Wirt und Hirt auf über 1000 Metern, umgeben von viel Grün und Natur. Was für viele nach Aussteigertraum klingt, ist vor allem harte Arbeit. Drei Hüttenwirte aus dem Hochschwarzwald sagen, worauf es ankommt und was es braucht.
VON ANNA-LENA GRÖNER
Ruhig ist es an diesem Junimorgen auf der Höfener Hütte in Buchenbach – noch. „Das Wetter soll heute nicht gut werden, da kommen wahrscheinlich nicht so viele vorbei“, sagt Hüttenwirt Markus Schroth. Der traumhafte Blick ins Tal im Westen lasst noch kein schlechtes Wetter erahnen: wenige Wolkenfetzen hangen in den grünen Tannenspitzen, darüber blitzt der strahlend blaue Himmel hervor, am Horizont die Silhouette der Vogesen.
Es sind die Bilder von Ruhe und Bergidyll, die den Traum vom Hüttenwirt oder der Hüttenwirtin befeuern. Hinter der romantischen Fassade verbirgt sich arbeitsintensive Realität. Markus Schroth ist an diesem Morgen schon früh auf den Beinen. Er hat Kuchen gebacken, denn jemand wird auch bei schlechterem Wetter den Weg zu seiner Hütte finden, hungrig vom Marsch.
„Ich verbringe viel Zeit in der Küche, da ich das meiste selbst mache“, sagt er. Auch die Knödel, für die viele Wanderer einige Kilometer bergauf laufen. Eine willkommene Abwechslung im Brägele-und-Wurstsalat-Zweierlei. Seit April 2015 hat Schroth die Hütte auf 1000 Meter Höhe von der Weidegenossenschaft Buchenbach gepachtet. Er lebt hier, die meiste Zeit sind seine Frau und zweijährige Tochter bei ihm.
Mehr Freiheit
Zuvor arbeitete Schroth als Forstwirt im Nordschwarzwald. „Ich war früher oft in Tirol im Urlaub und habe dort viele Hütten besucht. Irgendwann habe ich gedacht, dass wäre auch etwas für mich“, sagt der 49-Jährige. Er hat es nicht bereut. Markus Schroth weiß, was es heißt, in und mit der Natur zu arbeiten.
Seine Eltern hatten einen landwirtschaftlichen Betrieb, von daher hat er Erfahrung mit Tieren. Neben der Gastronomie kümmert er sich auf dem Berg um 53 Kühe, ist für deren Gesundheit zuständig, muss die Herden umkoppeln – also von einer Weide auf eine andere bringen – und die Zäune regelmäßig überprüfen und reparieren.
Hirt und Wirt, das verlangt viel ab, er sei aber auch viel freier als in anderen Berufen, sagt Schroth. „Manchmal geht mein Tag 15 Stunden, manchmal aber auch deutlich weniger, es ist ja wetterabhängig.“ Trotzdem gönne er sich lediglich einen halben Tag in der Woche Pause. Immer montags, am Ruhetag der Höfener Hütte.
Manchmal liege er dann gerne mal im Liegestuhl, aber das sei nicht ganz einfach: „Bei schönem Wetter kommen viele Wanderer vorbei und fragen, ob sie vielleicht ‚nur ein Getränk‘ haben können“, sagt der Hüttenbetreiber. Daher geht er lieber weg, wandern, andere Bergwirte besuchen.
Angehenden Hüttenpächtern rat Markus Schroth vor allem eines: „Man muss mit der Natur verbunden sein und Arbeit nicht scheuen. Wenn man außerdem Vieh dazu hat, muss man sich damit etwas auskennen, ansonsten ist man verloren.“
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Vieh haben Sophia Sauter und ihr Partner Frank Fünfgeld nicht zu versorgen, darum kümmern sich die Bauern der Weidegenossenschaft selbst. Seit zwei Jahren betreiben sie die Stollenbacher Hütte in Oberried auf 1092 Meter Höhe. „Ursprünglich wollten wir die Hütte nur einen Winter als Übergangswirte betreiben“, sagt die 29-Jahrige. „Allerdings haben wir uns schnell in die Idylle abseits verliebt.“
Beim Besuch an einem Sonntagnachmittag Ende Juni merkt man schnell, womit die Wirte aktuell zu kämpfen haben: hungrige Wanderer im Akkord. Sie kommen vor allem aus der Stadt auf den Berg, wollen Bergluft schnuppern und zünftig Einkehren – endlich ist das ja wieder möglich.
„Es gibt zwar immer auch Gaste, die mit dem Wunsch nach Pause und Entschleunigung kommen, allerdings haben sie keine Zeit mehr und sind sehr fordernd, sobald sie am Tisch sitzen. So bleibt uns oft keine Pause“, sagt Sophia Sauter. Den rechten Fuß tragt die junge Wirtin in einer Schiene. Ein Zehenbruch.
„Dieses Leben bedeutet Arbeit, viel Arbeit und die immer am Wochenende, wenn andere Geburtstag feiern, am See liegen oder Kurztrips unternehmen“
Sophia Sauter, Pächterin der Stollenbacher Hütte in Oberried.
Eigentlich müsste sie ihn sechs Wochen schonen, doch dazu ist keine Zeit und vor allem kein Personal da. „Wir sind mehr denn je von Personalknappheit betroffen“, sagt die ausgebildete Konditorin fast etwas verzweifelt. Der Weg auf ihre Hütte ist beschwerlich und lang, die körperliche Arbeit anstrengend. Kaum jemand ist dafür noch zu haben.
Neben den Personalproblemen sollten sich überstürzte Aussteiger-Träumer vor allem darüber im Klaren sein, „dass sie mittlerweile fast ein ‚normales‘ Restaurant betreiben. Man hat außerdem wetterbedingte Höhen und Tiefen. Auch die Erwartung, alles müsse auf einer Hütte günstiger sein, trifft nicht zu.“ Man müsse das Hüttenleben mit Leidenschaft wollen, ansonsten würde man nicht glücklich werden, sagt Sauter.
„Dieses Leben bedeutet Arbeit, viel Arbeit und die immer am Wochenende, wenn andere Geburtstag feiern, am See liegen oder Kurztrips unternehmen“, sagt die 29-Jährige und kassiert den nächsten Tisch ab, neue Gäste lauern bereits darauf.
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Freitagabend auf dem Kandel. Andreas Beha muss einen Teil seiner 98 Kühe umkoppeln. 62 Ladies und zwei Ochsen warten auf die frische Weide. In nur fünf Tagen haben sie ihre aktuelle Wiese komplett abgegrast. Die Viecher kennen ihren Hirten – sobald Andi kommt, versammeln sie sich muhend und schmatzend am Zaun. Und der Hirt kennt jede einzelne seiner Kühe beim Namen, krault sie hinter den Ohren und am Rücken, er nennt es „kuhscheln“.
Trotz des fröhlichen Motivs antwortet der gelernte Bäcker auf die Frage, wie es ihm geht: „Ich bin ziemlich müde im Augenblick.“ Der 40-Jährige ist seit acht Jahren Hirt und bekannt als „Fensterliwirt“ von der Gummenhütte. Corona und die arbeitsintensive, aber meist erfolglose Suche nach fähigem Personal zehren an seinem sonst sonnigen und unermüdlichen Gemüt.
„Von 15 Leuten, die bei uns eingearbeitet werden, sind im vergangenen Jahr etwa drei übriggeblieben.“ Dabei sei er mit dem Lohn schon hochgegangen, kostenlose Verpflegung sei selbstverständlich und er bezahle auch Benzingeld. Die wenigen, die es am Ende durchziehen und für längere Zeit aushelfen, die werden auf der „Gumme“ nicht nur gut entlohnt, sondern schnell Teil einer Bergfamilie.
Nachdem die Kühe erfolgreich umgekoppelt wurden, die kleine Küche hinterm „Fensterli“ klar Schiff gemacht und die letzten Wanderer mit kühlem Bier versorgt wurden, sitzen alle zusammen, trinken und essen gemeinsam, genießen die Ruhe nach dem Sturm und vor allem die Aussicht auf den Feldberg – der wohl beste Lohn für all die Muhen.
Aktuell steht beispielsweise die Erlenbacher Hütte auf 1100 Meter Höhe über Oberried wieder zur Verpachtung. Andreas Beha hat einen ganz ernst gemeinten Rat für alle Hütten-Utopisten: „Komm vorbei beim Andi B. und schaff‘ eine Woche mit. Wir suchen immer Leute und bevor jemand irgendwo blind eine Hütte pachtet, soll er oder sie gerne bei uns reingucken.“