Alle lieben ihn als Vorbild – und trotzdem geht er manchmal unter in der Wahrnehmung. Die Politik findet ihn wirtschaftlich wichtig – und trotzdem hilft sie eher den ganz Großen. Von wem sprechen wir wohl?
VON RUDI RASCHKE
Das Rätsel muss gar nicht weiter fortgesetzt werden, es ist ja klar, dass es um unser Titelthema geht, den Mittelstand. Es gibt weniger, was mehr Erwähnung findet und positiver besetzt ist, wenn die Rede auf die deutsche Wirtschaft kommt. Und trotzdem geht eine genaue Betrachtung oft unter. Übrigens nicht nur bei Kanzlerin oder Ministerpräsidenten. Sondern auch bei uns Medien.
Unser letzter netzwerk-südbaden-Titel zum Mittelstand beispielsweise liegt fünf Jahre zurück. Was lang ist angesichts eines wichtigen Themas. Was zugleich nicht lang ist, wenn man bedenkt, dass der Mittelstand quasi dauerpräsent ist bei einem regionalen Wirtschaftsmagazin. Aber offenbar nur selten auf dem Titel.
Vor fünf Jahren war die Lage eine andere, da waren Bürokratie-Abbau oder Digitalisierung die großen Mittelstands-Themen, die uns beschäftigten. Heute ist es im Wesentlichen die Widerstandsfähigkeit nach der Pandemie, der Erhalt der Innovationskraft, auch die Veränderungsmöglichkeiten in einer erstarrten, unflexiblen Bundesrepublik Deutschland.
Natürlich haben wir für diese Ausgabe mit einigen Unternehmern gesprochen, die den Mittelstand in seiner klassischen Ausprägung repräsentieren: Indem sie ihr eigenes Familienunternehmen führen. Wir haben bei keinem Resignation oder Lähmung gespürt, sondern überwiegend Aufbruchstimmung vermittelt bekommen. Faszinierend daran ist nicht nur der Optimismus. Sondern, dass in diesen Unternehmen wirklich das Herz der südbadischen Arbeitswelt schlägt.
Der Mittelstand hält das Land am Laufen
Keine Dax-Konzerne, die sich mehr mit Aktienkurs und Quartalszahlen rumärgern als mit guten Produkten. Sondern Menschen, die das, was sie machen, auch tatsächlich lieben. Das ist in der Wirtschaft keineswegs selbstverständlich. Typen, die entscheiden können und mit anpacken, aber auch die Weitsicht haben, ein Unternehmen in die Zukunft zu führen.
Die nicht mit der Welt hadern, obwohl sie globale Geschäfte machen. Denen es im Gespräch ganz real um Führungspraxis geht, um Standortbezug, um gesundes Wachstum. Oder wie man attraktiv wird für Azubis, ohne sich Luxus-Lehrlinge heranzuziehen. Geschäftsmänner und -frauen, von keiner auf die Idee kommt, permanent die Lage in China oder den USA für sein Geschäft kommentieren zu müssen. (Im Unterschied zu manchem badischen Wirtschaftsverband, der zum Ausgang von Wahlen in Washington schon mal seine Einschätzung schickt, lange, bevor ein Ergebnis feststeht.)
Diese Bescheidenheit ist beachtlich, ausgerechnet die Pandemie hat gezeigt, dass es die Mittelständler sind, die das Land am Laufen halten und einige Großkonzerne eben nicht. Mit Karstadt wurde ein Unternehmens-Zombie mit einer Kreditzusage über 460 Millionen Euro am Leben gehalten, um vor wenigen Wochen den nächsten Millionenkredit zu beantragen. Der betrügerische Absturz des einstigen Börsenhelden Wirecard ist bekannt, sein Nachfolger im Dax-Index ist Delivery Hero, wahrlich kein Aushängeschild der Sympathie.
Ähnlich wenig an Werten interessiert treten Unternehmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia auf, die ebenfalls Dax-notiert sind. Für den guten Ruf deutscher Unternehmen sorgte im Corona-Jahr vor allem ein Mittelständler, das Familienunternehmen Biontech, das eine sagenhafte Erfolgsgeschichte beschrieb. Ist das jetzt alles ein wenig viel Tüftler- Romantik und Regionalkitsch?
„Wer sein Geschäftsmodell gut versteht, ist flexibel.”
Ein Besuch bei einem, der die Mittelstands-Wirklichkeit aus seiner Tätigkeit mehr als gut kennt: Thomas Adam, Partner der BTG Badische Treuhand, ist Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, aber auch Coach und Sparringpartner in anderen Beratungsangelegenheiten. Die Zahl der Mandanten seiner Unternehmensgruppe (90 Mitarbeiter) ist vierstellig, angefangen bei Handwerksbetrieben mit wenigen Mitarbeitern bis hoch zu Tochterfirmen von internationalen Konzern.
Die Branchen sind ein Querschnitt der baden-württembergischen Wirtschaft. Adam sitzt im Besprechungsraum des Freiburger Herderhauses, und spricht über seine Kunden. Dass ihm gar nicht soviele einfallen, die durch Corona in Schwierigkeiten gekommen seien, seine Biotechnologie- Mandanten ohnehin nicht, auch nicht die Vertreter der Baubranche. Natürlich gibt es auch Unternehmen, die sich jetzt noch stärker mit Digitalisierungsthemen wie Webshops befassen müssen.
Aber insgesamt sagt er über den Mittelstand: „Wer sein Geschäftsmodell gut verstanden hat, ist flexibel.“ Die Schwierigkeiten dieser Tage sind seiner Meinung nach nicht nur Corona oder das Bürokratisierungs-Thema, sondern vor allem die Übergabe-Thematik. Hier spiele nicht nur die familiäre Situation eine große Rolle, sondern teilweise auch die Branche, beispielsweise bei Druckereien.
Wenn Thomas Adam auf die positiven Eigenschaften zu sprechen kommt, nennt er als erstes die Führungsstrukturen. Mittelstand, dass sei beim Treffen von Entscheidungen weit weniger Zaudern als in Konzernen, sagt er und es klingt fast ein wenig nach Start-up-Mentalität: „Lieber falsch machen als nichts machen“ nennt er eine der zentralen Praktiken.
Den Mittelstand seiner Mandanten im südbadischen Raum zeichne immer noch eine beachtliche Innovationskraft aus, berichtet Adam, und ein nicht- Reinreden-lassen. Für ihn sind auch die nicht abgerufenen Millionengelder aus dem Beteiligungsfonds des Landes ein Beleg dafür. Die Grundlage für diese Eigenständigkeit und Stabilität sei auch in der Finanzkrise 2008/2009 gelegt worden.
Wer damals seine Hausaufgaben gemacht, verfügt auch jetzt über die nötige Flexibilität. Ein wichtiges Thema über die vergangenen Jahre, gleich ob mit oder ohne Pandemie, bleibe am Ende der Fachkräftemangel und die Nachwuchssorgen um Auszubildende.
Für Unternehmen werde es zunehmend schwieriger, die nötigen Spezialkräfte für komplexe Produkte zu finden, vor allem im technischen Bereich – das gelte für Azubis wie für Absolventen. Gleichzeitig liege gerade hier eine Notwendigkeit – wenn der Mittelstand weiter mit Innovationskraft glänzen will.