Ein älterer Herr erklärt Frauen seit vielen Jahren, wie sie sich Gehör in Männerdomänen verschaffen. Warum ist Peter Modler zum Übersetzer zwischen den Geschlechtern geworden – und warum sind seine Coachings immer noch nötig?
VON KATHRIN ERMERT
Es ist eine außergewöhnliche Zahl für ein Sachbuch, die der Fischer-Verlag im September meldete: 100.000-mal hat sich Peter Modlers „Arroganz-Prinzip“ seit seinem Erscheinen 2009 verkauft. Nur die deutsche Ausgabe. Auch die zahlreichen Übersetzungen laufen nach wie vor gut.
Der in Amoltern im Kaiserstuhl lebende Autor ist zugleich Coach und trainiert seit 2006 weibliche Führungskräfte in Sachen Durchsetzungsvermögen. Er sieht auch die Ambivalenz seines Erfolgs: Dass das Buch immer noch nötig ist, heißt, dass Frauen im Arbeitsleben noch lange nicht am Ziel sind. Modler vergleicht den Weg zur Gleichberechtigung mit einem Transatlantikflug – und jetzt sind wir erst mitten über dem Ozean, da kann man nicht einfach aussteigen.
„Warum werde ich ständig unterbrochen“, lautet eine klassische Aussage von Teilnehmerinnen seiner Seminare, „Warum stellen die sich so an?“ das männliche Pendant dazu. Es scheint mitunter, als sprächen die Geschlechter unterschiedliche Sprachen, wobei die männliche vorherrscht. Als Unternehmensberater erlebte Modler häufig, dass Frauen mit guten Ideen nicht durchdringen konnten, und begann, nach den Gründen dafür zu suchen. Er wurde bei der US-amerikanischen Soziolinguistin Deborah Tannen fündig, die zwei völlig unterschiedliche Kommunikationssysteme definiert.
Inhalt versus Hierarchie
Im sogenannten vertikalen System ist Hierarchie wie die Luft zum Atmen. Die Teilnehmer dieses Systems, das sind eher Männer als Frauen, können erst dann arbeiten, wenn die Rangordnung geklärt ist. Und zwar unabhängig davon, an welcher Stelle sie stehen. Im horizontalen System dagegen, dem Tannen mehr Frauen zurechnet, gibt es eine fast egalitäre Kommunikation. Informationsaustausch fungiert hier als Zeichen der Zugehörigkeit, und Hierarchie spielt überhaupt keine Rolle.
Die Herausforderung für Führungskräfte sei es, beide Kommunikationssysteme zu kennen, „zweisprachig“ zu sein, wie Modler es nennt, und „zwischen den Systemen switchen zu können“. Das ist das Ziel. Modler, der früher auch journalistisch gearbeitet hat und seine Bücher ohne Ghostwriter schreibt, gibt seinen Seminaren neugierig machende Namen. Neben dem – sogar urheberrechtlich geschützten – „Arroganz-Training“ für weibliche Führungskräfte bietet er das Seminar „Begegnung mit Aliens. Wenn Frauen in Produktionsbetrieben auftauchen“ für männliche Vorgesetzte an.
Die Seminare erfreuen sich großer Beliebtheit, sind immer Monate im Voraus ausgebucht. Das Problem ist allerdings: Die meisten kommen erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Wenn der Leidensdruck groß ist. Ein Beispiel: Ein Unternehmen, das diverser werden möchte, schafft es zwar, Frauen als Mitarbeiterinnen zu gewinnen. Sie verlassen es aber oft nach wenigen Monaten schon wieder. Was läuft da schief?
“Vereinzelt zu werden ist für Frauen schlimm. Und genau das ist in Führungspositonen meist der Fall.”
Peter Modler, Autor und coach
Das zeigt sich zuverlässig in den Rollenspielen, die der Coach in seine Seminare einbaut und für die er sogenannte Sparringspartner engagiert, Laien ohne Bezug zum Thema. Fallbeispiel: Ein vertikaler Vorgesetzter bietet einer horizontalen Mitarbeiterin, deren Fähigkeiten er schätzt, eine Führungsrolle an. Sie antwortet mit Zweifeln. Das Spiel wiederholt sich dreimal, danach ist er nicht mehr so von ihren Fähigkeiten überzeugt. Dabei bedeuten ihre Zweifel, dass sie sich sorgt, aus ihrer Gruppe herausgerissen zu werden. Der Vertikale hätte der Horizontalen also eine neue Zugehörigkeit in Aussicht stellen müssen, etwa einen Führungszirkel, um sie von dem Schritt zu überzeugen.
Die Angst, allein dazustehen, sieht Modler auch als Grund, warum Frauen sich oft nicht trauen, Führungspositionen zu übernehmen. Vereinzelt zu werden, sei für sie schlimm – und genau das ist in Führungspositionen meist der Fall.
Wirtschaftliche Relevanz des Themas
Frauen erlebten die Arroganz-Trainings oft als Aha-Moment, dass sie nicht allein Probleme haben, dass es um etwas Strukturelles geht. „Je näher am Maschinenbau, desto vertikaler ist die Kommunikation, je sozialer desto horizontaler“, sagt Modler. Die Geschlechter kommunizieren nicht nur in der Wirtschaft aneinander vorbei, sondern in allen Teilen der Arbeitswelt. Deshalb buchen auch Oberärztinnen, Schulleiterinnen oder Richterinnen Modlers Arroganz-Trainings. Mancherorts wächst der Bedarf dadurch, dass mehr Fach- und Führungskräfte aus „Macho-Kulturen“, wie Modler es nennt, auf unseren Arbeitsmarkt kommen und hier nicht gesellschaftlich gebrieft werden.
Der Kommunikationsexperte sieht allerdings auch Fortschritte: Gender beschäftigt nicht mehr nur soziologische Institute. Die wirtschaftliche Relevanz des Themas ist in vielen Personalabteilungen angekommen. Wie unproduktiv Monokulturen sein können, zeigt die Automobilindustrie, die dem technologischen Wandel hinterherhechelt. Ideal ist ein Mix aus beiden Systemen mit zweisprachigen Führungskräften. Dass übrigens Frauen nicht automatisch bessere Chefs sind, thematisiert Modler in seinem Buch „Die freundliche Feindin“ über weibliche Machtstrategien.
Der 67-Jährige arbeitet daran, sich allmählich überflüssig zu machen. Seit ein paar Jahren bildet er Coaches aus. Rund vierzig Frauen und zehn Männer können mittlerweile ihrerseits als Arroganz-Trainer arbeiten. Sämtlich Inhouse-Anfragen leitet Modler zwischenzeitlich an seine Zöglinge weiter. Er selbst bietet nun nur noch zwei öffentliche Arroganz-Trainings pro Jahr an.