Homeoffice war gestern: Was uns hoffentlich erhalten bleibt.
VON UDO MÖBES
Ende der 90er Jahre war das non-territoriale Büro hoch im Kurs. Vitra hatte ein innovatives Büro-Konzept entwickelt, bei dem man keinen festen Arbeitsplatz mehr haben, sondern sich täglich aufs Neue seinen Platz suchen konnte. Nach Projekt und Bedarf heute da und morgen dort. Das ist über 20 Jahre her.
Ich hatte damals das Vergnügen, eine Marketingabteilung aus Einzel- und Doppelbüros in einen Großraum zu überführen. Und habe viel über Unternehmen und vor allem meine Kollegen gelernt. Vielleicht waren das auch die ersten Weichenstellungen für meinem heutigen Beruf. Allein der Gedanke an eine räumliche Veränderung hat offensichtlich Ängste ausgelöst.
Aus Gesprächen hatte ich verstanden, dass die Aufhebung des fixen Arbeitsplatzes für den einen oder anderen wohl einer schleichenden Aufhebung des Arbeitsvertrages gleichkam. Andere Kollegen wollten weiterhin auf den Wald schauen, nicht mit dem Rücken in den Raum und schon gar nicht, dass die Kollegen ihnen auf den Bildschirm gucken.
So geht Innovation?
Vor diesem Hintergrund ist schon interessant, wenn man sich die letzten 3 Monate anschaut. Hand aufs Herz: Wer hätte letztes Jahr darauf gewettet, dass 80 Prozent der Büro-Mitarbeiter für drei Monate von zuhause arbeiten würden? Klar, es gibt seit Jahren im Umfeld der Wissensarbeiter (Software-Branche, Kreativumfeld) Vorreiter, die das schon länger praktizieren. Aber in der Breite war das bisher nicht wirklich vorstellbar. Noch erstaunlicher ist, dass das große Fiasko ausgeblieben ist. Die Betriebe und Unternehmen funktionieren. Und nun wollen einige Kollegen sogar nicht mehr ins Büro zurückkommen.
Schließlich wurde 20 Jahre über das Für und Wider von Großraum-Büros, Erreichbarkeit zuhause, Homeoffice hoch und runter und neue Organisationsformen diskutiert. Interessensverbände haben sich an den Themen abgearbeitet. Gewerkschaften und Betriebsräte haben sich dafür oder dagegen eingebracht. Die Arbeitgeber haben sich mehr oder weniger an ihren Positionen festgebissen.
Und was war das jetzt die letzten drei Monate? Nicht lange labern, sondern quasi über Nacht einfach mal machen und ausprobieren. Und hinterher bewerten, ob es funktioniert hat oder nicht. Da das Ganze einen bedrohlichen Hintergrund und volkwirtschaftlich katastrophale Auswirkungen hat, ist es nicht angebracht, sich dafür zu feiern. Die Alternativlosigkeit hat allen Beteiligten die Entscheidung abgenommen! Aber dann haben auch alle ihren Teil dazu beigetragen, dass es funktioniert hat! Blendet man – auch wenn es schwer fällt – den Anlass aus, erkennt man die Innovation.
Ein neuer Funken für unsere Arbeitswelt, der nach dem ganzen Abgesang auf den Standort Good Old Germany in Sachen Digitalisierung und Disruption doch sehr viel Hoffnung macht. Und: Wenn es hart auf hart kommt, dann tut sich was bei uns.
Viele Manager im eigenen Familien-Unternehmen
Für manchen Single im Homeoffice war es vielleicht die schwerste Entscheidung, ob man nun auf dem Balkon oder am Küchentisch arbeiten soll. Man darf das gerne als Luxusproblem einstufen, verglichen mit der Situation der meisten Familien.
Man stelle sich ein Mehrfamilienhaus in Stadtnähe vor, zwei Erwachsene im Homeoffice, zwei Kinder, die betreut werden wollen und phasenweise nicht einmal auf den Spielplatz gehen und Freunde treffen durften? Allein der Gedanke stresst doch schon, oder? Vor dem, was da in vielen Familien geleistet wurde, kann man nicht oft genug seinen Hut ziehen. Respekt!
Erste Quick-Wins von Homeoffice
Für manche war das Homeoffice eine große Erleichterung, das eigene Leben (Kinder, Versorgung von Angehörigen) einfacher organisieren zu können.
So waren sie bisher zerrissen in unterschiedlichen Rollen und eher Getriebene. Viele freuten sich, dass die alltägliche nervige An- und Abfahrt entfällt und diese Zeit plötzlich zur Verfügung steht. Es gibt auch die Fraktion derer, die konzentriert arbeiten müssen, was durch die Situation im Büro erschwert wird. Viele Teams und Kollegen haben einen richtigen Sprung in Richtung Eigenverantwortung und Selbstorganisation gemacht. „Keine Interaktion ohne Aktion“ – so hat es Monika Mergele von der Haufe Akademie gut auf den Punkt gebracht. Meint, wenn ich etwas nicht aktiv angehe, dann passiert auch nichts.
Es ist im Homeoffice offensichtlicher, dass der Ball bei mir liegt. Und es gibt dann auch noch die Kollegen, die es genossen haben, dass nicht jeder seinen Senf dazu gibt, sondern in einem kleinen Team Themen vorangetrieben werden können. Ohne Bedenken.
Herausforderungen im Homeoffice-Betrieb
Die ersten Rückmeldungen zum Start waren, dass die Online-Meetings sehr effektiv und produktiv waren. Man war gut vorbereitet und kam daher gut voran. Das hat sich offensichtlich zum bisherigen Präsenz-Meeting-Alltag unterschieden.
Im Laufe der Zeit hat sich hier auch wieder online die Routine eingeschlichen. Und mancher fragt sich, was die Kollegen denn während der Besprechungen denken und treiben, wenn sie die Kamera und das Mikrofon ausgeschaltet haben. Aber hier kann man mit entsprechender Moderation gut unterstützen.
Mit der Zeit fehlte dann doch auch der Kontakt zu den Kollegen. Ja, wer hätte gedacht, dass die Kollegen Maier und Schulze wirklich mal fehlen würden? Im Ernst: Die soziale und informelle Ebene, eine flüchtige Begegnung, ein zugeworfenes Lächeln, einen Schwatz an der Kaffeemaschine oder eine gemeinsame Mittagspause finden nicht mehr statt.
Manchmal sind es Informationen, die man über den Flurfunk nicht mehr mitbekommt, aber es ist auch das Gemeinschaftsgefühl, was nicht mehr so nebenbei gefördert wird. Das fällt vielleicht noch nicht so stark ins Gewicht, da eine Beziehungs-Basis aus Präsenz-Büro-Zeiten vorhanden ist.
Aber man finge in einem Unternehmen an zu arbeiten und habe die Kollegen vorher noch nie in Persona gesehen? Da fehlt schon was, oder? Und suchen die Führungskräfte ihre neue Rolle im Homeoffice? Soll ich noch mehr Gespräche führen, um mitzubekommen, was meine Mitarbeiter beschäftigt? Oder mich daran erfreuen, dass so vieles von alleine läuft und mich raushalten? Es bleibt spannend, welche weiteren Erfahrungen noch gesammelt werden.
Neue Büro-Konzepte braucht das Land?
Ok, falls ich mehr von zuhause arbeite, was heißt das denn fürs Büro? Angenommen, man arbeitet nur zwei Tage pro Woche im Büro. Ist es dann noch sinnvoll, sieben Tage in der Woche ein Einzelbüro vorzuhalten? Oder: Können sich dann drei Kollegen das Büro teilen, da sie jeweils an unterschiedlichen Tagen kommen? Oder teilen sich drei Abteilungen das gleiche Büro, damit an den zwei Tagen immer die Kollegen einer Abteilung vor Ort sind?
Und: Braucht es denn noch einen Arbeitsplatz? Der Mehrwert der Bürozeiten könnte sein, dass man die Kollegen trifft und sich austauschen. Was hilft es dann, wenn sich die Leute in Büros vor die Bildschirme zurückziehen? Wäre es da nicht besser, einen großen Raum zu haben, in dem man sich trifft, austauscht und dort gemeinsam arbeiten kann? Und wenn der Mehrwert ein großer Raum ist, muss das dann im Büro sein?
Oder bei schönem Wetter dann auch draußen am See oder auf der Wiese? Oder ein Tagungsraum oder Nebenzimmer? Benötige ich vielleicht nur noch ein Drittel der Büroflächen um mehr als die Hälfte der Kosten einzusparen? Oder mir mit zwei weiteren Unternehmen das Büro teilen? So wird schnell deutlich, was alles in Bewegung kommen kann.
Und unsere Wohn-Konzepte?
Während Corona schmunzelt man noch und hat Verständnis, wenn bei Web-Konferenzen die kleine Tochter die Sitzung unterbricht oder der Hund sein Kuscheltier zum Spielen in die Kamera streckt. Aber das Ziel sollte schon sein, zuhause eine möglichst störungsfreie Arbeitsumgebung zu schaffen. Nicht räumlich, auch organisatorisch hat so mancher Heimarbeiter die Herausforderung, wie er Arbeit und Privat trennt.
Was bisher Gebäude, Stechuhr und der Weg zur Arbeit strukturiert hat, greift nun ineinander über. Erste Statistiken sagen aus, dass die Arbeitszeit zuhause grösser ist als zu Präsenz-Büro-Zeiten. Darüber wird sich kein Arbeitgeber beschweren, sondern eher verwundert dieAugen reiben. Aber die Vereinbarkeit mit daheim ist damit noch nicht gelöst. Daher wird in der City vielleicht auch der Co-Working- Space um die Ecke genutzt? Oder vielleicht auch direkt in der Nachbarschaft?
Bei der älteren Dame, die alleine im großen Nachbarhaus in einem Altbau wohnt, kann man vielleicht einen oder mehrere Räume nutzen? Auch hier können neue Konzepte und Ideen entstehen.
Hoffentlich bleiben wir kreativ…
Egal, ob wir es „neue Normalität“ oder wie auch immer nennen, wir stehen erst am Anfang einer Phase, bei der wir unsere Arbeits- und Lebensrealität neu gestalten können. So sehr wir uns die alte Normalität zurückwünschen. Es wäre angesichts der oben ausgeführten Innovationen schade, wenn alles wieder auf den Zustand vor Corona zurückfallen würde. Nach dem Motto: Ausnahmezustand ist beendet.
Es wäre wünschenswert, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter nicht zu schnell auf übergreifende und starre Lösungen drängen und regulieren wollen, sondern wir weiterhin die Flexibilität nutzen. Es geht ja darum, erst noch zu erforschen, was für den eigenen Betrieb und die handelnden Personen das richtige Hybrid-Büro ist.
Eine große Chance – insbesondere für kleine Unternehmen – sich so als attraktiver Arbeitgeber in Position zu bringen. Und vor allem für die Mitarbeiter die historische Chance, die eigene Arbeits- und Lebensrealität mit zu gestalten.
Udo Möbes ist selbstständiger Berater, Trainer und Business- Coach und betreibt seit 2015 mit seiner Frau Ulrike Peter das Seminarhaus „Saiger Lounge“ im Schwarzwald. Er begleitet Change-Prozesse in Unternehmen und coacht Geschäftsführer-Teams oder einzelne Führungskräfte. Für das Digital-Unternehmen Virtual Identity mit 180 Mitarbeitern in Freiburg, München und Wien war er zuvor 16 Jahre lang an der Spitze tätig, davor arbeitete er 11 Jahre für die Haufe Mediengruppe. Udo Möbes gibt an dieser Stelle regelmäßig seine Erfahrungen mit Coaching- Themen an unsere Leser weiter.
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