Die Meldungen zum Ende des benachbarten AKW Fessenheim sind diffus. Aus der Schließung 2018 ist wieder ein Termin im Jahr 2019 geworden. Freiburgs Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer über die Absichten des französischen Präsidenten, den Einsatz der deutschen Seite – und warum die Planung für das Danach schon weit fortgeschritten ist.
Interview: Katharina Müller und Rudi Raschke
Frau Regierungspräsidentin, Anfang des Jahres sollte Fessenheim noch 2018 still gelegt werden, jetzt ist der Stand bei Ende 2019, es scheint, als würde es kein schnelles Ende nehmen?
Schäfer: Ende Juni war der Präfekt Laurent Touvet aus Colmar hier, mit dem wir sehr gut zusammen arbeiten, es war der interministerielle Beauftragte David Coste aus Paris da, der das Folgeprojekt Fessenheim koordinieren soll. Beide haben gesagt, dass ihr Stand Mitte 2019 sei. Jetzt haben wir die Situation, dass es nach neuesten Informationen aus Paris offenbar Ende 2019 wird, weil die Schließung von Fessenheim an die Inbetriebnahme des dritten Reaktors von Flamanville im Nordwesten geknüpft ist. Und die verzögert sich weiter.
Das alles ist komplett von der Arbeit des französischen Energieunternehmens EDF abhängig?
Genau. Alles. Den Reaktor in Flamanville bekommen sie nicht ans Netz, es gibt Probleme mit den Schweißnähten. Auf der anderen Seite, das habe ich zuletzt bei einer Sitzung der Überwachungsbehörde CLIS noch einmal sehr genau hinterlegt, wäre es uns lieber, wenn die EDF endlich den Stilllegungsantrag stellen würde. Weil das eigentlich zwei Jahre zuvor formal geschehen sollte.
Das hat sie immer noch nicht gemacht?
Nein. Aber: Der Vertreter der Aufsichtsbehörde, der jedes Mal dabei ist, hat sehr deutlich gesagt, dass es kein Dossier gibt, das sich mit der Fortsetzung von Fessenheim beschäftigt. Sämtliche Dossiers, die auf dem Tisch liegen, befassen sich mit der Sicherheit von Fessenheim nach der Stilllegung.
Eine Immer-weiter-Fortführung ist aus Ihrer Sicht kein Thema?
Nein, auch weil keine neuen Zehn-Jahres-Genehmigungen, solange ist die Laufzeit für einen Reaktor, beantragt sind. Wenn ein Weiterbetrieb ein Thema wäre, müsste dieses Verfahren längst eingeleitet sein. Diese Botschaft war für mich nochmal wichtig, unabhängig davon, ob es sich immer wieder verschiebt: Bei der EDF liegen keine Pläne, um in die nächste Zehn-Jahres-Genehmigung zu gehen.
Was würde passieren, wenn die EDF einfach nichts unternimmt?
Dann wäre letztendlich bei dem einen Reaktor 2021 Schluss und beim zweiten 2022. Weil es keine Betriebsgenehmigung mehr gäbe. Trotzdem hätten wir aber gerne endlich den Antrag auf Stilllegung.
War die jetzige Konstellation bereits Anfang März bei den Gesprächen 2018 mit Ministerpräsident Kretschmann in Strasbourg Thema?
Es gab dort das Treffen mit Staatssekretär Sébastien Lecornu, einem engagierten jungen Politiker. Dabei hat Ministerpräsident Kretschmann nochmal sehr klar bekräftigt, dass Baden-Württemberg die Schließung fordert und auch eine Lösung des Junktims mit Flamanville. Lecornu hat uns hier keine Hoffnung gemacht, weil es gesetzlich festgehalten ist. Im Energiewende-Gesetz der Franzosen sei der Ausstieg formuliert, aber mittels Obergrenzen: So und so viel Atomstrom und mehr nicht. Also keine neuen Kraftwerke, aber wenn es welche gibt, dann müssen die alten abgeschaltet werden. Eine andere Handhabe hat die französische Regierung im Moment nicht.
Ist das nicht ein Widerspruch, wenn man sich von der Abhängigkeit von Atomstrom lösen will?
Sagen wir es so: Im Moment findet sie zwar keine andere Handhabe, aber aus den Äußerungen des Staatssekretärs habe ich schon rausgehört, dass sie sehr stark in Richtung Ausstieg gehen wollen. Dafür wird gerade viel investiert, an Ideen, an Geld, auch an Hand lungsbereitschaft aus Paris für den Zukunftsprozess Fessenheim. Uns wurde deutlich gesagt, dass anhand dieser Gegend zu zeigen ist, dass eine Region auch ohne Atomkraft im Wohlstand leben kann. Das Département Haut-Rhin als Modell, das sich zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien versorgen kann. Und das nicht nur wegen der Region, sondern weil auch Emmanuel Macron zeigen will: Man kann aus der Atomenergie aussteigen.
Hierzulande besteht dafür aber keine realistische Möglichkeit, Druck auf die EDF auszuüben.
Wir sind hier im Moment gar nicht so erfolglos. Weil wir stets auf die Sicherheitsebene hinweisen. Immer wieder, immer wieder. So haben wir erreicht, dass der Damm am Rheinseitenkanal, dem Grand Canal d’Alsace, nochmal gründlich untersucht wird. Sollte dieser Damm im Falle eines Erdbebens brechen, könnte es wie in Fukushima bei ungünstigem Verlauf dazu kommen, dass Wasser in den Nuklearbereich eindringt. Die EDF hat immer behauptet, dieser Damm sei sicher, nachdem sie an ein paar Stellen gebohrt hatten. Wir haben gesagt, dass das nicht Stand der Technik ist! Es brauchte ein geoelektrisches Verfahren, bei dem der Damm quasi geröntgt wird. Die Ergebnisse, die nun vorgestellt worden sind, waren nicht so erfreulich: Der Gutachter wird nachuntersuchen, es gibt Inhomogenitäten. Das können alte Leitungen im Damm sein, oder Einschlüsse von Sand. So sehe ich unsere Rolle, immer wieder zu sagen: „Das ist nicht sicher“.
Es dürfte angesichts der Atombegeisterung jenseits des Rheins ein dickes Brett sein, dass Sie hier bohren müssen.
Das stimmt. Auf der anderen Seite haben wir erreicht, dass Fessenheim das erste Kraftwerk ist, das schließen muss. Auch weil es das älteste ist. Aber das war immer unser Argument. Und die EDF versucht in fast jeder Sitzung, unsere schlechten CO2-Werte zu thematisieren und zu sagen, ihr seid ja noch in der Kohleverstromung. Daran ist auch vieles richtig, aber das ändert ja nichts an der Situation, wir steigen ja auch sukzessive aus.
Wie lautet Ihre Antwort darauf?
Unser Argument und unsere Legitimation ist, den Menschen hier in der Region nicht erklären zu können, dass sie benachteiligt würden. Deutschland steigt aus und alle die, die das Pech haben, in Grenznähe zu leben, dürfen nicht schlechter gestellt werden als alle anderen in Deutschland. Das ist der Motor unseres Handelns.
Nach dem Kretschmann-Treffen in Strasbourg ging es bereits viel um die Zukunft: Dass man Interessen bündelt, Gruppen an den Tisch bekommt, die Zeit danach schon möglichst umfassend bespricht. War man da ein bisschen zu optimistisch?
Sagen wir so: Zu optimistisch waren wir nicht. Dieser Prozess für die Zeit danach beginnt im Bereich zwischen Fessenheim und Breisach, nicht auf dem Gelände selbst, dort ist noch zehn bis 15 Jahre nach Schließung nichts möglich. Aber er findet auf ganz unterschiedlichen Ebenen statt. Dazu gehören Arbeitsplätze, die wir in einem deutsch-französischen Gewerbepark schaffen wollen, der dort errichtet werden soll. Dazu gehört auch die Reaktivierung der Bahnstrecke Colmar-Freiburg und da sind wir wirklich richtig weit. Denken Sie an die Potenziale: Bei der Breisgau S-Bahn gab es seit dem Ausbau in den 90er Jahren eine Steigerung der Fahrgastzahlen um 500 Prozent. Präsident Macron hat auch die symbolische Bedeutung dieser Strecke erkannt. Einfach, weil es die einzige Bahnbrücke hier am Rhein ist, die nach dem zweiten Weltkrieg nicht wiederaufgebaut wurde.
Spielt bei beiden Prozessen, dem der Schließung und dem danach, auch eine Rolle, dass es symbolisch um den Erhalt eines Kerneuropas geht, wo drumherum gerade sehr viel den Bach runtergeht?
Ja, das ist auch ein ganz wichtiges Argument, finden wir. Gemeinsam mit der Region diesen Zukunftsprozess anzuschieben, als starkes Zeichen für die Deutsch-Französische Zusammenarbeit und Europa. Weil, wenn nicht wir Europa möglich machen, ist bald gar nichts mehr möglich.
Was könnten die Themen für einen deutsch-französischen Gewerbepark sein?
Mir schwebt zusätzlich ein Leuchtturmprojekt wie eine Solarzellenfabrikation vor, etwas, das es in Europa so nicht mehr gibt, weil es jetzt in China stattfindet. Wir haben mit dem Fraunhofer-Institut wissenschaftliches Knowhow, die andere Seite, EDF beispielsweise, könnte die Produktion bestreiten. Das alles auf einer Fläche, wo die deutschen und die französischen Kommunen Gewerbesteuer erhalten, das wäre großartig.
Wieviel Aufwand nimmt das Thema aktuell in Anspruch?
30 Prozent meiner Arbeitszeit ist im Moment Fessenheim. Wir müssen aktuell alle Ebenen dafür interessieren, im Land, aber auch im Bund. Wir haben Gespräche mit dem Bundeswirtschaftsministerium geführt, mit dem Bundesverkehrsministerium werden wir reden, und wir versuchen im Moment das Thema Fessenheim als eine Art Projekt in den Elysee-Vertrag zu bekommen. Dazu brauchen wir den Bund, anders geht es nicht.
Wir halten fest: Das Ende von Fessenheim ist nah, auch wenn aus Ende 2018 jetzt Ende 2019 wird?
Wir müssen daran arbeiten, aber wir haben keine Druckmittel in der Hand. Gar nichts. Wir können nur eines sagen: Wir fordern nicht nur die Stilllegung von Fessenheim, sondern sind bereit, an der Zukunftsplanung mitzuarbeiten. Diese Unterstützung hat natürlich schon zur Grundlage, dass in der nächsten Zeit Fessenheim abgeschaltet wird.
Sie brauchen also hard facts, damit die soft skills zum Erblühen kommen.
Genauso ist es.