Deutschland ist Land der Fußballfans. Jedes Wochenende strömen zehntausende in die Bundesliga-Stadien der Republik. Doch in den niedrigeren Spielklassen ist die Situation anders. Zwischen den harten Kernen gefallener Traditionsvereinen und den Identitätskrisen aufstrebender Soon-to-be Topclubs stellt sich die Frage: Was bedeutet es, Fan eines „kleinen“ Vereins zu sein?
VON MAXIMILIAN HESS
Mannschaftsvorstellung auf der „Ponderosa-Ranch“, dem Stadion des Regionalligisten Bahlinger SC. Knapp 150 Menschen haben sich an diesem verregneten Mittwoch-Abend eingefunden, um bei Bockwurst und Bier einem mannschaftsinternen Testspiel zuzuschauen. Unter ihnen ist auch Yannick Adler, dualer Student und Fanbeauftragter des Bahlinger SC.
Anders als bei größeren Vereinen geht sein Tätigkeitsfeld ein bisschen über seine Jobbeschreibung hinaus. „Ich bin hier das Mädchen für alles“, sagt er mit einem Grinsen. Gleich darauf wird er gerufen. Er solle sich ein Trikot anziehen und für das Mannschaftsfoto posieren. Ein Spieler würde fehlen und man würde dessen Kopf einfach auf Yannicks Körper fotoshoppen.
Bahlingen ist ein kleines Nest am Kaiserstuhl mit ein paar tausend Einwohnern. Es ist, anders als noch abgelegenere Dörfer, immerhin noch gut an Freiburg angebunden. Das ist wichtig, denn viele Freizeitangebote gibt es in solchen Dörfern oft nicht. Vereine wie der Bahlinger SC bieten in solchen Kommunen oft Anlaufstellen. Am Wochenende ist das halbe Dorf in der „Ponderosa-Ranch“ zum Heimspiel. Egal, ob als Fan, Helfer oder Spieler.
Multifunktionalität ist ein bisschen das Credo von Vereinen wie dem Bahlinger SC. Und das gilt nicht nur für Yannick, sondern auch im speziellen für die Fans. Knapp 1500 Menschen schauen sich im Schnitt die Spiele der ersten Mannschaft an. Dabei ist das Stadion selten leer, oft gibt es aber auch noch bis zum Anpfiff Karten. Auf Auswärtsfahrten sind die Reihen eher gelichtet. Mehr als ein Bus mit den härtesten Fans begleitet das Team selten durch die Region.
Viele Anhänger haben eine individuelle Bindung zum Verein, manche haben früher dort gespielt, haben Söhne oder Töchter im Verein, sitzen im Vorstand oder helfen an den Grillständen aus. Anders als bei den Bundesligisten, bei denen sich das individuelle Fan-sein oft über ein Narrativ, wie beispielsweise das gemeinsame Erleben eines Pokalerfolgs definiert, geht es bei kleinen Clubs meist tatsächlich um die direkte Bindung zwischen Verein und Fan.
Yannick ist zurück, wird aber direkt wieder von zwei Fans in Beschlag genommen. Alle kennen ihn und suchen den direkten Kontakt bei Fragen jeder Art. In diesem Fall geht es um die Rückerstattung der Dauerkarten aus der Corona-Saison. Die Beiden wollen einen Teil der Rückerstattung spenden. Yannick bedankt sich und macht sich eine Notiz, damit er sich am nächsten Tag noch daran erinnert.
Der Bahlinger SC hat, wie fast alle Corona-gebeutelten Vereine während der Pandemie, mit Streaming-Events und Spendenaktionen versucht, den Schaden durch die Geisterspiele zu begrenzen. Das sei zwar einigermaßen gelungen, ist den Aussagen der Verantwortlichen zu entnehmen, eine weitere Saison mit Geisterspielen würde man finanziell allerdings nicht überstehen.
Vereinsleben auf dem Dorf
Die Fans des Bahlinger SC sind nicht selbstständig organisiert. Das ist bei vielen kleinen Vereinen der Fall. Auch deshalb, weil die Fanszenen in den tieferen Ligen meist noch kleiner sind. Wo es in der ersten Liga noch 50.000 Heimfans sind, sind es in der Kreisliga oft keine 50 mehr. Deshalb greifen die Vereine oft ein, machen Angebote und versuchen Strukturen zu erhalten. Yannick ist zum Beispiel auch dafür zuständig, Auswärtsfahrten zu organisieren. „Wenn es da eine Fanstruktur gäbe, dann könnten die uns das natürlich abnehmen. Aber ich mach das auch sehr gerne“, sagt er.
Die Bedeutung der Fans für Vereine wie den Bahlinger SC geht über die Unterstützung des Vereins im Stadion hinaus. Wer Fan ist, ist oft auch Helfer. Egal ob bei Auf- oder Abbau von Veranstaltungen, bei der Bewirtung oder beim Aufräumen nach dem Spiel. Dabei braucht nicht nur der Verein die Fans, die Fans brauchen auch den Verein.
Das Testspiel hat begonnen. Bahlingen ist zwar ein Stammgast in der Regionalliga, selbstverständlich ist das aber nicht. Der Blick nach oben in der Tabelle ist wesentlich seltener als der bange Blick auf die Abstiegsregionen. Deshalb ist das Testspiel eine Art Vorgeschmack darauf, was die kommende Saison mit sich bringen könnte. Vor der „Schorlekurve“, der circa vier mal vier Meter breiten Stehtribüne, stehen zwei ältere Männer in Fankleidung und schimpfen vor sich hin, wie es nur alteingesessene Fans können.
„Das Spiel in Villingen, das hätten wir gewinnen müssen“, lamentiert der eine. „Egal, wenn wir dafür das beim FFC jetzt gewinnen“, antwortet der andere. In tiefstem Badisch reden sie von peinlichen Niederlagen, überschätzten Stürmern und der chronisch wackeligen Abwehr des Teams. Die beiden sind der Archetyp des Fans in den unteren Ligen.
Das birgt durchaus Probleme. Anders als beispielsweise in der Bundesliga, in der Fankultur oft auch Jugendkultur ist, sind es in der Kreisliga fast ausschließlich Ältere, die zu den Spielen pilgern. Yannick Adler bringt die Ursachen dafür auf den Punkt: „Wer sich als Jugendlicher für Fußball interessiert, der kann bei uns ja einfach mitspielen.“ Das gilt aber natürlich nur für die, die das auch können oder wollen.
Und als junger Fan? Auf die Frage angesprochen, ob er als Jugendlicher eher zum Regionalligisten Bahlinger SC oder zum Bundesliga-Nachbarn in Freiburg gegangen ist, kann selbst der Ur-Bahlinger nicht leugnen, dass Stadion und Spiel in Freiburg nun mal attraktiver sind. Dabei wären Jugendliche, gerade auch jene, die vielleicht kein Interesse daran haben, selbst zu spielen eine potenziell wichtige Zielgruppe von Vereinen wie dem Bahlinger SC.
Denn wo es allgemein wenig Freizeitangebote gibt, ist die Lage oft für Jugendliche nochmals schlimmer. Zwischen Dorffesten, den nicht tot zu kriegenden Wander-Discos und der elenden Pendelei in größere Zentren gibt es kaum Möglichkeiten auf dem Land. Hier können Vereine mit Jugendarbeit, und gerade auch mit Jugend-Fanarbeit, wichtige Räume schaffen.
Das Testspiel ist in Bahlingen noch in vollem Gange, als starker Regen einsetzt. Merklich viele Fans ziehen sich daraufhin zurück zu den Getränkeständen am Vereinsheim. Das Testspiel ist nicht so wichtig. Wichtig ist, sich endlich wieder zu sehen nach den langen Monaten ohne Zuschauer.
„Es gibt nichts Schlimmeres als ein Stadion ohne Fans. Gerade hier in Bahlingen, wo auch die dritte Halbzeit eine große Bedeutung hat.”
Dieter Bühler, Vorstandsvorsitzender des Bahlinger SC
Die dritte Halbzeit, also das gesellige Zusammenkommen nach dem Spiel, ist für einen Verein, der so auf persönlichen Bindungen basiert wie der Bahlinger SC überlebenswichtig.
Yannick bewegt sich durch die Träubchen der Fans wie ein Köder durchs Wasser. Überall wird er heran gewunken und schüttelt Hände. Ob sich das verändern würde, wenn mehr Fans da wären? Da ist sich Yannick auch nicht sicher. Auf der „Ponderosa-Ranch“ sei es eben gut, so wie es ist.
Corona und die Geisterspiele haben gezeigt, wie wichtig die Fans für den Verein und der Verein für die Fans ist. Vielleicht macht das das Fansein auf dem Land aus? Man ist nicht, wie in den Kathedralen in Dortmund, München oder Gelsenkirchen Teil einer Wand, ein Rädchen in einer Dampfwalze. Auf dem Land sind die Fans mehr als nur Zuschauer, sie sind der Verein.