Die Zahl der Apotheken ist im ganzen Land auf einem Rekordtief. Tendenz: weiter fallend. Wie ist die Situation in der Region und wie unterscheiden sich Stadt und Land?
VON JULIA DONÁTH-KNEER
„Die Lage ist schlecht. Punkt.“ Friederike Habighorst-Klemm klingt frustriert. Und das ist sie auch. Dabei liebt die 58-Jährige ihren Beruf. Im Jahr 2000 hat sie die Stadtapotheke in Emmendingen übernommen und 2020 am neuen Standort neu eröffnet. Sie ist seit über zwanzig Jahren Beiratsmitglied beim Landesapothekerverband, seit vier Jahren im Vorstand. Doch das Leben als Apothekenbetreiberin ist schwer. 20 Mitarbeitende hat Habighorst-Klemm. „Ich arbeite wie ein Dackel. Aber am Ende des Monats muss ich oft auf meine privaten Rücklagen zurückgreifen, um meine Angestellten bezahlen zu können. Das ist doch kein Zustand.“

Grund für die finanzielle Schieflage ihrer wie auch vieler anderer Apotheken ist ein altes Verordnungsgesetz, das bundesweit die Apotheken lahmlegt. Vereinfacht gesagt: Pro verkaufter Packung rezeptpflichtiger Medikamente bekommen die Apotheker und Apothekerinnen ein festgeschriebenes Honorar, das immer gleich hoch ist, egal wie teuer das Medikament ist. Dieser Satz wurde 2003 festgelegt und in den vergangenen 20 Jahren nur ein einziges Mal erhöht: Nach zehn Jahren um 0,25 Euro – von 8,10 Euro auf 8,35 Euro. Seit 2013 ist das Fixum unverändert. „Gleichzeitig steigen natürlich überall die Kosten: Inflation, Digitalisierung, Energie, Miete, Tariferhöhungen und und und“, zählt Habighorst-Klemm auf. „Alle Unternehmer, alle Menschen zahlen überall mehr. Wir auch, aber unsere Einkünfte ändern sich nicht.“ Zur Einordnung: Im Jahr 2022 haben nach Angaben der Landesapothekerkammer die rezeptpflichtigen Arzneimittel im Schnitt 83,8 Prozent des Umsatzes ausgemacht.
Rückwärtsentwicklung
„Schon die Erhöhung im Jahr 2013 um knapp 3,1 Prozent lag nach zehn Jahren deutlich unterhalb der Inflation und war schon damals nicht ausreichend, um die gestiegenen Kosten der Apotheke zu decken. Seit diesem Zeitpunkt gab es keine Anpassung des apothekerlichen Honorars mehr“, fasst Frank Eickmann, Pressesprecher des Landesapothekerverbandes, zusammen. „Im Gegenteil: Im Februar 2023 wurde der Apothekenabschlag, der von der Apotheke für jede Packung zu zahlen ist, von 1,77 auf 2,00 Euro angehoben.“ Das Honorar der Apotheke stagniere so gesehen also nicht nur, sondern es entwickele sich seit über 20 Jahren rückwärts – „während freilich alle anderen Kosten, vor allem die Betriebs- und Personalkosten, deutlich angestiegen sind.“
Im vergangenen Jahr demonstrierten im ganzen Land Apothekerinnen und Apotheker dagegen. Bei Protesttagen im Juni, September und November blieben bis zu 90 Prozent der örtlichen Filialen teilweise ganztägig geschlossen. „Durch Lieferengpässe, Personalmangel und eine auf dem Niveau von 2004 eingefrorene Vergütung ist die Lage der Apotheken seit Jahren angespannt“, postulierte die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). „Die wohnortnahe Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten gerät durch wirtschaftlichen Druck auf die Apotheken immer mehr in Gefahr, so dass die Apothekenzahl inzwischen auch im Europavergleich auf einem historischen Tiefstand ist.“
In der Folge müssen immer mehr Apotheken schließen, auch in der Region. Deutschlandweit gibt es so wenige Apotheken wie seit 40 Jahren nicht mehr. „Wir verzeichnen seit Jahren einen deutlichen Rückgang der Anzahl von Apotheken, der sich in den vergangenen zwei Jahren beschleunigt hat“, sagt Eickmann. Grund sei, dass viele Apotheken dem „wirtschaftlichen Druck nicht länger standhalten können“. Sie schließen oder finden keine Nachfolge mehr. „Für die nachkommende Apothekergeneration fehlt es an wirtschaftlicher Perspektive und an Planungssicherheit.“


Haben es Apotheken im ländlichen Raum noch schwerer? „Grundsätzlich ist die Dynamik der rückläufigen Apothekenzahl in städtischen und ländlichen Regionen ähnlich“, sagt Sven Rottner von der Landesapothekerkammer. „Allerdings schlagen Schließungen auf dem Land und in Stadtrandgebieten spürbarer zu Buche. Das hat verschiedene Gründe: Einerseits ist die Apothekendichte in ländlich geprägten Regionen aufgrund der dünneren Besiedelung geringer, andererseits liegt das Durchschnittsalter in der Regel höher als in der Stadt, was zu einem höheren pharmazeutischen Bedarf führt.“ In absoluten Zahlen würden die meisten öffentlichen Apotheken jedoch tatsächlich in großen Städten schließen. Allein im Stadtkreis Freiburg waren es im Jahr 2023 vier Stück von insgesamt 62. Hinzu komme der Personalmangel, der im ländlichen Raum deutlicher zu spüren sei, sowie die Mehrbelastung, da die verbleibenden Geschäfte die Notversorgung auffangen müssen. „Die Anzahl an Notdiensten kann aufgrund der angespannten Personalsituation nicht beliebig erhöht werden. Insbesondere auf dem Land kann das mit längeren Wartezeiten und weiteren Wegen verbunden sein“, erklärt Rottner.
Als erste Maßnahme gegen das Apothekensterben fordern die Verbände eine Anpassung des Honorars. „Konkret fordern wir die sofortige Anhebung des Fix-Zuschlags auf 12 Euro“, sagt Frank Eickmann.
Gesund aufstellen
Auch Friederike Habighorst-Klemm hat kaum eine Antwort auf die Frage, wie man heute als selbstständige Apothekerin gewinnbringend wirtschaften kann. „Man muss die Kosten so gering wie möglich halten. Aber jedes Unternehmen muss sich attraktiv aufstellen, um zu überleben. Das ist fast unmöglich, wenn nichts übrig bleibt für Modernisierung.“ Der Fachkräftemangel macht auch vor den Apotheken nicht Halt, ganz im Gegenteil. Seit Jahren hat Habighorst-Klemm Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden. „Unser Problem, auch das der Konkurrenz: Wir bieten weder attraktive Gehälter noch attraktive Arbeitszeiten.“ Letzteres ist durch den Versorgungsauftrag bedingt. „In Apotheken bist du häufiger als beim Arzt. Die Apotheke ist die Gesundheitsberatung für die Bürgerinnen und Bürger“, sagt die Pharmazeutin. „Da geht man schnell hin, wenn die Nase läuft oder der Zeh wehtut. Das ist unser Auftrag, und der ist wichtig. Wir müssen den Alltag abdecken, dafür müssen wir erreichbar sein. Und dafür braucht es diese Standorte.“
„Wenn es keine wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln mehr gibt, wäre das eine Katastrophe.“
Friederike habighorst-klemm, apothekerin und patientenbeauftragte
Daher sieht sie es mit Sorge, wenn Apotheken nur noch dort eröffnen, wo die Kundenfrequenz hoch ist, um mit viel Durchlauf mehr Umsatz zu generieren. Querfinanzierung ist wichtig, es gibt hinter der Ladentheke schließlich mehr als Kopfschmerztabletten und Penicillin. Die meisten Apotheken bieten eine breite Palette pharmazeutischer Dienstleistungen an: von Blutdruckmessung bis zur Ernährungsberatung. Manches zahlt die Kasse (Impfungen), manches zahlt man selbst (Vitamin-D-Spiegel-Bestimmung), manches ist gratis (Venentests). „All das reicht nicht mehr zur Querfinanzierung aus. Heute trage ich mit jedem verkauften Arzneimittel 0,46 Euro raus aus der Apotheke“, sagt Friederike Habighorst-Klemm. Am wichtigsten sei aber die Nähe zu den Menschen: „Wenn es keine wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln mehr gibt, wäre das eine Katastrophe.“
Momentan macht ihr wie den meisten anderen der Medikamentenmangel zu schaffen. „Es geht nicht nur um die Kinderarzneimittel, die oft in den Nachrichten vorkommen. Da hängt noch viel mehr dran. Es ist nicht tragbar, wenn ein Diabetiker sein Insulin nicht bekommt, oder psychisch Kranke ihre Psychopharmaka absetzen müssen, Epileptiker keine Medizin bekommen.“ Solange die Hersteller nicht höhere Preise von den Krankenkassen erstattet bekommen, werde sich das nicht ändern, davon ist Habighorst-Klemm, die durch ihre Verbandstätigkeit nah an den Entwicklungen dran ist, überzeugt. „Wir haben uns selbst in diese Situation gebracht. Wegen des immensen Preisdrucks sind immer mehr pharmazeutische Hersteller aus Europa abgezogen. Wir vom Verband haben schon vor mehr als 15 Jahren gewarnt, dass wir in Lieferengpässe kommen werden, weil wir uns von China und Indien abhängig machen. Am Ende bleibt übrig, was man gesät hat“, sagt die Apothekerin. „Wenn man Strukturen kaputt macht, geschieht genau so etwas. Und das machen sie jetzt mit uns und unseren Apotheken gerade auch.“