ganz zufrieden. „Wir haben so lang über so vieles gesprochen und herausgekommen ist nur ein kleiner Text“, sagt Hollemann. Der Rathauschef ist überregionale Medienpräsenz gewohnt – auch Spiegel, Deutschlandfunk, Zeit online und „taz“ berichteten schon über die 14.000-Einwohner-Gemeinde am Eingang von Elz- und Glottertal.
Denn Denzlingen geht immer wieder voran. Die Kommune war zum Beispiel vor mehr als zehn Jahren eine der ersten, die komplett auf Ökostrom umgestellt, das Strom- und Gasnetz zurückgekauft und eine Bürgerenergiegenossenschaft gegründet hat. Und die eines der ersten Förderprogramme für energiesparende Haushaltsgeräte gestartet sowie Dachflächen von Mehrfamilienhäusern angemietet hat, um darauf PV-Anlagen installieren zu können. Wegen solcher Aktivitäten hat das Land Baden-Württemberg Denzlingen dieses Jahr als Vorreiterkommune auf dem Weg zur Klimaneutralität ausgezeichnet. Auch die Initiative, die Einwohner zum Wohnungstausch motivieren sollte, fand überregionales Interesse. Am größten war das Medienecho auf die eigene Abwrackprämie für Autos mit Verbrennermotoren, die Denzlingen 2020 auslobte.
„Handeln statt reden – mir ist wichtig, dass es voran geht“, sagt Hollemann. Das sei seine Motivation gewesen, in die Politik zu gehen. Der 51-jährige Betriebswirt ist als einziger Bürgermeister in Baden-Württemberg Mitglied der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP). Er hat in einer Umweltorganisation gearbeitet, ehe ihn die Denzlinger 2009 das erste Mal zum Bürgermeister wählten. Hollemann stammt aus München, wo er 2008 als Oberbürgermeister kandidierte und 2015 fast Umweltreferent geworden wäre. Die Besetzung scheiterte an seiner Mitgliedschaft in einer Antiabtreibungsorganisation und sorgte in Baden und Bayern für Aufruhr. In Denzlingen beruhigten sich die Gemüter bis 2017 – Hollemann wurde wiedergewählt.
Lebenswertes Sandwich
Ein städtisches Dorf oder eine dörfliche Kleinstadt? Denzlingen ist beides. Der Ort liegt zwölf Kilometer vom Freiburger Zentrum entfernt. Es sei der ÖPNV-technisch bestangebundene Ort im Großraum Freiburg, sagt Hollemann. Der Zug braucht nur acht Minuten zum Hauptbahnhof und fährt sehr häufig, weil sowohl die Rhein- als auch die Elztalbahn durch Denzlingen führen. Mit dem Auto kommt man ebenfalls meist zügig hin- und her, zumal der Ort an der Gabelung der bis dahin gut ausgebauten Bundesstraßen 3 und 294 nach Emmendingen beziehungsweise Waldkirch liegt. Und in einigen Jahren wird es auch per Fahrrad noch komfortabler, wenn die sogenannte Radvorrangroute RS 6 durch Denzlingen nach Emmendingen und Waldkirch führt.
Seine Gemeinde habe eine Sandwichfunktion zwischen der Großstadt Freiburg auf der einen und den Mittelzentren Emmendingen sowie Waldkirch auf der anderen Seite, sagt Hollemann. Das sei zugleich Chance und Herausforderung. Zuletzt wohl mehr Chance, wie der Landkreis-Check der Badischen Zeitung im Sommer zeigte. Dabei belegte Denzlingen den ersten Platz im Landkreis Emmendingen mit einem deutlich überdurchschnittlichen Wert. Dieses Ergebnis freut den Bürgermeister sehr: „Dass wir auf dem ersten Platz gelandet sind, macht mich dankbar – und auch ein bisschen stolz.“
Die größten Bürgerwünsche, die es zu Beginn seiner ersten Amtszeit gab, habe er alle abhaken können. Es sei Teamwork gewesen – man arbeite sowohl im Rathaus als auch im Gemeinderat gut zusammen, sagt Hollemann. Das ist ihm wichtig zu betonen. Ein Ergebnis ist die neue Ortsmitte. Dort gibt es jetzt eine Filiale der Drogeriemarktkette dm und ein neues Restaurant: Der Nudelhersteller Pasta-König aus Rheinfelden betreibt seinen vierten Standort nun in Denzlingen. Freitagvormittags findet der Wochenmarkt auf dem neuen Platz statt, und der Bürgermeister hockt sich dann auf sein mobiles „Schwätzbänkle“ zur Open-Air-Sprechstunde. Man darf sich zu ihm setzen und Wünsche, Lob oder Beschwerden kundtun.
Neubauten im Türleacker
Andreas Tym braucht kein Schwätzbänkle, um den Bürgermeister zu treffen. Denn der Inhaber des Fahrradgeschäfts Zweirad Nübling sitzt für die Grünen im Gemeinderat. Außerdem ist er Vorsitzender des Wirtschaftsnetzwerks Denzlingen, das zum Beispiel jedes Jahr am dritten Adventswochenende den Denzlinger Weihnachtsmarkt in der Hauptstraße veranstaltet. Der Gewerbeverein kümmert sich um die Anmeldungen der 60 bis 80 Aussteller und um die Lichterketten. „Da geht Zeit und Geld drauf, wir machen das alles im Ehrenamt“, sagt Tym. „Das sollte eigentlich die Verwaltung tun.“
Davon abgesehen wünscht er sich als Unternehmensvertreter mehr Flexibilität in seiner Gemeinde. Dass zum Beispiel auch Grenzbebauung zwischen Wohn- und Gewerbegebieten möglich ist. Tym weiß, dass einige Denzlinger Firmen auf dem Weltmarkt unterwegs sind und sich manchmal schwertun mit dem Klein-Klein der Bürokratie hierzulande. Zu seinen Nachbarn im Gewerbegebiet Geringfeldele zählen die Firma Paul Becker, die bundesweit Arbeitsbühnen, Stapler, Gerüste und Container vermietet, die Fischer-Gruppe, die in Denzlingen chemische Befestigungssysteme produziert, das Medizintechnikunternehmen Schölly Fiberoptic, die auf Verbindungstechnik spezialisierte Hummel AG und der Diamantwerkzeughersteller Samedia. Derzeit baut zudem die Casa Intensivpflegedienst GmbH ein Pflegezentrum.
In den zurückliegenden Jahren hat sich auch das andere Denzlinger Gewerbegebiet, der Türleacker, gut entwickelt, wie man von der B 3 aus sehen kann. Das schreibt Bürgermeister Hollemann sich und dem Gemeinderat zugute. Es sei gelungen, die unterschiedlichen Interessen von Landwirten und Gewerbe, die sich dort lange blockiert hatten, in Einklang zu bringen. In der Folge konnten einige Neubauten entstehen: das Sport- und Gesundheitszentrum Verso beispielsweise, eine Lidl-Filiale und ein großer Standort der Glottertäler Metzgerei Linder.
Pläne für Nahwärme
Auch bei einem anderen lang umstrittenen Denzlinger Projekt geht es voran. Schräg gegenüber dem Rathaus neben dem Bahnhof ragt derzeit ein Baukran in den Himmel, wo die Gaststätte „Grüne Baum“ jahrzehntelang einen Dorfmittelpunkt bildete. Seit 2006 stand das Gasthaus leer und verfiel zusehends, ehe es vor zwei Jahren abgerissen wurde. An seiner Stelle entsteht ein Wohn- und Geschäftshaus samt altersgerechtem Wohnen sowie Räumen für Lernbehinderte. Vor allem lässt der Neubau ausreichend Platz, dass die jetzige Einbahnstraße zum Bahnhof zweispurig und damit eine neue Nord-Süd-Achse werden kann. Das ist die Voraussetzung, um die neue Ortsmitte hin- und wieder für den Autoverkehr zu sperren. Hollemann spricht von „Pop-up-Fußgängerzonen“.
Ganz oben auf der To-do-Liste des Bürgermeisters und des Gemeinderats steht ein großes städtebauliches Projekt: Zwischen dem alten Ortskern im Westen und der in den 1970er- und 1980er-Jahren entstandenen Bebauung im Osten dehnt sich ein weitgehend unbebauter Streifen aus. An einem Ende dieser „grünen Lunge“, wie Hollemann ihn nennt, liegt das über den Ort hinaus bekannte Freizeitbad „Mach blau“, am anderen das Kultur- und Bürgerhaus, das ebenfalls viele Nicht-Denzlinger kennen und als Veranstaltungsort nutzen. Im zurückliegenden Sommer ging das nicht, weil es wegen eines Pächterwechsels geschlossen war. Zum 1. Dezember startet der neue Betreiber Martin Wolfstädter, der in Freiburg den „Schützen“ und das „Café Einstein“ sowie in Bad Krozingen das „Rote Lamm“ betreibt.
Südlich von Stadtpark und Bürgerhaus sollen ein Schulcampus und ein Wohngebiet mit rund 900 Wohneinheiten für etwa 2000 Menschen entstehen. 2015 gab es einen Städtebauwettbewerb für die Gewanne „Käpplematten“ und „Unterm Heidach“. Um die Bebauung steuern zu können, hat die Gemeinde Grundstücke im Wert von rund 20 Millionen Euro gekauft. Wenn die Häuser gebaut werden, soll parallel ein Nahwärmenetz entstehen, das die Neubauten und auch ältere Gebäude versorgt. Dafür liefen schon Probebohrungen nach Grundwasser, das als Basis für eine klimaneutrale Energieerzeugung dienen soll. Jetzt sucht die Gemeinde einen Wärmenetzbetreiber als Partner. Die Dekarbonisierung sei eine große Herausforderung, sagt Hollemann: „Das ist gerade unser größtes Projekt.“ Zur kommunalen Wärmeplanung ist Denzlingen im Gegensatz zu den Großen Kreisstädten in Baden-Württemberg noch gar nicht verpflichtet. Der Ort geht wieder voraus.