Das Jahr 2022 hört anders auf, als die meisten es sich zu Beginn vorgestellt und gewünscht hatten. Wie gehen die Unternehmen in der Region mit dieser Krisenkaskade um?
VON KATHRIN ERMERT
Nach zwei Jahren Bangen habe er wieder Licht am Ende des Tunnels gesehen, sagt der Freiburger Gastwirt Christoph Glück in unserer Umfrage. Doch jetzt fühle es sich so an, als wären wir aus einem Tunnel raus direkt in den nächsten wieder reingefahren. Auch netzwerk südbaden war 2022 euphorisch mit einem Innovations-Schwerpunkt gestartet. „Können wir auf ein positives, im Aufbruch befindliches, ein innovatives Jahr hoffen“, fragten wir im Januar. Und knapp einen Monat später, als am 24. Februar Russland seinen Angriffskrieg auf die ganze Ukraine ausweitete, wurde die Frage schon beantwortet.
Licht und Schatten
Wobei: So eindeutig ist die Antwort gar nicht. Wo Schatten ist, ist auch Licht. Hell und Dunkel, Yin und Yang: Während der Recherche unserer Texte und der Gestaltung dieser Ausgabe sind wir immer wieder solchen Gegensätzen begegnet. Da bangen mehrere hundert Beschäftigte an den Standorten von Galeria Karstadt in der Region um ihre Arbeitsplätze, während dem Installateur die Fachkräfte fehlen und er nicht weiß, wie er die vielen Anfragen zur Beratung in Sachen Heizungstausch bewältigen soll.
Da freut sich der Spülmaschinenhersteller einerseits über volle Auftragsbücher, kämpft aber andererseits mit vielen Lücken in der Lieferkette. Selbst bei den Energieerzeugern und -versorgern, die viele als Profiteure der Krise sehen, gibt es beide Seiten: Die Unternehmen profitierten zwar vereinzelt von hohen Strompreisen, müssen sich aber auch auf Zahlungsausfälle der Kunden und auf teure Nachkäufe einstellen. Zugleich kämpften sie im Spätherbst mit politisch verordneten Preisdeckeln und Bremsen, die sich fast täglich änderten.
Gibt es Gründe zu feiern am Ende dieses Jahres – außer, dass es vorbei ist?
Und während in vielen Gastronomiebetrieben noch immer manche Tische leer und bei den Einzelhändlern einige Regale voll bleiben, wagen in Achern und im Hochschwarzwald Frauen und Männer Neustarts mit einer Mischung aus Handel und Gastronomie. Überhaupt ging es Hotels und Restaurants überraschend gut, berichten Branchenvertreter, vor allem im Sommer, weil die Menschen wieder ausgehen und reisen, auch geschäftlich. Sogar für Kinobetreiber gab es Lichtblicke in diesem schwierigen Jahr: „Da habe ich gemerkt, es kann wieder funktionieren“, sagt der Freiburger Kinobetreiber Ludwig Ammann über den Monat September, der beinahe das Niveau von vor der Pandemie erreichte.
Krise und Feiern
Gibt es also doch Gründe zu feiern am Ende dieses Jahres – außer, dass es vorbei ist? Können wir überhaupt noch winters feiern, drinnen, in geschlossenen Räumen? Zwei Jahre gab es das kaum. Viele Weihnachtsfeiern fielen aus, wurden ins Virtuelle verlegt oder verschoben. Wie auch all die Konzerte aus dem Jahr 2020, die die Veranstalter 2022 nachholten, damit aber keinen neuen Umsatz generierten, sondern im Gegenteil auch noch höhere Nebenkosten abdecken mussten.
Wir sehnen uns nach Normalität, wollen wieder einladen, wissen aber nicht, ob wir uns das im dritten Coronawinter trauen, angesichts der Inflation leisten können und ob das angemessen ist, während Russland die Ukraine bombardiert. Diese Verunsicherung bemerken regionale Eventagenturen bei ihren Kunden, und sie stellen sich die gleichen Fragen hinsichtlich der eigenen Mitarbeitenden. Dabei kann Feiern in Krisenzeiten eine psychische Entlastung sein und uns ein paar Stunden auf andere Gedanken bringen, wie die Arbeits- und Organisationspsychologin Silke Berger weiß.
Investitionen zeigen, dass nach wie vor Geld und vor allem Mut vorhanden sind
Ohnehin lässt sich darüber streiten, ob der Verzicht auf Geselligkeit den Leidtragenden in Kriegs- und Krisengebieten nutzt, oder im Gegenteil die Macht des Aggressors noch vergrößert. Viele Ukrainer zelebrieren jedenfalls, so sie können, Normalität als Form des Widerstands, besuchen Restaurants im Kerzenschein, feiern in Clubs und gehen in Konzerte. Wen hierzulande das schlechte Gewissen zwickt, weil man unbekümmert den Glühwein mit Kollegen genießt, kann sich wohltätig zeigen. So haben es viele schließlich all die Jahre getan: 30 bis 40 Prozent ihrer Spendeneinnahmen kommen normalerweise im November und Dezember zusammen, berichten die beiden Freiburger Hilfsorganisationen Caritas International und Amica. Doch dieses Jahr ist selbst im Fundraising alles anders – und auch das ein Thema dieser Ausgabe.
Geld und Mut
Dass nach wie vor Geld und vor allem Mut vorhanden sind, zeigen die Investitionen, über die wir berichten. Die Familie Bohrer beispielsweise hat viele Millionen Euro im Hartheimer Ortsteil Feldkirch verbaut und so ihren Gemüseanbautrieb in eine Landerlebniswelt verwandelt. Das kürzlich eröffnete Landhotel ist der vorläufige Abschluss dieser Metamorphose im Markgräflerland. Und in der Ortenau geht das Wachstum des Europa-Parks weiter. Am Ende einer fast normalen Saison hat die Familie Mack ihr „Eatrenalin“ eröffnet, das die kulinarische mit der Kernkompetenz des Karussellbauers zu einem neuartigen Spektakel vereint. Diese Mischung aus Event und Dinner gehört zum Hotel Krønasår, in das der Europa-Park insgesamt rund 20 Millionen Euro gesteckt hat.
Eine bemerkenswerte Investition ist zudem die Neueröffnung von Motel a Miio in der Freiburger Gerberau. Denn hier geht ein Onlinehändler bewusst ins analoge Geschäft und belohnt seine stationären Kundinnen – es sind tatsächlich überwiegend Frauen – sogar mit einem kräftigen Rabatt. Freiburg ist der größte Standort des Unternehmens, das zwei Münchnerinnen erst vor sechs Jahren gegründet haben. In gut zwei Dutzend Läden verkaufen sie mittlerweile ihre fröhlich-bunte portugiesische Keramik, die nach Sommerlaune aussieht und Hoffnung für den innerstädtischen Handel macht. Auf dass die Bilanz in einem Jahr besser ausfällt und wieder Licht am Ende des Tunnels scheint.