Die Kreisstadt hat sich vom Industriestandort zum Gesundheitsressort und Dienstleistungszentrum gewandelt. Doch nicht nur zur Arbeit oder medizinischen Versorgung sollen die Menschen in die Stadt kommen, sondern auch zum Einkaufen, Einkehren und Verweilen.
TEXT: CHRISTINE WEIS | ALEX DIETRICH
Gefragt nach den schönsten Plätzen in Emmendingen antwortet Oberbürgermeister Stefan Schlatterer mit seinen Joggingstrecken. Sie führen durch den Stadtwald hinauf zum Eichberg, Richtung Maleck, Windenreute bis zur Hochburg und entlang der Elz von Höhe Mundingen über Kollmarsreute nach Wasser. Und dabei hebt er nicht einen Ort hervor, sondern beschreibt gewandt das gesamte Stadtgebiet samt Ortsteilen, renaturiertem Elzufer, dem naturnah bewirtschafteten Forst. Gleichzeitig weist er damit auf eine Besonderheit hin: „Wir sind die Stadt der kurzen Wege. Man kann die ganze Gemarkung zu Fuß erkunden, ohne einen Marathon laufen zu müssen.“ Mit kurzen Wegen meint der 56-Jährige noch einen zweiten Aspekt, nämlich die räumliche Nähe zwischen Wohnung, Arbeitsplatz, Kita und Schule, zu Behörden, Bibliothek, Einzelhandel, Krankenhaus, Kino, Konzert, Kaffeehaus, Markt und Museum.
Emmendingen liegt geographisch zwischen der Vorbergzone des Schwarzwaldes und dem Kaiserstuhl in der Rheinebene. Seit 1973 ist Emmendingen Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises und mit 30.000 Einwohner die größte. Die Vielzahl von Behörden, wie Amtsgericht, Arbeitsagentur, Finanzamt, Landratsamt und Landgericht, ist eine Konsequenz der Kreisstadt.
Auf gewisse Weise ist auch das Deutsche Tagebucharchiv im Alten Rathaus am Marktplatz eine Verwaltung – für ganz Deutschland. Getragen von einem gemeinnützigen Verein sammelt und katalogisiert das Archiv seit 25 Jahren Lebenserinnerungen. Die 25.000 Dokumente vom 18. Jahrhundert bis heute bieten ein breites Spektrum – von Feldpostbriefen aus dem Ersten Weltkrieg bis zum Urlaubstagebuch aus Katalonien mit eingeklebter Autogrammkarte von Fußballstar Messi. Das Archiv dient als wertvolle Quelle für Geschichts- und Kulturforschung. Tagebücher von Johann Wolfgang von Goethe wird man dort allerdings vergebens suchen, auch wenn er 1775 und 1779 seine Schwester Cornelia Schlosser in Emmendingen besuchte. Schriften von bekannten Persönlichkeiten kommen nicht in die Sammlung. Denn es geht um die Dokumentation des Alltags von „gewöhnlichen“ Menschen. In Ausstellungen und einer jährlich erscheinenden Broschüre können Interessierte in das Leben der anderen hineinlesen.
Treffpunkt Innenstadt
Das Tagebucharchiv hat sich nicht nur beim Fachpublikum einen Namen gemacht, sondern fand in vielen überregionalen Medien große Beachtung. Es trägt somit auf seine Weise zur Attraktivität der Emmendinger Innenstadt bei, was wiederum zum städtischen Vorhaben passt, das Zentrum mehr zu beleben. „Wir haben dafür zu sorgen, dass die Menschen in die Innenstadt kommen“, betont Oberbürgermeister Schlatterer bei einem Gespräch Mitte Januar. Es geht ihm um eine hohe Aufenthaltsqualität jenseits von Konsum und Ämtergang.
Die Stadt hat einiges getan, um die Aufenthaltsqualität zu verbessern: Wasserfontänen vor der Stadtbibliothek, Trinkwasserbrunnen, freies WLAN, neue Sitzgelegenheiten und Begrünung. Im Rahmen des Projekts „Innenraum.Stadt.Emmendingen“, das der Bund mit 300.000 Euro fördert, sind laut Schlatterer auch Beschattungen in Planung.
Für Unterhaltung sorgen zahlreiche von der Stadt und Gewerbeverein organisierte Events wie der Brettlemarkt, Radmarkt, Kaiserstühler Regionalmarkt, Weihnachtsmarkt mit Eisbahn und das Breisgauer Weinfest. „Die Feste und Märkte erhöhen die Besucherfrequenz, wovon auch Gastronomie und Einzelhandel profitieren“, erklärt Schlatterer. Dabei setze die Stadt gezielt auf Regionalität, um sich von größeren Städten abzuheben. Viele Vereine engagierten sich außerdem in Form von Ausstellungen und Veranstaltungen im Schlosskeller, im Haus Leonhardt oder in der Galerie am Tor. Das Schlossplatz Open Air, organisiert von „I EM Music“, ist ein Publikumsmagnet.
Ohne Geschäfte kann sich der Oberbürgermeister die Innenstadt gar nicht vorstellen. Persönliche Beratung und das haptische Einkaufserlebnis seien Pluspunkte, die den stationären Handel auszeichnen und seine Zukunft garantieren. Dass es selbst nach Corona keinen Leerstand gibt, sieht Schlatterer als positives Zeichen.
„Die Feste und Märkte erhöhen die Besucherfrequenz, wovon auch Gastronomie und Einzelhandel profitieren.“
Stefan Schlatterer, Oberbürgermeister von Emmendingen
Die Emmendinger Warenwelt ist ein Mix aus traditionsreichen Geschäften wie dem Modehaus Blum-Jundt, der Buchhandlung Sillmann, dem Schuhhaus Vogels und Ketten wie NKD. In das ehemalige Kaufhaus Krauss ziehen der Drogeriemarkt DM, die Optikerkette Fielmann und der Nonfood-Händler TEDI ein. Die Baumaßnehmen an dem seit 2009 leerstehenden Gebäude sollen Ende 2024 abgeschlossen sein. Neben der Verkaufsfläche auf drei Ebenen hat Investor und Projektentwickler Hans-Peter Unmüßig dort auch Wohnungen vorgesehen.
Wirtschaft und Gesundheit
Aktuell gibt es rund 13.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in Emmendingen. Die Stadt hat sich vom Industriestandort zum Dienstleistungs- und Gesundheitsressort gewandelt. Einst waren die Papierfabrik Sonntag, Textilfabrik Ramie und der Dampfkesselhersteller Wehrle Werk die größten Arbeitgeber. Während die ersten beiden den Strukturwandel nicht überlebten, besteht das Wehrle Werk nach wie vor. Gegründet im Jahr 1860, hat sich das Familienunternehmen mit rund 260 Beschäftigten auf die Fertigung von Anlagen zur Müllverbrennung und Abwasserbehandlung spezialisiert und erwirtschaftete zuletzt rund 45 Millionen Euro. Weitere Unternehmen in Emmendingen sind der Zerlegebetrieb und Fleischmarkt Emil Färber, Wolfsperger Textilpflege, Autohaus Schmolck oder die Zizelsberger Gebäudereinigung.
Das Thema Gesundheit ist in Emmendingen allgegenwärtig und hat ebenfalls eine lange Tradition. Das heutige Zentrum für Psychiatrie (ZfP) wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts als Heil- und Pflegeanstalt gegründet. Die etwa 4000 Beschäftigten versorgen dort jährlich etwa 45.000 ambulante und 18.000 stationäre Patienten. Hinzu kommt das Kreiskrankenhaus, das mit rund 700 Mitarbeitenden das Versorgungszentrum für die Region ist, sowie viele niedergelassene Fachärzte. Das Abrechnungszentrum Emmendingen kümmert sich um die Zahlen hinter der Gesundheit, sprich die Kosten. Mehr als 600 Beschäftigte bearbeiten die Abrechnungen im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen.
Wir haben im Bereich Medizintechnik mit Inomed, Sutter und Intuitive große Firmen, ebenso wie das Start-up Biocopy oder den Hidden Champion Öschger.“
STefan Schlatterer
Emmendingen hat sich auch zu einem Medizintechnik-Cluster entwickelt. „Wir haben mit Inomed, Sutter und Intuitive große Firmen, ebenso wie das Start-up Biocopy oder den Hidden Champion Öschger“, berichtet Stefan Schlatterer. Sutter hat seinen Standort 2022 von Freiburg ins Emmendinger Gewerbegebiet Regelmatten verlegt. Die Intuitive Surgical Optics GmbH geht den umgekehrten Weg. Deren neuer Standort in Freiburg eröffnet im Herbst 2024. Zunächst wird die „Commercial Organisation“ einziehen, heißt es aus dem Unternehmen. Das Produktionsgebäude wird voraussichtlich im Sommer 2025 fertiggestellt sein, der Betrieb starte dann 2026, bis dahin läuft die Produktion in Emmendingen.
Inomed, seit 2010 in Emmendingen ansässig, produziert medizintechnische Systeme für alle chirurgischen Bereiche zum Schutz und zur Therapie neurologischer Funktionen. Biocopy ist in der Entwicklung von Krebsmedikamenten tätig. Und die Öschger GmbH gehört zur metallverarbeitenden Industrie, befasst sich neben dem Maschinenbau mit der Herstellung von Komponenten für die Medizintechnik.
Die vielen Unternehmen zeigen an, dass sich Schlatterer wohl keine Sorge um die Wirtschaftskraft seiner Stadt machen muss. Gefragt nach den Bereichen, wo der Schuh drückt, nennt er einige dringende Handlungsfelder: Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Ausbau einer zentralen Wärmeversorgung und Schaffung von Wohnraum.