Die Pandemie hat Krankenhäuser an ihre Grenzen gebracht und einiges am Gesundheitswesen zur Disposition gestellt. Im Evangelischen Diakoniekrankenhaus in Freiburg-Landwasser beschäftigt man sich mit dem Wandel der Klinik – und setzt bei der Patientenversorgung auf Vernetzung, Qualitätsbewusstsein und gutes Betriebsklima.
VON RUDI RASCHKE
Was liegt hinterm Horizont einer Gesundheitsversorgung, die aktuell auf Zentralisierung, Gewinn und Privatisierung getrimmt ist? Die Frage nach Alternativen hat nicht erst die Pandemie aufgeworfen. Mit dem Evangelischen Diakoniekrankenhaus macht sich eine Freiburger Institution daran, den Ausbau an Betten auf dem Fundament einer stabilen Philosophie voranzutreiben. Seit über einhundert Jahren strengt sich das Haus an, „nahe am Menschen“ im Auftrag der christlichen Nächstenliebe zu sein. Und zu den Ausbauplänen im Inneren des Krankenhauses kommt die medizinische Infrastruktur eines modernen Gesundheitscampus, der sich hier am Rand des Mooswalds etabliert hat, weiterwächst und für die Vernetzung von ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung steht.
Für Michael Decker, kaufmännischer Direktor und Vorstandsvorsitzender des Diakoniekrankenhauses in Landwasser, sind es gleich drei Schlüssel, die dazu geführt haben, dass sich in den elf Jahren seiner Tätigkeit hier die Patientenzahlen von 9.000 auf 14.000 jährlich gesteigert haben: Er zählt die für den Rahmen hier „exzellente Medizin“ auf, die überschaubare Größe – „und das wirklich tolle Betriebsklima“. Das er übrigens zuerst nennt. Sein Haus ist eine von überhaupt nur fünf deutschen Kliniken, die als „Great Place To Work“ zertifiziert sind.
Zertifiziert als “Great Place To Work”
Nicht selbstverständlich ist es, wenn Klinikchefs die Angestelltenzufriedenheit zur Grundlage für ihren Erfolg bei den Patienten und letztlich den in der Bilanz erheben. Töne, die man vermutlich bei wenigen Großkrankenhäusern und Maximalversorgern hören wird, obwohl sie doch so naheliegend scheinen: „Ohne dieses KIima würden wir die guten Leute nicht finden. Auch eine ärztliche Leitung braucht eine besondere Motivation, um sich auf das vergleichbar kleine Haus einzulassen.“ Mit nur wenigen Inseraten sucht die Diakonie aktuell Personal, „die letzte Anzeige für eine medizinische Stelle war nur drei Tage online“.
Ein beliebter Arbeitgeber als Voraussetzung für Patientenzufriedenheit ist das eine, das andere eben die Umgebung, in der das geschieht: Rund um das Krankenhaus hat sich mit der Praxisklinik2000, der IBID-Radiologie, Christian Weißenbergers ambulanter Strahlentherapie und dem Ärztehaus mit dem neuen Sigma-Institut ein Netzwerk herausgebildet, in dem kurze Wege für Patienten das eine sind. Das andere sind Themen wie eine gut vernetzte Nachsorge, beispielsweise wenn es um die Krebsnachsorge für Diakonie-Patienten in der ambulanten Strahlentherapie oder der onkologischen Praxis nebenan geht.
Im Bereich der Mammachirurgie bildet das Ev. Diakoniekrankenhaus gemeinsam mit dem Kreiskrankenhaus Emmendingen das Brustzentrum Südbaden, das mit rund 470 Primärkarzinomen pro Jahr (davon 370 in Freiburg) zu den größten Brustzentren Deutschlands gehört. Gemeinsam mit der überregional bekannten Urogynäkologie und der gynäkologischen Onkologie wird im Diakoniekrankenhaus in der Frauenklinik das gesamte Spektrum für die Facharztweiterbildung angeboten – für ein Haus dieser Größenordnung ungewöhnlich.
Michael Decker sieht bei anderen Uni-Städten und großen Klinik-Zentren mit kleinen Grund- und Regelversorgungen drumherum die Gefahr, dass eine ernsthafte Konkurrenz in der Versorgungsqualität eher ausbleibt. Ein ausgewogener Wettbewerb mit moderner Technik und Kompetenz, wie in seinem Haus oder der Strahlentherapie nebenan, führten insgesamt zu einer Verbesserung der Versorgungssituation, sagt er. Und: Baden-Württemberg habe ohnehin die geringste Bettendichte in Deutschland, der Kuchen für große und mittlere Kliniken sei damit groß genug. „Freiburg ist nicht überversorgt, es ist genug für alle da“, sagt Decker.
Für die Zukunft sieht man sich in Freiburg-Landwasser gut aufgestellt: Zunächst weil Corona eine gute Zusammenarbeit aller Krankenhäuser auf medizinischer Ebene gebracht habe, sagt Decker. Für das Diakoniekrankenhaus sieht Decker die Zukunft in einer maßvollen Spezialisierung. Dazu müsse das medizinische Spektrum passen. Die Diakonie biete bei weitem nicht alles – aber das, was sie anbietet, erfolgt auf hohem Niveau. „Manche Leuchttürme sind halt ein wenig kleiner. Trotzdem ist es gut, wenn es sie gibt.“
„Dass es das noch gibt“ habe er als einstiger Berater, der rund 200 Kliniken in Nordrhein-Westfalen gesehen habe, gedacht, als er vor elf Jahren in Freiburg anheuerte, sagt Decker. Ein überschaubares Haus, in dem trotzdem ein hochkarätiges medizinisches Leistungsspektrum angeboten wird und wo Mitarbeiter und Patienten zufrieden sind. Und es schaut ganz so aus, als sei die vermeintlich gute alte Zeit vor Corona hier auch ein wenig die neue danach.
Die Kirche hat kein Mitbestimmungsrecht
Wo Krankenhäuser dagegen wie Konzerne verstanden würden, werde gern das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, glaubt Michael Decker: „Wo ist da der Mensch als Patient?“ Er spricht vom besonderen „Spirit“, der kennzeichnend für das Diakoniekrankenhaus ist, aber evtl. nicht mehr aufrechtzuerhalten wäre, wenn man zu schnell wachsen würde. Es sind sehr eigene Gedanken zur Patientenorientierung, die auch von der Trägerschaft bestimmt sein dürften. Das Diakoniekrankenhaus ist ein 100 Prozent eigenständiger altrechtlicher Verein und freiwilliges Mitglied im Diakonischen Werk der Landeskirche Baden. Die Evangelische Kirche hat aber weder ein Mitbestimmungsrecht noch unterstützt sie das Haus in irgendeiner Form finanziell. Man ist komplett auf sich allein gestellt. Das ermöglicht schnelle Entscheidungsprozesse. Im Gegenzug gibt es aber auch kein Auffangnetz, wenn etwas schiefläuft.
Im kommenden Jahr werden die ersten Bauarbeiten starten, um mit dem rund 40 Millionen schweren Erweiterungs-Anbau zu beginnen. Die medizinischen Aussichten für das dann ausgebaute Diakoniekrankenhaus? Laut Decker liegt die Herausforderung in einer demografischen Entwicklung, die einen starken Anstieg alter Menschen mit schweren Erkrankungen mit sich bringen wird. Es ist ein großer medizinischer Erfolg, dass Herz- oder Schlaganfall-Leiden heutzutage besser unter Kontrolle zu bringen sind. Aber die Menschen werden dadurch auch älter und erleiden Krankheiten, die sie früher vielleicht gar nicht mehr erlebt hätten: „Wir müssen darauf Antworten finden“, sagt Michael Decker. Und dann werde möglicherweise auch vieles ambulant vorgenommen, was heute stationär gemacht wird, eine neue Denkweise ist seiner Ansicht nach nötig. Auch was den digitalen Paradigmenwechsel angeht, der noch mehr Vernetzung in der Patientenversorgung erfordert. „Hier herrscht unglaublich viel Dynamik“, sagt Decker.
Letztlich besteht im Krankenhauswesen aber eine große Abhängigkeit von politischen Entscheidungen, die den finanziellen und strukturellen Rahmen für die Krankenhäuser vorgeben. Es steht zu hoffen, dass für die zukünftige Krankenhausfinanzierung gute Lösungen gefunden werden – aktuell sieht es für die meisten deutschen Krankenhäuser leider nicht so gut aus. Und dass nicht vergessen wird, dass auch kleinere Einrichtungen für die Patientenversorgung sehr wertvoll sein können.
Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Printmagazin in der Ausgabe Februar 2021. Hier geht’s zum Abo!