Etwas Neues zu haben, ohne etwas Neues kaufen zu müssen – das ist die nachhaltige Grundidee von Mietmode. Wir haben verschiedene Angebote der Region ausprobiert.
VON JULIA DONÁTH-KNEER
Shoppen macht Spaß, keine Frage. Aber viele der erstandenen Schnäppchen werden überhaupt nicht genutzt. In Deutschland sind es 40 Prozent aller neu gekauften Kleidungsstücke, die nie oder nur sehr selten getragen werden, so eine aktuelle Studie des Bundesumweltministeriums. Die Industrie macht das nicht besser. Fast-Fashion-Produzenten verschiedener Ketten hauen mehrmals im Monat neue Kollektionen auf den Markt, von den Billigheimern im Internet wie Shein ganz zu schweigen. In den USA liegt das chinesische Unternehmen verkaufstechnisch mittlerweile vor Fast-Fashion-Giganten wie H&M und Zara. Täglich kommen etwa 7000 (!) neue Produkte zu Dumpingpreisen auf die Website. Um ein neues Kleidungsstück auf den Markt zu bringen, braucht Shein nur noch drei bis sieben Tage.
„Das ist genau das Problem“, sagt Maria Schorn, Inhaberin der Kleiderei im Freiburger Stadtteil Stühlinger. „Bei Fast Fashion geht es um reine Masse. Die Wertschätzung der Kunden und Kundinnen fehlt an allen Ecken – sowohl für die Arbeitskraft, die das Teil herstellt, als auch für den Stoff, die Ressource an sich. Es wird bestellt, angeschaut, zurückgeschickt, geshoppt, im Kleiderschrank vergessen. Am Ende landet es auf gigantischen Mülldeponien. Das ist ein Desaster.“ Greenpeace rechnet vor: Allein die Modeindustrie ist jährlich für bis zu zehn Prozent der schädlichen Treibhausgase verantwortlich.
Die 36-Jährige ist überzeugt: Shoppen geht auch anders. „Let’s consume slower together“ – so lautet das Motto der 2019 eröffneten Kleiderei Freiburg. Das Konzept: Alles ist auch leihbar. Für 29 Euro monatlich können die Mitglieder bis zu vier Teile leihen und jederzeit gegen neue Ware austauschen. Ob ein Teil also für drei Tage oder vier Monate im eigenen Kleiderschrank bleibt, entscheidet jedes Mitglied selbst. Zweites Standbein: der Verkauf. Die Kleidungsstücke, Ketten, Gürtel, Taschen und Schuhe (die einzigen Waren, die nicht gemietet werden können), kann man auch kaufen. Es ist ein Secondhand- und Mietkonzept in einem und hat einen gemeinsamen Grundgedanken: „Wir wollen den Lebenszyklus der Kleidung verlängern, um das, was sowieso da ist, so lange wie möglich im Kreislauf zu halten“, erklärt Maria Schorn, die zuvor in Spanien mit einem ähnlichen Konzept erfolgreich gewesen ist.
Sharing statt Shopping
Die Kleiderei wurde 2012 in Köln gegründet und gilt als Wegbereiterin für Mietmode. Deutschlandweit gibt es vier Filialen (neben Freiburg und Köln auch in Berlin und Stuttgart), alle werden von selbstständigen Unternehmerinnen vor Ort betrieben. „Es geht darum, Fehlkäufe zu vermeiden. Hier kannst du dich auch mal was trauen. Außerdem kannst du etwas Neues im Schrank haben, ohne dafür neue Ressourcen nutzen zu müssen“, sagt Schorn. Sie nennt es „Kleiderballast loswerden und Vielfalt auslagern.“ In Konkurrenz mit anderen Secondhandläden sieht sie sich nicht. „Unser Sortiment ist anders, unser Konzept auch. Viele der Secondhandshops kaufen ihre Ware ein – unter anderem bei Vintage-Großhändlern. Das ist für mich auch schneller Konsum und hat mit Nachhaltigkeit, so wie wir sie verstehen, wenig zu tun.“
Ihre Ware bezieht die Kleiderei aus Spenden oder aus Haushaltsauflösungen in der Umgebung, angekauft wird nicht. „Wir verstehen uns als Lebensdauerverlängerinnen“, sagt Maria Schorn. „Das ist unser Deal: Wir nehmen alles an und versuchen, die bestmögliche Weiterverwendung zu finden.“ Daneben gibt es Kooperationen mit Fair-Fashion-Labels, in Freiburg sind das zum Beispiel Armedangels, Dariadéh, Lanius, Rotholz und andere. Diese Teile kommen als Neuware in die Kleiderei und dürfen für einen Maximalzeitraum von vier Wochen geliehen werden, ein Kauf ist nicht möglich. Damit testen die Marken neue Kollektionen und machen ihre Brand einem Publikum bekannt, das Wert auf Nachhaltigkeit in der Mode legt.
Die Unternehmerin ist dreifache Mutter, auch privat setzt sie ausschließlich auf Secondhandmode. „Ich finde, man kann den Gedanken zulassen, dass wir Dinge nicht besitzen müssen, sondern sie nur eine Zeitlang benutzen und dann wieder zurückgeben. Das hat etwas Befreiendes, das ist für mich kein Mangel.“ Viele der Mitglieder sehen das ähnlich, insgesamt sind es über 2000. Den Hauptumsatz macht der Shop nicht mit ihren Beiträgen, sondern mit dem Abverkauf der Secondhandware, letzterer sorgt auch für die Abwechslung. Was nicht unter die Leute kommt, rotiert bei regelmäßig stattfindenden Kleidertauschpartys
„Wir wollen den Lebenszyklus der Kleidung verlängern, um das, was sowieso da ist, so lange wie möglich im Kreislauf zu halten.“
maria schorn, kleiderei freiburg
Etwas zu nutzen, aber es nicht besitzen zu müssen, ist der Grundgedanke des Sharings, auch beim Thema Kleidung. Das Feld ist groß, ebenso die Konzepte, Kunden und Angebote. Es gibt Läden wie zum Beispiel das Outfit in Freiburg, ein Secondhandshop, der zum gemeinnützigen Kleiderladen gehört. Hier können Menschen mit schmalem Geldbeutel Kleidung leihweise nutzen, beispielsweise Anzug oder Bluse für wichtige Termine. Und online tummeln sich jede Menge Plattformen, auf denen selbst Designerhandtaschen oder Luxusabendgarderobe tageweise vermietet werden. Allen Angeboten ist gemein: Sie verkaufen die Nutzung, nicht das Produkt. Das klappt nicht immer. Angelika Wickert führte 17 Jahre lang ein Brautmodengeschäft in Heitersheim. Sie bot zeitweise an, Brautkleider zu leihen. Doch der Aufwand war zu groß, berichtet die 65-Jährige, die mittlerweile den Laden geschlossen hat. „Hochzeitskleider sind besonders aufwendig gefertigt. Sie mehrfach zu nutzen, ist schwierig: Pailletten fallen ab, jede Reinigung schadet dem Kleid, Tüll und Spitze leiden.“ Wirtschaftlich habe sich das Mietgeschäft mit Brautmode nicht gelohnt. Jedes Kleid muss auf Maß angepasst werden, das kostet Zeit, Arbeitskraft und Geld. Geld, das viele Kundinnen nicht bereit waren zu zahlen für ein Teil, das ihnen nicht gehört. Hinzu kommt der Stress. „Eine Braut möchte ja nicht an ihrem großen Tag daran denken, dass das Kleid keinen Schaden nimmt, weil sie es zurückbringen muss“, sagt Wickert.
10.000 Kostüme
Dabei ist es ja nicht von der Hand zu weisen, dass es sinnvoll ist, gerade Dinge, die man nur einmal braucht, nicht für immer kaufen zu müssen. Das ist auch die Idee des Kostümverleihs Funduz in Staufen, dem größten seiner Art in der Region. In einem 800 Quadratmeter großen Gewölbekeller am Rande der Fauststadt betreibt der Förderverein für Theaterkultur Faust seit 18 Jahren den Verleih mit über 10.000 Kostümen unterschiedlichster Epochen. Alles ist liebevoll geordnet: nach Jahrzehnten, Anlässen, Stilen. Es gibt Trachten, Uniformen, Verkleidungen, Barockes und Festliches, Vampire und Weihnachtsmänner, Gehröcke und Abendkleider, Sonnenbrillen, Smokings, Schmuck und Schwerter, Perücken und Pfeifen. Allein die Auswahl schwarzer Zylinder nimmt ein ganzes Regal ein. Hochsaison ist Fastnacht und Halloween, Nikolaus und Weihnachten. Aber auch Krimidinnerveranstaltungen, Oktoberfest oder Mittelaltermärkte spülen regelmäßig Klientel in den Staufener Keller.
Neben Privatpersonen stattet der Verein Theatergruppen und Filmcrews aus, zuletzt die gesamte Staufener Faust-Aufführung und das Historienspektakel Staufener Zeitreise. Initiator ist Andreas Müller, von Beginn an Vorstand des gemeinnützigen Vereins. Er kennt jeden Winkel der Sammlung und die besten Geschichten – auch seine eigene ist so bunt wie die Mode an den übervollen Kleiderständern. Der 69-Jährige ist Schreinermeister, hat VWL studiert und als technischer Fachwirt in der Sparkasse gearbeitet, bevor er mit Unterstützern den Funduz aus Freiburg übernahm und nach Staufen umsiedelte.
Neben dem Kostümverleih hat er noch ein Kinder- und Jugendtheater gegründet und organisiert seit 20 Jahren das jährlich stattfindende Freilichttheater „Stadtgeschichten“ in Staufen. Den Funduz leitet er im Ehrenamt, leben könnte man davon nicht. „Da legst du eher drauf“, sagt er. Die Energiekosten machen ihm zu schaffen ebenso wie die Personalnot, seit geraumer Zeit sucht er händeringend jemanden, der in der hauseigenen Wäscherei aushilft. Aber der Vermieter sei kulant und froh, dass die Räume einem kulturellen Zweck dienten. Ums Geld geht es hier ohnehin weniger, das merkt man an der Kalkulation. Neulich ist die Funduz-Crew nach Straßburg gefahren, um Kostüme zu einer Hochzeitgesellschaft zu bringen – ohne Aufpreis. Und wer nicht selbst vorbeikommen kann, bestellt telefonisch, gibt seine Maße durch und lässt sich eine Auswahl zusammenstellen, auch dieser Service wird nicht berechnet. „Wir machen das gerne“, sagt Mitarbeiterin Gianna Baumann. Die 31-jährige gelernte Augenoptikerin liebt den Funduz, die alten Kostüme, das Stöbern, Kuratieren und Ausstellen. „Das ist ja der Kern der Idee: Zu uns kommen Leute, die etwas Schönes haben wollen – aber es nicht gleich besitzen müssen“, sagt Müller. „Und wir geben uns alle Mühe, alte Dinge lange am Leben zu erhalten. Dann hat ja jeder was davon.“