Ist Nachtarbeit in der Industrie angesichts der zunehmenden Bedeutung der Work-Life-Balance noch zeitgemäß? Und wer arbeitet überhaupt im Drei-Schicht-Betrieb? Ein Blick in die Region.
VON SUSANNE MAERZ
Bei Mayka in Schliengen duftet es fast jede Nacht nach frischem Laugengebäck. Immer, wenn es möglich ist – das ist wegen der Nähe zu einem Wohngebiet nur unter der Woche so – laufen die Maschinen auch nachts. „Wir brauchen die Produktionskapazitäten. Sonst könnten wir die Nachfrage nicht bedienen“, sagt Marketingleiterin Michaela Abdelhamid. Früher habe es bei Mayka aus Prinzip keine Nachtarbeit gegeben – zum Schutz der Mitarbeitenden, so der Hintergedanke. Ab 2014 wurden Salzbrezelchen und -sticks dann aus der Notwendigkeit heraus ab und zu und seit 2016 dauerhaft im Drei-Schicht-Betrieb gebacken.
Von den 27 Männern und Frauen, die bei Mayka in der Produktion beschäftigt sind, arbeitet nur ein kleiner Teil nachts. Dazu zählen zum einen Schichtführer, die im Drei-Schichtsystem rotieren, sowie vier Frauen, die ausschließlich in der Nachtschicht arbeiten. „Der Nachteinsatz der Kolleginnen geschieht auf eigenen Wunsch“, betont Michaela Abdelhamid.
So könnten sie arbeiten, wenn ihre Männer zu Hause seien und sich tagsüber um die Kinder kümmern. Auch Planbarkeit und die Schichtzulage spielten eine Rolle, sagt sie. „Es ist wichtig zuzulassen, dass sie nicht rotieren müssen“, sagt Michaela Abdelhamid. Auch sonst sei es dem Unternehmen wichtig, die Mitarbeitenden, wenn möglich, zu den Zeiten arbeiten zu lassen, zu denen sie dies wünschen.
Automotive ist klassische Nachtarbeitsbranche
Nachtarbeit bedeutet, dass zwischen 22 Uhr und 6 Uhr mindestens zwei Stunden gearbeitet wird. In der Industrie geschieht dies häufig im rotierenden Schichtsystem – also abwechselnd acht Stunden Früh-, Spät- und Nachtschicht – oder auch dauerhaft nachts. Manche Betriebe arbeiten werktags im Drei-Schicht-System. Ist dies an sieben Tagen der Woche für jeweils 24 Stunden der Fall, sagt man Konti-Schicht (kontinuierliche Schicht).
Die Automobilindustrie ist eine klassische Nacht- und Schichtarbeitsbranche. Früher wurde dies oft als Zugeständnis für den Standorterhalt im Unternehmen durchgesetzt. Heute ist der Grund häufig, dass im Bereich Automotive Aufträge zwar mit riesigen Volumen und mehrjährigen Laufzeiten vergeben werden. Abgerufen werden sie aber sukzessive – so dass die Zulieferer in kurzer Zeit große Mengen produzieren müssen und dies meist nur geht, wenn rund um die Uhr gearbeitet wird.
Nachtarbeit ist in dieser Branche auch eher unstrittig. Daher mutet es seltsam an, dass Schaeffler aus Lahr und PWO aus Oberkirch, zwei bekannte Player der Region, sich nicht zum Thema Nachtarbeit interviewen lassen wollten. Auch die Molkerei Schwarzwaldmilch erteilte der Interviewanfrage zum Thema eine Absage. Obwohl sie teils verderbliche Produkte verarbeitet, die nicht warten können, bis die Mitarbeitenden ausgeschlafen sind. Geredet wird darüber offenbar nicht gern.
Ohne Nachtarbeit geht es nicht
So sagt auch Christoph Münzer, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmen Baden (WVIB): „Nacht- und Schichtarbeit gibt es häufiger als viele denken. Ohne hätten wir morgens keine Brötchen und keine frische Milch.“ Zudem würde sich die industrielle Produktion in Deutschland ohne Nachtschichten nicht lohnen.
„Kontinuierlich laufende Produktionsprozess oder teure Maschinen laufen rund um die Uhr durch, weil es entweder die Technologie oder die betriebswirtschaftliche Kalkulation nicht anders hergibt“, sagt Münzer. Als Beispiele nennt er Stahlöfen, Härtereien, Extrusionsprozesse, Pressen und Spritzgussmaschinen. „Die Nachtschicht lebt, weil wir sie brauchen“, betont der WVIB-Chef.
Auch die IG Metall lehnt Nachtarbeit nicht prinzipiell ab. „Wir wissen, dass Nacht- und rotierende Schichtarbeit gesundheitlich belastend ist, aber die Mehrheit der IG Metall-Mitglieder akzeptiert sie.“ Das sagt Norbert Göbelsmann, Geschäftsführer der IG Metall Freiburg. „Daher arbeiten wir gemeinsam mit den Menschen die bestmöglichen Lösungen aus.“
Göbelsmann berichtet aber auch von Menschen, die sich in bestimmten Unternehmen nicht bewerben, weil diese im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten – oder diese wieder verlassen, weil es ihnen nicht bekommt. Und davon, dass Menschen nach einigen Jahren Drei- oder Kontischicht versuchen, aus dem rotierenden System herauszukommen. Der Tarifvertrag räumt den Arbeitnehmern dabei bestimmte Rechte ein, und die IG Metall unterstützt sie dabei, diese durchzusetzen.
„Jeder kommt mit Nacht- und Schichtarbeit anders zurecht“, ist Göbelsmanns Erfahrung. „Gerade jüngere Leute wollen teils in die Nachtschicht, um Geld zu verdienen.“ Zum Beispiel, um ihre Immobilie abbezahlen zu können. Andere nähmen den Schichtdienst in Kauf, damit der Standort erhalten bleibt.
Göbelsmann beobachtet in der Region ein „Auf und Ab“ der Nachtarbeit. Manche Industriebetriebe würden zum Ein-Schicht-Betrieb wechseln, sobald sich die Nachtarbeit nicht mehr rechne. Denn diese ist angesichts der Schichtzulagen mit höheren Lohnkosten verbunden. Andere Unternehmen setzen Nachtarbeit flexibel ein, um Auftragsspitzen abzufangen. „Bei den meisten schwankt Nachtarbeit zu einem gewissen Grad“, sagt Göbelsmann.
Eine feste Gruppe für die Nacht
Dies ist auch bei Testo der Fall. Der Messtechnikspezialist aus Titisee stellt seit gut zehn Jahren immer dann auf einen Drei-Schicht-Betrieb um, wenn das Unternehmen die Nachfrage sonst nicht bedienen könnte. Das war beispielsweise im Frühjahr 2020 der Fall, als zu Beginn der Coronapandemie in kurzer Zeit ungewöhnlich viele Wärmebildkameras zum Messen der Temperatur an Flughäfen oder zur Einlasskontrolle in Gebäuden bestellt wurden. „Bei Testo ist die Nachtarbeit kein Muss. Wir haben eine feste Gruppe von drei bis vier Mitarbeitern, die diese Arbeitszeit bevorzugen“, heißt es vom Unternehmen. Und nur die werden dann bei Bedarf auch nachts eingesetzt.
Das ist bei EBM Papst in Herbolzheim, einem Spezialisten für Luft- und Antriebstechnik und damit auch Zulieferer der Automobilindustrie, anders. „Wir erwarten von unseren Mitarbeitenden die Bereitschaft zur Schichtarbeit inklusive Mehrschichtmodellen“, sagt Produktionsleiter Matthias Theobald. Allerdings würden die verschiedenen Abteilungen die Schichtmodelle unterschiedlich organisieren – die einen rollieren, die anderen haben eine feste Gruppe für die Nacht. „Damit können wir in vielen Fällen die Mitarbeiterwünsche berücksichtigen“, sagt Theobald.
Von den 515 Mitarbeitenden in Herbolzheim arbeiten 68 Nachtschicht. „Bis jetzt ist es bei mir noch nicht vorgekommen, dass sich eine Fachkraft wegen der Nachtarbeit gegen eine Stelle entschieden hatte, da das seine/ihre Work-Life-Balance negativ beeinflusst“, sagt Theobald. „Ganz im Gegenteil.“
Für das Unternehmen ist dies auch wichtig. Ein Zwei-Schicht-Betrieb würde sich negativ auf Investitionen und Kalkulation in der Produktion auswirken. Häufige Starts und Stopps seien bei den hochverketteten Anlagen zudem immer mit Verlusten verbunden. „Die gilt es so weit als möglich zu vermeiden“, sagt Theobald. „Bei einer schlechten Auftragslage ist die Nachtschicht aber häufig die Schicht, welche als erstes aufgelöst wird.“