Corona hat fast alles auf den Kopf gestellt. Und auch vieles erforderlich gemacht, was vorher für uns noch undenkbar war. In der Wirtschaft gehört da sicherlich das Thema Homeoffice dazu.
In den letzten zehn Jahren mussten wir noch um einen Tag pro Woche kämpfen. Jetzt war plötzlich fünf Tage zuhause das neue Normal. Und siehe da, in vielen Betrieben und Unternehmen hat das auch noch gut funktioniert. Bei den meisten Chefs konnte der Angstschweiß auf der Stirn gut trocknen.
Nachdem wir nun gelernt haben, mit den Restrisiken von Corona zu leben, stellt sich für viele Unternehmen und Betriebe die Frage, wie sie in Zukunft damit umgehen?
SAP und andere Konzerne stellen inzwischen den Mitarbeitern komplett frei, von wo sie arbeiten möchten. Prompt machen in den Medien erste Beispiele vom Arbeiten auf einem Segelboot irgendwo vor Mallorca die Runde. Im „War of Talents“ verpufft so etwas natürlich nicht, sondern setzt neue Benchmarks am Arbeitsmarkt. Zumindest werden so – nachvollziehbarerweise – riesige Begehrlichkeiten geweckt.
Quality Time daheim
Viele haben sich in den letzten 12 Monaten eigentlich ganz gut damit arrangiert, dass man nicht mehr zum Arbeiten ins Büro geht. Schließlich sparen wir uns den Weg zur Arbeit und sind zuhause im gewohnten Umfeld. Wir sind flexibler, können zuhause auch mal ein Paket annehmen und den Handwerker reinlassen. Und ich genieße es, dass ich die Arbeit freier einteilen kann. Wenn ich mal das gute Wetter über den Mittag für den Sport nutzen möchte, dann kann ich die Arbeitszeit in den Abendstunden nachholen – in Jogginghose, ist ja auch ganz lässig.
Wer nicht allein lebt, kann so einfach mehr am Familienleben teilnehmen. Die Kiddies ohne Stress zum Kindergarten bringen oder noch kurz bei den Großeltern vorbeischauen. Die Kinder freuen sich, dass Mama und Papa beim Mittagessen da sind. Kurzum: Wir haben mehr Zeit fürs Leben dazu gewonnen, wo wir vorher vielleicht gehetzt und in Eile waren. Und wir können uns zurecht fragen: Warum soll ich diese Freiheiten jetzt wieder aufgeben?
Rolle rückwärts
Für manche Unternehmer und Chefs muss sich die letzte Zeit vermutlich schon ziemlich schräg angefühlt haben. In meinen Coachings war es auch immer wieder ein Thema, dass es für Chefs zumindest „gefühlt“ eine Barriere gab, auf die Mitarbeiter im Homeoffice zugreifen. Dabei ging es weniger um die Kontrolle, sondern den Verlust an Flexibilität beim Machen und Gestalten. Und es wurde auch offensichtlich, dass sich in diesem Modus die Art der Führung verändert hat. Der eine oder andere hat sich gefragt: Braucht es mich als Führungskraft eigentlich noch?
Aus den Schilderungen ging auch hervor, dass der eine oder andere Mitarbeiter Homeoffice sehr freizügig auslegt. Solche (Einzel-)Erlebnisse nähren natürlich die Skepsis und die Chef-Ängste. Und viel gefährlicher: Sie schaffen Unfrieden bei den Kollegen. Das kann auf das Klima drücken, aber auch ganz konkrete Auswirkungen haben: „Wenn der Meier ab 15 Uhr nicht mehr erreichbar ist, warum muss ich es denn noch sein?“ Daher empfiehlt es sich als Führungskraft, wenn erforderlich den Rahmen zu setzen und vor allem Ausreißer wieder einzufangen. Aber wer ist schon gerne die Spaßbremse?
Auch wenn ich bei mir zuhause bin, kann ich trotzdem nicht tun und machen, was ich will. Es ist Arbeitszeit. Ich stehe ich in einem Vertragsverhältnis. Ich bekomme ein Gehalt und bin verpflichtet zu einer Gegenleistung. Oder weniger juristisch: Ich bin Teil eines Teams und habe wie alle anderen einen Beitrag zu leisten. Aber teilweise hat man schon den Eindruck, dass nach der langen Büro-Abstinenz dieses Bewusstsein aufweicht bzw. verloren gegangen ist.
Mit solchen Erfahrungen ist für Chefs die Versuchung groß, wieder auf die gewohnte Arbeitsweise von vor Corona zurückzuschwingen, um die alte Ordnung wieder herzustellen. Aus ihrer Perspektive ist das nachvollziehbar. Aber ist das wirklich eine gute Lösung?
Jetzt das Kind nicht dem Bade ausschütten!
Es fühlt sich wie ein Rückschritt an, wieder auf 100 Prozent Büro zu drängen. Ob das Extrem à la SAP auf Dauer funktionieren kann, wird uns die Zukunft zeigen. Vielleicht wird das in der sehr arbeitsteiligen Welt der Konzerne noch gehen. Aber ist das dann auch das ideale Modell für den Mittelstand und kleinere Unternehmen? Vermutlich wird es dort eher um Hybrid-Modelle gehen.
Es wird eh nicht das eine Patentrezept für alle geben! Aber es kann sehr viele gute Einzel-Lösungen geben! Vielleicht können die nachfolgenden Perspektiven bei der Entwicklung des eigenen Hybrid-Modells helfen:
- Unterschiedliche Formen von Arbeit berücksichtigen
Es kann durchaus sinnvoll sein, nicht eine Lösung über den ganzen Betrieb zu stülpen, sondern das je nach Team zu betrachten.
- Führung über Ziele und Fokus
Was ist wichtig und was nicht? Welche Herausforderungen haben wir? Wie eigenverantwortlich agieren die Mitarbeiter bisher sowieso schon? Kann oder will ich als Führungskraft so führen? Und Kontrolle loslassen?
- Klare Standards
Auch wenn es selbstverständlich zu sein scheint: die Absprachen zu Arbeitszeiten und Verfügbarkeiten klären. Plus: wie gehen wir mit Arztterminen etc. um? Gegenseitige Erwartungen klären (zum Beispiel Reaktionsgeschwindigkeit). Und das regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls ergänzen.
- Zusammenarbeit und Austausch fördern
Virtuell starten manche mit einem „Daily“ oder „Standup“ in den Tag. In Präsenz sollte man das nicht dem Zufall überlassen. Empfehlung:
Einen oder zwei fixe Team-Tage pro Woche. Dann ist sichergestellt, dass man sich auch trifft, wenn man im Büro ist – mit regelmäßigen Team-Meetings. Den Zusammenhalt kann man an dem Tag noch mit einem gemeinsamen Frühstück oder Mittagessen fördern.
- Vertrauen entsteht über Verbindlichkeit
Vertrauen lässt sich nicht einfach verordnen. Bei der hybriden Arbeitsweise ist es noch wichtiger als vorher, dass man sich auf Absprachen verlassen kann. Wenn man diese Zusammenarbeit dann so lebt und erlebt, spielt der Ort des Arbeitsplatzes eine nachgelagerte Rolle.
Udo Möbes, selbstständiger Berater, Trainer und Business-Coach, betreibt seit 2015 mit seiner Frau Ulrike Peter das Seminarhaus „Saiger Lounge“ im Schwarzwald. Er begleitet Change-Prozesse in Unternehmen und coacht Geschäftsführer-Teams oder einzelne Führungskräfte. Für das Digital-Unternehmen Virtual Identity mit 180 Mitarbeitern in Freiburg, München und Wien war er zuvor 16 Jahre lang an der Spitze tätig, davor arbeitete er 11 Jahre für die Haufe Mediengruppe.
2 Kommentare
Dass sich unser CEO mit Homeoffice sehr schwergetan hat, war einer der Gründe, die Stelle zu wechseln. Stellen, die diese Möglichkeit nicht bieten, werden schon von vorneherein aussortiert. Perspektivisch werde ich Richtung full remote gehen. Und ich werde nicht der einzige sein, der so entscheidet.
*Und ich werde nicht der einzige sein, der so entscheidet.” – bestimmt nicht! 🙂