Mikrosatelliten und Infrarotkameras: Wie ein Freiburger Start-up aus dem Weltall die Landwirtschaft in der Zukunft verbessern will – und noch viel mehr. Ein Jahr nach der Gründung nimmt die Mission immer mehr Gestalt an.
VON DANIEL RUDA
Eine der drängendsten Fragen unserer Zeit: Wie schafft man es, unter den gegenwärtigen Umständen Nahrung für immer mehr Menschen herzustellen? Die Situation schaut eindeutig aus. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Menschheit bis zum Jahr 2050 etwa 50 Prozent mehr Nahrung als heute benötigen wird. Schätzungsweise bis zu zehn Milliarden Menschen werden in 30 Jahren auf der Erde leben, der es heute schon nicht gut geht: Klimawandel, Dürreperioden, Wasserknappheit. Ausgereizte Agrarflächen werden die weltweite Nahrungsmittelproduktion dann besonders belasten.
Eine Antwort kann lauten: Indem man die in Zukunft verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen maximal intelligent bewirtschaftet. In jedem Fall mit Hilfe moderner Technologie. Smart Farming ist das Stichwort, mit dem vor allem eine effiziente Bewässerung in den Fokus rücken wird.
Auftritt ConstellR, ein Start-up aus Freiburg, das vor gerade mal einem Jahr gegründet wurde und mit einem spektakulären Plan daherkommt. Es drängt ins Weltall, um von dort einen Beitrag zur Ernährungssicherheit der Welt zu leisten. „Wir haben eine Methode entwickelt, um die Gesundheit von Pflanzen auf landwirtschaftlichen Feldern in der ganzen Welt mit Hilfe von kleinen Satelliten bestimmen und kontrollieren zu können“, sagt Max Gulde, einer von vier Gründern und CEO der Ausgründung aus dem Fraunhofer Ernst-Mach-Institut (EMI).
„Mit einer speziellen Infrarotkamera werden wir täglich, global und feldgenau Daten anhand von genauen Heatmaps liefern, die für eine Landwirtschaft der Zukunft von größtem Wert sind“. Die Daten der Landkartenaufnahmen seien bis auf 50 Meter genau. Der Wasserverbrauch bei der künstlichen Beregnung von Feldern kann so einerseits gesenkt und gleichzeitig die Nahrungsmittelproduktion pro Hektar erhöht werden. „More crop per drop“ ist das Ziel, mehr Ernteertrag pro Wassertropfen.
„Dank unserer Daten kann man in der Landwirtschaft Tage oder Wochen, bevor ein Blatt überhaupt welk werden würde, schon die Ursache bekämpfen, und das in jedem Feld der Erde“, bringt Gulde den praktischen Nutzen auf den Punkt. „Die perfekte Versorgung von Nutzpflanzen mit Wasser ist so sichergestellt.“ Den Konjunktiv hat Gulde längst abgelegt. Der 36-Jährige spricht von „unserer Mission, und Vision“, und die ist schon greifbar.
Testphase auf der Internationalen Raumstation
Im Frühjahr 2022 wird ein Astronaut der Internationalen Raumstation ISS die Schrauben festziehen, und ConstellR ist mit seiner Methode im Weltraum angekommen. Auf der angedockten Forschungsplattform „Bortolomeo“ wird die in Freiburg entwickelte Infrarotkamera für ein Jahr als sogenanntes Demonstrator-Projekt durch den Orbit schweben und getestet.
Rund zwei Millionen Euro an öffentlichen Fördergeldern, unter anderem über den Exist-Technologietransfer des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, hat ConstellR dafür eingesammelt. Auch das gemeinsame Leistungszentrum Nachhaltigkeit der örtlichen Fraunhofer-Institute sowie der Uni Freiburg unterstützt das Start-up.
So groß wie ein 12er-Pack Milch aus dem Supermarktregal wird die Kamera sein, „das schwebende Auge“, sagt Gulde. Ganz egal, ob es ein Feld im kleinen Wiesental, in Indien oder im Kongo ist: Die Kamera ist je nach Ausrichtung des Satelliten in der Lage, punktgenaue Temperaturen der Erdoberfläche zu messen, die ein zentraler Gradmesser für die Gesundheit von Nutzpflanzen darstellt. Ein ganzer Schwarm mit solchen Kameras ausgerüsteten Mikrosatelliten soll künftig im Weltall schweben.

Vier Jahre ist es her, seit die Wissenschaftler Max Gulde und Marius Bierdel die Idee dieser speziellen Erdbeobachtung mit Mikrosatelliten für einen Wettbewerb der europäischen Raumfahrtagentur ESA ersonnen haben. Eine kleine Satellitenmission zu entwerfen, die gesellschaftlichen Nutzen hat, war die Aufgabe. „Wir haben da einfach mal mitgemacht“, beim EMI arbeiteten sie ohnehin an einem Satelliten-Projekt.
Ihre Idee, die bis dato reine Theorie war, schaffte es unter rund 200 Vorschlägen bis ins Finale. Auch Fraunhofer unterstützte das Projekt mit Fördergeldern. Irgendwann konnten sie der Frage nach einer Ausgründung nicht mehr aus dem Weg gehen. „Eigentlich war das gar nicht unser Plan, auch weil wir das unternehmerische Risiko nicht gegen unsere sicheren Jobs eintauschen wollten.“ Aus Neugierde durchliefen sie dennoch ein Fraunhofer-Gründer-Programm und merkten immer mehr Potenzial in der Sache.
Mit den zwei Raumfahrtexperten Christian Williges und Christian Mittermaier war inzwischen ein Gründerquartett aus ihnen geworden. Nun, ein Jahr später, ist ConstellR ein 16-köpfiges Team aus Wissenschaftlern und Ingenieuren, Ende nächsten Jahres sollen es 50 sein, „wir werden uns jetzt von Jahr zu Jahr verdoppeln“, sagt Gulde. Die Rakete ist quasi gezündet.
Ein Schwarm von Mikrosatelliten
Nach Abschluss des einjährigen Demonstratorprojekts auf der ISS will das Start-up Mitte 2023 die ersten Mikrosatelliten in Eigenregie ins All schicken. Mindestens fünf Stück sollen es zum Start sein, mit ihnen kann zunächst eine landwirtschaftliche Fläche von einer Millionen Quadratkilometer abgedeckt werden. Der Schwarm soll dann noch deutlich größer werden: weltweit gibt es rund 15 Millionen Quadratkilometer solcher Flächen.
Die gesammelten Daten sollen zunächst vor allem an Firmen verkauft werden, die sie in ihre digitalen Anwendungen für Landwirtschaft einbringen. Mit dem Raumfahrt- und Technologiekonzern OHB ist schon ein starker Partner an Bord. Derzeit sucht das Start-up nach weiteren Investoren. Ein einzelner Mikrosatellit soll rund drei Millionen Euro kosten, was im Raumfahrtgeschäft eine mickrige Summe ist – die meisten Satelliten, die im Weltall unterwegs sind, kosten mehrere hundert Millionen. „Auch deswegen ist unsere Methode einzigartig“, sagt Gulde. Mikrosatelliten sind nicht darauf ausgelegt, mehrere Jahre im All unterwegs zu sein, wie das bei einem größeren Satelliten der Fall ist.
Man könne sich das wie bei Smartphones vorstellen, „wir entwickeln immer weiter und können dann regelmäßig eine neue Generation ins All schicken“, erklärt Gulde, der promovierter Physiker und Quereinsteiger ins Thema Raumfahrt war, als er vor sechs Jahren ans EMI kam.
Der Zukunftsmarkt Weltall
Nun spricht er vom Projekt im Weltall, als würde es um die Wiedereröffnung eines Bistros gehen. Großes Aufheben macht man bei ConstellR nicht. Der Ansatz ist im Kern aber derselbe wie bei Elon Musk: Einfach mal drauflos, so verrückt die Idee auch erscheinen mag. „Der Weltraum ist derzeit näher als jemals zuvor“, private Anbieter treiben die kommerzielle Nutzung immer weiter voran, fasst es Marius Bierdel zusammen, als CTO ist er für die Technologie verantwortlich.
Die Auszeichnungen und Awards bei Start-up-Initiativen häufen sich. Zuletzt bekam ein Video eine richtig große virtuelle Bühne. Darin steht Gulde, der das Sprachrohr nach außen ist, auf einem schneebedeckten Schwarzwald-Hügel und erklärt den Ansatz von ConstellR. Dazwischen geschnitten sind Drohnenaufnahmen, Fakten und Statistiken. Das Video war der Beitrag zur großen US-Technologiemesse „South by Southwest“, bei der es ConstellR in der Kategorie „Innovative World“ ins Finale schaffte.
„Der Weltraum ist derzeit näher als jemals zuvor“
Marius bierdel über die zuunehmende kommerzielle nutzung des alls
Max Gulde ist optimistisch, in den nächsten Monaten finanzkräftige Investoren zu finden. Anfragen kämen quasi wöchentlich rein, „wir müssen jetzt das strategische Interesse und die langfristige Finanzierungskraft ausloten“. Im nächsten Jahr steht eine neue Finanzierungsrunde an. Im Jahr 2027 rechnet ConstellR mit einem Umsatz von 70 Millionen Euro.
Neben der Landwirtschaft sollen später auch noch weitere Anwendungsbereiche erschlossen werden, rund 30 hat das Start-up jetzt schon in der Schublade. Beispiele: Die Überwachung von Ölpipelines zum Entdecken von Lecks; Das Monitoring von Stadtklima, um urbane Wärmeinseln zu bekämpfen („ein Riesenthema“); Permafrostböden, Fischfangverbotszonen oder Feuerrisiko. „Die Liste ist lang“, sagt Max Gulde.
Der gesellschaftliche Nutzen soll immer im Vordergrund stehen, das habe sich das Start-up vorgenommen. „Wir haben hier den Hebel in der Hand, was zu reißen, auf das wir wirklich stolz sein können.“
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Printausgabe vom April 2021.