Kirchzarten beweist Mut bei der Sanierung eines historischen Areals. Der Ortskern wird dadurch nicht nur aufgewertet, sondern auch wiederbelebt.
Von Katharina Müller
Noch bevor überhaupt der Vorplatz des Areals in Kirchzarten komplett fertig gestellt ist, ahnt man bereits die Bedeutung dieses Projekts: Der historische Ortskern von Kirchzarten wird durch insgesamt drei denkmalgeschützte Gebäude aufgewertet, zwei Scheunen und eine ehemalige Mühle. Alle Projekte sind bereits fertig gestellt und begehbar, kernsaniert sowie modernisiert.
Das sogenannte Areal Talvogtei war in früheren Zeiten schon das historische Zentrum von Kirchzarten, jetzt wird es wiederbelebt: mit einer öffentlichen Mediathek, einer Verwaltungsscheune mit Bürgersaal und Bürogebäuden. Bürgermeister Andreas Hall ist froh, sich für den Erhalt der Gebäude entschieden zu haben, denn durch dieses Projekt werde nicht nur historische Substanz erhalten, Kirchzarten werde dadurch aufgewertet, denn der Ortskern werde zum lebendigen Zentrum: „Das Erbe von Kirchzarten wird hier weitergeführt. Das ist kein Museum, sondern ein Ort für den Alltag. So etwas wirkt identitätsstiftend.“ Möglich sei das insbesondere durch Fördermittel des Landes, ein Erfolgsrezept für den Städtebau in Baden-Württemberg, wovon nicht nur Gemeinden, sondern auch Privatpersonen profitieren könnten.
Seit der Eröffnung Mitte Mai herrsche auch bei der Bevölkerung durchweg eine positive Stimmung, denn inzwischen ist deutlich sichtbar, was aus den Scheunen geworden ist, sogar Skeptiker seien jetzt begeistert, erzählt Andreas Hall. Natürlich sei das Projekt und die angesetzte Summe im Vorfeld hinterfragt worden. Erst recht, als die ursprünglich angegebenen Baukosten von 5,2 Millionen nicht eingehalten werden konnten. Allerdings lag das nicht nur am Altbau, an der historischen Bausubstanz, wie man meinen könnte, sondern größtenteils an gemeinsamen Entscheidungen im Gemeinderat. Die gesamten Kosten beliefen sich letztendlich auf 6,8 Millionen Euro. Der Kaufpreis einer der Scheunen und der „Stöckle“-Mühle mit weniger als einer halben Million Euro ist darin nicht enthalten.
Willi Sutter, der Projektentwickler des Areals sagt, dass nur rund 210.000 Euro der Mehrkosten auf unvorhersehbare Schwierigkeiten durch das alte Gemäuer zurückzuführen seien. Er brachte die notwendige Erfahrung mit, um Risiken einzuschätzen. Dem allgemeinen Tenor, dass Altbausanierungen sich nicht rechnen würden, widerspricht Sutter vehement. Mit seinem Planungsbüro in Kirchzarten hat er sich zahlreicher alter Bauwerke im Raum Südbaden angenommen und ist überzeugt: „Bei Altbausanierungen herrscht leider oft die Sorge, es gebe zu viele finanzielle Risiken.“
Bevorzugt werden dann Neubauten, dass diese aber, wenn man die in den letzten Jahren umgesetzten Projekte betrachtet, immer teurer sind, ist Sutter sehr wichtig zu betonen. Im Kostenvergleich sind das mindestens 300 Euro mehr auf den gebauten Quadratmeter Nutzfläche. Bei den drei Bauwerken der Talvogtei entstanden auf den Quadratmeter Nutzfläche gerechnet Kosten von 2900 Euro brutto. Dabei berücksichtigt seien all die Kosten außer der Außenanlage und der Einrichtung. Dies sei für eine Sanierung von einem solchen Ausmaß im öffentlichen Bereich hervorragend und liege weit unter vergleichbaren Neubauprojekten. Die Kostensteigerung lag lediglich bei ca. 12 Prozent. Dabei nicht berücksichtigt seien zusätzliche Kosten durch Planungsänderungen und das Bauherrenrisiko.
Abgesehen von den finanziellen Aspekten ist sich Sutter sicher, dass „historische Gebäude eine andere Wirkung“ erzielen als Neubauten. Und diejenigen, die keine emotionalen Argumente hinsichtlich schwer messbarer Faktoren wie Ästhetik und Design gelten lassen, überzeuge diese Rechnung. „Bei mehreren privaten Scheunenumbauten haben wir sogar eine Punktlandung hingelegt, was die geschätzten Kosten und die tatsächliche Summe anging, als das Projekt fertig gestellt war“, erzählt er.
Ein Neubau stand in Kirchzarten zwar nicht zur Diskussion Mut, so etwas anzugehen, brauchte es dennoch und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die alte Holzfassade von 1830 wurde erhalten, eingelassen darin ein Metallfenster – Rückgabestelle für Medien – ein Kontrast von Alt und Modern. Ebenso die Brücke aus Glas, welche die beiden Scheunen miteinander verbindet. Und einige Meter weiter die alte Mühle, symbolträchtig und marketingtauglich nun mit Büros für den lokalen Energieversorger „Energie und Wasserversorgung Kirchzarten“, kurz EWK. Nicht nur von außen wirken die Kontraste insbesondere bei den Scheunen beeindruckend: die alte Bausubstanz ist erhalten geblieben, auch in den Innenräumen wird mit den freiliegenden, rohen Sandsteinmauern gespielt und mit modernen Designlampen. Diese Gegensätze erzeugen ein faszinierendes harmonisches Miteinander, zusammengeführt als Gesamtkonzept mit dezenten Farben und Formen.
Magnus Becherer von der Möbelwerkstätte in Elzach berichtet, dass historische Gebäude auch ihre Herausforderung mitbrächten. Der Betrieb stattete das gesamte Mobiliar der Mediathek aus, das erfordere eine gewisse handwerkliche Kompetenz: „Es gibt zum Beispiel keine geraden Wände, keine identischen Bereiche, da muss jedes Teil extra gefertigt werden und man muss auch mal richtig tüfteln beim Anpassen.“
Das aber sind nicht die ausschlaggebenden Faktoren, welche die Kosten bei solchen Projekten in die Höhe treiben, sondern das seien jene Elemente, die letztlich die Atmosphäre ausmachten, schwärmt Willi Sutter: „Ein solches historisches Bauwerk hat eine ganz andere Wirkung auf den Menschen.“ Man spüre, dass es nicht auf reine Funktionalität ausgerichtet worden sei. Moderne Gebäude hätten immer viele standardisierte Bereiche und Teile, oftmals ohne liebevolle Details. Hinzu kämen glänzende hochpolierte Flächen, die dadurch oft kühl und anonym wirken. Natürlich gebe es auch sehr gelungene Neubauten, aber diese seien dann meist finanziell kaum mehr zu rechtfertigen. Er spricht von teuren Beispielen aus der Region, die Gemeinden will er namentlich nicht nennen.
Er zeigt, während er das sagt, auf die Schattenrahmen, welche die Türen umranden, deutet auf die Struktur des Holzes an den Decken, macht auf die bewusst erzeugten Kanten und schwebenden Regale aufmerksam, alles bewusst konzeptioniert, um Leichtigkeit zu erzeugen. Eine tolle konzeptionelle Leistung von den beteiligten Innenarchitekten wie UKW Architekten aus Krefeld. „Es sind hier so viele Details, die man vielleicht gar nicht bewusst wahrnimmt, aber diese machen die Atmosphäre hier zu etwas sehr Besonderem“, schwärmt Sutter.
“Oft ist es nicht die alte Bausubstanz, sondern strenge Brandschutzauflagen, welche den finanziellen Rahmen sprengen“, so sagt er. Mit etwas Geschick und Erfahrung konnte aber für die Scheunen im Ortszentrum eine intelligente Lösung gefunden werden: Eine Brücke aus Glas verbindet die beiden Gebäude miteinander, sodass ein finanzieller Mehraufwand für den Brandschutz von circa Hunderttausend Euro vermieden werden konnte. Zudem seien die Gebäude CO2-neutral nach modernen Energiestandards gebaut, mit Pellets-Anlage und hohem Dämmwertstandard im Dach- und Bodenbereich.
Dadurch konnte ein offenes Raumkonzept ohne Brandschutztüren entstehen. Die Architektenkammer aus Esslingen beispielsweise komme im nächsten Monat zu Besuch, um sich diese Lösung anzusehen, auch Vertreter anderer Gemeinden werden erwartet. Denn, so Sutter, es gebe viele leerstehende alte Gemäuer, deren Besitzer aufgrund des enormen finanziellen Aufwands nicht einmal wagten darüber nachzudenken, diese Bauwerke mit Sanierungsmaßnahmen zu modernisieren und zu beleben. „Das ist schade, denn Denkmalpflege trägt auch zur Entwicklung einer Region bei, fördert wie in Kirchzarten das Bewusstsein für diesen Ort und stärkt das Zugehörigkeitsgefühl.“ In heutigen Zeiten ist das vielleicht wichtiger als jemals zuvor.
Noch ist der Vorplatz Baustelle: Im Vordergrund die frisch gestrichene Hauswand der „Stöckle-Mühle“, im Hintergrund die ehemaligen Scheunen, barrierefrei zugänglich und durch eine Glasbrücke miteinander verbunden.
Kontraste von alter Bausubstanz und modernem Design. Foto: Gemeinde Kirchzarten