Seit der Pandemie steigen die krankheitsbedingten Fehltage. Das schadet der Wirtschaft – und nutzt zugleich Unternehmen der Gesundheitsbranche, von denen es einige in der Region gibt. Heilung geht auch ganz natürlich, wie ein Arzt der Uniklinik zeigt.
VON KATHRIN ERMERT
Wir sehen es am Arbeitsplatz und in Klassenzimmern: Viele Menschen sind in diesen Wochen krank. Die Zahl der Coronainfektionen lag Anfang Dezember mehr als doppelt so hoch wie alle bisherigen Höchstwerte. Das geht aus der von Klärwerken erfassten Viruslast hervor, die das Bundesgesundheitsministerium auf seinem Pandemieradar veröffentlicht. Im Januar, als die Covid-Werte wieder gefallen waren, nahmen die Grippefälle zu.
Die Zahl der Krankmeldungen ist vergangenes Jahr auf einen Rekordwert gestiegen. Durchschnittlich 20 Tage fiel jede Erwerbsperson 2023 laut Techniker Krankenkasse wegen einer Erkrankung aus. Atemwegsinfekte sind der häufigste Grund, dass Beschäftigte nicht arbeiteten, aber auch psychische Erkrankungen nehmen weiter zu. Das stellt die Unternehmen, die angesichts des Fachkräftemangels ohnehin knapp besetzt sind, vor enorme Herausforderungen. Wie Führungskräfte dafür sorgen können, dass ihre Mitarbeitenden gesund bleiben, und wie sie sich selbst vor Überlastung schützen können: Das sind unter anderen Themen dieses Schwerpunkts.
„Ohne die krankheitsbedingte Ausfälle wäre das Bruttoinlandsprodukt leicht gewachsen.“
Verband forschender Arzneimittelhersteller
Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA) bringt den hohen Krankenstand sogar in Zusammenhang mit der kränkelnden Konjunktur: „Ohne die Ausfälle wäre das Bruttoinlandsprodukt leicht um 0,5 Prozent gewachsen“, heißt es in einer VfA-Pressemitteilung. Stattdessen ist die Wirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft. Diese Differenz von 0,8 Prozent der Wirtschaftsleistung kommt laut VfA 26 Milliarden Euro gleich. Insbesondere in der Industrie habe der erhöhte Krankenstand zu Einbußen geführt. Deutschland sei „im wahrsten Sinne des Wortes der kranke Mann“, so der VfA.
Pharma und Medizintechnik in der Region
Die Pharmaindustrie profitiert allerdings – wie andere Zweige der Gesundheitswirtschaft – zugleich von den vielen Kranken. Das kommt auch in der Region an, denn hier sind einige Unternehmen der Branche angesiedelt. Der US-Konzern Pfizer beispielsweise betreibt in Freiburg eine seiner größten Produktionsstätten. Die Tablettenfabrik am nördlichen Ende der Stadt, 1866 als Gödecke Arzneimittelwerk gegründet, ist seit dem Jahr 2000 Teil des Pfizer-Konzerns. Der fertigt in Freiburg Tabletten sowie Kapseln, beispielsweise das Covidmedikament Paxlovid. Der Standort ist zudem das weltweit größte Abpackwerk fester Pfizer-Arzneien. Annähernd 2000 Beschäftigte arbeiten in Freiburg für den Pharmariesen.
Das andere Freiburger Pharmaunternehmen, Dr. Falk Pharma, ist jünger und kleiner. Der 1960 gegründete Spezialist für Verdauungs- und Stoffwechselmedizin beschäftigt etwa 250 Menschen am Firmensitz in Hochdorf. Derzeit entsteht auf dem Freiburger Güterbahnhofareal eine neue Zentrale, in die Falk Pharma voraussichtlich 2025 zieht. Derweil wächst die Tochterfirma Losan Pharma, die 1992 in Neuenburg entstand und seit 2007 zu Falk Pharma gehört, vor allem an ihrem Standort im Gewerbepark Breisgau. Dort hat Losan Pharma Mitte 2023 ein neues Verwaltungsgebäude bezogen. Neben der Verpackung wird gerade eine neue Fertigung gebaut. Außerdem laufen die Planungen für ein Hochregallager. Am Hauptsitz in Neuenburg bleiben Produktion, Forschung und Entwicklung. Insgesamt beschäftigt Losan Pharma rund 650 Mitarbeitende. Das Unternehmen entwickelt und fertigt Tabletten nicht unter eigener Marke, sondern im Auftrag von Pharmaunternehmen aus Europa, Asien, Nord- und Südamerika.
Nahe Basel ballen sich am Hochrhein etliche Chemie- und Pharmafirmen. Bayer produziert in Grenzach mit rund 550 Mitarbeitenden Salben wie den Bestseller Bepanthen. Nebenan betreibt die Roche Pharma AG einen großen Standort mit rund tausend Mitarbeitenden, die allerdings nicht in der Produktion (die sitzt in Basel und Mannheim), sondern mit klinischen Studien, Zulassungen, Marketing und Vertrieb beschäftigt sind. Die niederländische DSM-Gruppe produziert in Grenzach direkt neben Roche mit rund 700 Beschäftigten Vitamine für die Futter- und Lebensmittel- sowie kosmetische Industrie. Und etwas weiter östlich, in der Gemeinde Wehr, betreibt die Schweizer Novartis AG eine Fertigung mit rund 300 Mitarbeitenden, die jährlich etwa 1,4 Milliarden Tabletten und Granulat produzieren.
Auch die Medizintechnik ist im Südwesten stark – und zwar nicht nur im Raum Tuttlingen, der ein bemerkenswertes Cluster darstellt. Auch in und um Freiburg gibt es einige Unternehmen der Branche, sowohl alte traditionelle wie die mittlerweile zum Stryker-Konzern gehörende Firma Leibinger, als auch junge, beispielsweise die auf Hirnimplantate spezialisierte Cortec GmbH. Der Ursprung von Cortec und anderen Firmen ist die Freiburger Uniklinik. Mit ihren mehr als 15.300 Beschäftigten, annähernd 90.000 stationären Fällen und mehr als 900.000 Ambulanzbesuchen ist dieser medizinische Gigant Zentrum und Magnet für die Gesundheitswirtschaft in der Region und eine Welt für sich.
Naturheilkunde an der Uniklinik
Hier geht es – anders als in der Industrie – nicht primär ums Geschäft. Und deshalb gibt es auch Einrichtungen wie das Uni-Zentrum Naturheilkunde, das quasi einen Gegenpol zur Pharma- und Medizintechnikindustrie darstellt. Es widmet sich – anders als der Name suggeriert – der gesamten sogenannten Komplementärmedizin. Also sowohl Naturheilverfahren wie Pflanzenheilkunde, Wasser- und Wärme, Bewegungs-, Ernährungs- und Ordnungstherapie (das sind beispielsweise Achtsamkeits- oder Entspannungsmethoden) als auch der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), der indischen Heilkunst Ayurveda oder der anthroposophischen Medizin.

„Man darf die Homöopathie nicht auf Kügelchen reduzieren.“
Roman Huber, Medizinprofessor und Letier des uNI-ZENTRUMS nATURHEILKUNDE
Roman Huber hat das Zentrum und das naturheilkundliche Wissen an der Freiburger Uniklinik seit 1998 etabliert. Der 61-Jährige betreibt eine Ambulanz, forscht und lehrt. Alle Medizinstudierenden kommen mit dem Thema in Berührung, Naturheilkunde ist in Freiburg Pflichtfach. Mitsamt dem angeschlossenen Labor sowie den Synergieeffekten zwischen Praxis und Forschung ist das Uni-Zentrum in der Form einmalig in Deutschland. In die Ambulanz kommen vor allem Menschen mit schweren Erkrankungen oder unerklärlichen Befunden, die schon Irrwege hinter sich und anderswo keine befriedigende Behandlung erfahren haben. Sie nehmen dafür mitunter lange Anfahrten in Kauf. Als Gastroenterologe behandelt Huber häufig Magen- und Darmerkrankungen wie Colitis oder Reizdarm und forscht auf diesem Gebiet. In einer Studie konnte er beispielsweise beweisen, dass die Ernährung sich auf die Zahl der Immunzellen auswirkt.
Huber und sein Team wenden in der Ambulanz auch jene Therapieform an, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nicht mehr von den Krankenkassen bezahlen lassen möchte: die Homöopathie. „Es wäre schade und unnötig, sie aus den Kassenleistungen auszuschließen. Damit werden keine Kosten gespart. Im Gegenteil entstehen Zusatzkosten“, sagt der Medizinprofessor. Er hält Homöopathie in der praktischen Versorgung für wirksam und ärgert sich, wenn in der öffentlichen Diskussion Sachverhalte vereinfacht dargestellt werden. Dass es keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beweis für die Wirkung von Homöopathie gebe, beziehe sich nur auf Globuli, deren Effekt nicht oder kaum über den von Placebos hinausgehe. Dagegen gibt es laut Huber Studien, die homöopathische und übliche Behandlungen bei Rücken-, Kopf- und anderen nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen verglichen haben und zu einem eindeutigen Ergebnis kamen: Nach einem Jahr ging es den homöopathisch behandelten Menschen besser als den normal behandelten.
„Man darf die Homöopathie nicht auf Kügelchen reduzieren“, mahnt Huber deshalb. Ein wesentlicher Bestandteil sei die Anamnese, das Gespräch: „Es ist eine besondere Form der Aufmerksamkeit. Da fühlen sich die Patienten ernstgenommen. Der ganzheitliche Blick ist die Besonderheit der Homöopathie.“ Zudem spricht aus Sicht des Mediziners nichts gegen den Placeboeffekt: „Die Wirkung kann gigantisch sein“, sagt Huber. In manchen Studien sei Placebo sogar besser als eine evidenzbasierte Schmerztherapie. Und noch dazu fast ohne Nebenwirkungen.