Zwölf Jahre nach der Idee, fünf Jahre nach dem Bürgerentscheid geht es jetzt los: Der Spatenstich Ende Februar markiert den Baustart für den neuen Freiburger Stadtteil Dietenbach. Dafür reiste sogar der Bundeskanzler an.
Text: Susanne Maerz
Nicht einfach mit Fahrrad, Auto oder Straßenbahn zum Termin, so wie es sonst in Freiburg üblich ist. Stattdessen Anstehen für Taschen- und Ausweiskontrolle, Shuttlebus zum Mundenhof, Polizei, Sirenengeheul, Hubschraubergeknatter und die Rufe und Pfiffe verschiedener Demonstrierendengruppen. Sie reichen von Kriegsgegnerinnen und -gegnern, die gegen Waffenlieferungen in die Ukraine protestieren, über Landwirte, die ihre von der EU gekürzten Subventionen wiederhaben wollten, bis hin zu Mitgliedern der Bürgerinitiative „Hände weg vom Dietenbachwald“, die gegen den neuen Stadtteil beziehungsweise das Fällen von Bäumen demonstrieren. Und mittendrin, abgeschirmt und mit vielen Metern Abstand, Bundeskanzler Olaf Scholz.
Sein Besuch war das Ereignis in der Stadt am 27. Februar, der doch eigentlich im Zeichen des neuen Stadtteils stehen sollte. Denn Scholz kam, auf Einladung von Oberbürgermeister Martin Horn, zum symbolischen Spatenstich und damit offiziellen Baustart für den neuen Freiburger Stadtteil Dietenbach. Er habe gern zugesagt, da es ein bedeutendes Ereignis, ein mutmachender Moment sei, betonte er in seiner Rede beim Festakt.
Platz für bis zu 16.000 Menschen
Auf rund 57,5 Hektar bebauter Fläche sollen in den nächsten 20 Jahren auf 800 Baugrundstücken circa 6900 Wohnungen für etwa 16.000 Menschen entstehen. Etwa 1,25 Milliarden Euro investiert die Stadt Freiburg voraussichtlich in den neuen Stadtteil – von der Planung über die Infrastruktur bis zum Schulzentrum. Zum Vergleich: Im benachbarten Rieselfeld, ab 1995 auf rund 70 Hektar gebaut, leben heute zwischen 10.000 und 11.000 Menschen. In vier Bauabschnitten ist das Stadtviertel damals entstanden.
Der neue Stadtteil Dietenbach, zu dem die Straßenbahnlinie aus dem Rieselfeld führen wird, entsteht in sechs Bauabschnitten. Den Anfang macht das Quartier Frohnholz, zwischen dem Mundenhof und der Tel-Aviv-Yafo-Allee gelegen. Hier sollen auf elf Hektar bebauter Fläche etwa 1600 Wohnungen in „sich wiederholenden, modularen Blöcken“ entstehen, wie Baubürgermeister Martin Haag beim Spatenstich erläuterte. Dazu die komplette Infrastruktur mit Einzelhandel, Kitas und Quartiersplatz.
Seit Januar laufen die Erschließungsarbeiten. Sie ziehen sich allerdings wegen einer Klage des Naturschutzbundes NABU länger hin als geplant. Inzwischen hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim zwar entschieden, dass fürs Verlegen der Erdgashochdruckleitung Bäume auf einer Fläche von rund 3000 Quadratmetern gefällt werden dürfen, doch dies ist wegen der Vegetationsperiode in den nächsten Monaten nicht möglich. Martin Haag rechnet damit, dass die neue Leitung im April 2025 an die bestehende angeschlossen werden kann. Die genaue Trasse steht noch nicht fest.
Zu den Erschließungsarbeiten zählen auch der Bau von Hochspannungsleitungen, der Ausbau des Dietenbachs und das Errichten von Dämmen, denn das Areal zählt noch als Überschwemmungsgebiet. Das ist der Grund, warum der Stadtteil zwei bis drei Meter aufgeschüttet werden muss. Rund 400.000 Tonnen Erdaushub werden dafür gesammelt. Diese Arbeiten laufen seit dem Jahr 2022 – und sind von der B31 aus zu sehen, an die das Viertel im Norden angrenzt.
Die ebenfalls noch nicht vorhandenen Straßen haben bereits Namen bekommen, auch sonst laufen die nötigen Schritte für ein solches Bauprojekt – am Abend des Kanzlerbesuchs beschloss der Gemeinderat die zweite Offenlegung des Bebauungsplans. Voraussichtlich noch in diesem Jahr soll die Satzung beschlossen werden. Bis 2025 soll dann das Vermarktungskonzept stehen und die ersten Grundstücke könnten verkauft werden.
Initiative von vier Stadträten vor zwölf Jahren
Es ist ein Mammutprojekt, das beim Spatenstich entsprechend überschwänglich gelobt wurde: Zuallererst von Oberbürgermeister Martin Horn, der das in der Amtszeit seines Vorgängers Dieter Salomon entstandene Konzept mit folgenden Worten pries: „Dietenbach soll modern, bezahlbar, ökologisch, innovativ werden“, und es solle zum Charakter der Stadt Freiburg passen. Geplant ist, dass die Hälfte der Wohnungen sozial gefördert werden. Mit Blick auf die explodierten Baukosten sagte Horn: „Einfach wird das nicht.“ Überall in Deutschland würden zurzeit Bauprojekte gestoppt oder verschoben. Er betonte: „Abwarten und Nichtstun ist aber keine Alternative.“ Allerdings seien in den nächsten 20 Jahren rund 200 Millionen Euro an Förderung nötig. Horn appellierte an Bund und Land, die Fördertöpfe besser auszustatten.
Angesichts der wachsenden Stadt, der hohen Mieten und der an die Grenzen kommenden Nachverdichtung forderten bereits im Jahr 2012 vier Gemeinderäte unterschiedlicher Fraktionen – Wendelin von Kageneck (CDU), Renate Buchen (SPD), Patrick Evers (FDP) und Manfred Stather (Freie Wähler) – den Bau eines neuen Stadtteils zwischen Rieselfeld und Zubringer-Mitte. Über mehrere Orte wurde diskutiert. Der Standort Dietenbach war von Anfang an nicht unumstritten, schon allein deshalb, weil der Boden dafür aufgeschüttet werden muss. Doch das Projekt für den neuen Stadtteil überwand die nötigen Hürden wie den Bürgerentscheid im Jahr 2019, wo sich mehr als 60 Prozent der Freiburger dafür aussprachen.
Lob von Land und Bund, doch auch Kritik aus der Stadt
Den Baustart bezeichnete die ebenfalls zum Spatenstich angereiste Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg, Nicole Razavi, als „Meilenstein für die Stadt Freiburg und die Menschen, die hier leben und leben werden“. Sie nannte nicht nur die gestiegenen Kosten als Problem für viele Bauträger, sondern auch die Bürokratie. Razavi sprach sich für eine „modernes, schlankes Bauordnungsrecht“ aus, das Bürokratie abbaue, und führte ein laufendes Vorhaben der Bundes- und Landesbauminister in diese Richtung an.
Bundeskanzler Olaf Scholz verwies in seiner Rede ebenfalls auf diese Entbürokratisierungspläne von Bund und Land und plädierte für serielles Bauen, um so Bürokratie und Kosten sparen zu können. Auf diese Weise müssten Gebäudekomplexe nur einmal geplant, könnten aber vielfach gebaut werden. Auch er betonte: „Wir brauchen in unserem Land bezahlbaren Wohnraum an allen Ecken.“ Nachverdichtung, Aufstocken und Anbauen reichten angesichts des Wohnungsmangels nicht aus, und ältere Menschen würden nun mal nicht aus ihren oft zu groß gewordenen Wohnungen ausziehen und Platz für Familien schaffen. Ähnlich wie in den 1970er-Jahren müssten neue Stadtviertel an den Rändern der Städte entstehen. Nicht nur eines wie in Freiburg, sondern zwanzig in ganz Deutschland. Dietenbach, so betonte er, „sollte eine Ermunterung sein, es nachzumachen“. Schließlich gehe die Inflationsrate zurück, ebenso der Zinssatz. „Es sieht so aus, dass Bauen wieder günstiger wird in der Zukunft“, sagte Scholz. Daher sei das heute „ein guter Tag für Deutschland“. Seine Devise: „Nicht meckern, sondern machen.“ Nach Rede und symbolischem Spatenstich war Scholz schon wieder auf dem Weg zu seinen nächsten Terminen in Freiburg – auch im SC-Stadion oder dem Fraunhofer ISE wurde er freudig erwartet.
Doch nicht alle Freiburgerinnen und Freiburger hatten Feierlaune an diesem Tag. Zum einen die Demonstrierenden. Zum anderen wurde immer wieder der bürgerferne, nur für geladene Gäste bestimmte Festakt kritisiert. Mit dem Versprechen eines Bürgerfestes für den neuen Stadtteil, das die großen Gemeinderatsfraktionen angeregt hatten und die Stadtverwaltung in der abendlichen Gemeinderatsitzung zusagte, endete der Tag für die meisten doch versöhnlich.