Was haben WLAN-Technologie, Autoscheibenwischer, Solarheizungen, Wegwerfwindeln und der Geschirrspüler gemeinsam? Sie alle wurden von Frauen erfunden. Zwei Südbadnerinnen ergänzen diese Liste mit einem Magnetkopf. Er wird vielleicht nicht den Lauf der Zeit bestimmen, für manche ist er dennoch Welt verändernd.
Text: Julia Donáth-Kneer
An den Moment, als es Klack machte, erinnert sich Christin Boczek-Wellmann genau. Sie hatte ihrem damals drei Jahre alten Sohn eine neue Jacke besorgt. Es war das erste Mal, dass sich Jonathan, der wegen eines vorgeburtlichen Schlaganfalls halbseitig gelähmt ist, selbstständig anziehen konnte. Denn die Jacke war eine besondere: Drei schwarze, große Magnetknöpfe, die wie Druckknöpfe aussehen, ermöglichen das Öffnen und Schließen auch mit nur einer Hand – klack, klack, klack. „Es hat beim ersten Mal geklappt“, erzählt Christin Boczek-Wellmann. „Das war für mich und für meinen Sohn ein wahnsinnig tolles Gefühl.“
Diese Jacke entwickelt hat eine andere junge Frau, die genau wie Christin Boczek-Wellmann aus dem Landkreis Lörrach stammt. Aber das ist Zufall, und zwar nur einer von mehreren. Denn Marie Albrecht aus Todtnau-Muggenbrunn hat auch einen Sohn, und auch er heißt Jonathan. Als er 2017 mit zwei Jahren in die Kita kam, merkte sie, dass es für so kleine Kinderhände kaum möglich ist, Reißverschlüsse allein zu schließen. „Das kann man so oft üben, wie man möchte, das klappt nicht“, sagt Marie Albrecht. Also begann die Modedesignerin mit verschiedenen Verschlussmöglichkeiten zu experimentieren. Weil Jonathan ein großer Freund von Magneten war, kam sie auf die Idee mit den Magnetköpfen. So etwas in der Art gab es für Kleidung bislang noch nicht.
Die heute 32-Jährige stieß schließlich auf das in Hannover ansässige Unternehmen Fidlock, das mit verschiedenen Magnetverbindungen arbeitet, vor allem im Outdoor- und Sportbereich. Fidlock nutzt Magnete zum Beispiel, um eine Kamera am Helm, ein Smartphone am Fahrradlenker oder eine Trinkflasche am Fahrradrahmen zu befestigen. Gemeinsam mit den Hannoveranern arbeitete Marie Albrecht ein magnetisches Verschlusssystem für Kinderjacken aus. 2018 legte sie die Prototypen als Masterarbeit für ihr Modedesignstudium vor. Ihr Label entstand ein Jahr später, sie nannte es Joni Studio – nach ihrem Sohn. 2020 designte und nähte sie erste Jacken, produzierte eine kleine Serie. Das Patent für den Magnetkopf hält Fidlock, Marie Albrecht besitzt die Exklusivrechte.
Selbstwirksamkeit und Inklusion
2021 entdeckte Christin Boczek-Wellmann durch Zufall Marie Albrechts Erfindung auf Instagram. Die beiden Frauen tauschten sich aus und Boczek-Wellmann gab dem ganzen Modell noch mal eine neue Richtung. Als Mutter eines halbseitig gelähmten Kindes sah sie großes Potenzial in dem Magnetkopf.
„Der Magnetkopf sehr viel Sinn für Kinder, die mit ihren kleinen Händen noch keine Reißverschlüsse bedienen können. Aber es ist vor allem ein riesengroßer Mehrwert für Kinder, die das auch über Jahre hinweg nicht lernen.“ – Christin Boczek-Wellmann
Die Idee von Marie Albrecht war es ja, kleinen Kindern das Anziehen zu erleichtern. Früher oder später lernen sie es aber auch mit kleinen Knöpfen, Reißverschlüssen, Druckknöpfen – vorausgesetzt, sie sind körperlich gesund und altersgerecht entwickelt. Das ist aber bei Christins Boczek-Wellmanns Sohn Jonathan nicht der Fall. „Unter dem Autonomieaspekt hat unser Magnetkopf sehr viel Sinn für Kinder, die mit ihren kleinen Händen noch keine Reißverschlüsse bedienen können“, sagt die 34-jährige Betriebswirtschaftlerin. „Aber es ist vor allem ein riesengroßer Mehrwert für Kinder, die das auch über Jahre hinweg nicht lernen.“
Ihr Sohn Jonathan ist jetzt fast sieben Jahre alt, ein Reißverschluss ist für ihn nach wie vor keine Option. Auch anderen Kindern mit motorischen Einschränkungen oder Behinderungen sollen die Jacken von Joni Studio im Alltag helfen. So wurde aus dem kleinen südbadischen Modelabel ein inklusives. Christin Boczek-Wellmann, die jahrelang als Marketingexpertin bei einem großen Pharmakonzern gearbeitet hat, stieg 2021 bei Marie Albrecht ein. Zuspruch und Nachfrage wuchsen, es gab Anfragen von Eltern, von Kindergärten sowie von Rehazentren und Kinderarztpraxen. Im Oktober 2023 gründeten beide Frauen eine GmbH und wagten den Schritt in die Selbstständigkeit.

Aus einer Zufallsbekanntschaft im Internet ist eine Freundschaft und eine Geschäftsbeziehung entstanden. „Wir sind beide kreative Köpfe mit vielen Ideen“, sagt Marie Albrecht. „Das Drumherum stimmt aber auch.“ Sie kümmert sich um Design, Produktion und Entwicklung. Christin Boczek-Wellmann um Marketing, Social Media und PR. Unternehmenssitz und Lager sind in Todtnau, produziert wird in einer Familienmanufaktur im tschechischen Riesengebirge.
Bislang gibt es die Jacken nur im eigenen Onlineshop. Für den stationären Handel reichen die Margen nicht aus. „Wir müssten den Einkaufspreis um 10 bis 20 Prozent senken, damit wir in den Handel gehen können“, erklärt Albrecht. Dem jungen Unternehmen gehe es aber gut: „Wir erreichen unsere Ziele, sind 2024 gut gewachsen.“ Jetzt seien sie knapp an der Kapazitätsgrenze. „Mehr könnten wir derzeit nicht schaffen.“ Ende des Jahres haben sie eine Mitarbeiterin eingestellt und am Plan fürs neue Jahr gefeilt: Prozesse festigen, kosteneffizienter arbeiten, technische Systeme implementieren. „2025 geht es um Unternehmensaufbau und -entwicklung. Dafür hatten wir 2024 nicht so viel Zeit“, erklärt Boczek-Wellmann. Und Marie Albrecht ergänzt: „Wir sind sehr glücklich mit der Geschäftsentwicklung.“
Das Highlight: Gerade haben die Unternehmerinnen erfahren, dass Joni Studio mit dem German Design Award 2025 ausgezeichnet wird. Eine große Freude und eine Bestätigung dessen, woran beide glauben: Einen Knopf für alle zu machen.