Sexy ist sie nicht, arm schon gar nicht. Ist die Ortenau einfach nur cool? Es mag für eine Region nicht die naheliegendste Frage sein. Bei der Ortenau stellt sie sich hin und wieder.
VON RUDI RASCHKE
Warum wir die Frage stellen? Weil uns allein für diesen Aufmachertext zum Titelthema etliche journalistische Antworten eingefallen sind, um die Frage zu begründen. Es ließen sich aus dem Stand „99 Gründe, die Ortenau….“ runterschreiben, aber wir sind halt kein Online Magazin für 15- bis 25-Jährige. Hätten wir stattdessen in klassischen Interviews die aufregenden Alleinstellungsmerkmale der Ortenau erörtert, hätten wir dies mit so vielen Protagonisten tun können, dass es fünf Hefte gefüllt hätte. Wir haben uns auf einige Statements und Umfrage-Stimmen beschränkt.
Nicht zuletzt stellen wir uns die Eingangsfrage recht oft, wenn wir vor Ort sind und uns von unserem Redaktionssitz Freiburg aus etwas nördlich umschauen. Meist weitet sich der Horizont eher, wenn man in Offenburg und Umgebung zu Gast ist. Oft schleicht sich beim vermeintlichen Großstädter der Gedanke ein: „so etwas haben wir nicht“.
Die Ortenau spielt nicht so sehr wie andere mit Heimatglorifizierung und Bobbele-Banalitäten.
Egal, ob beim mitreißenden Ortenau Netzwerker Kari Albermann, der als Berater von Hubert Burda tätig ist, Persönlichkeiten unterschiedlichster Sparten anzutreffen sind. Ob man Unternehmer oder Kreative trifft, die einfach Macher sind und keine Schwafler. Ob man im Hotel „Union“ übernachtet, wo Willi Schoellmann ein in die Jahre gekommenes Derrick-Interieur liebevoll aufgemöbelt und „freundlich übernommen“ (BZ) hat. Ob man stilsicher in seiner Zauberflöte-Bar versackt. Oder einfach einen menschenwürdigen Mittagstisch im Foxx gegenüber vom Obi serviert bekommt, wo man sich bei fünf Tagesgerichten manchmal gar nicht entscheiden mag.
Wurzeln und Weltgewandtheit
Die Ortenau kann richtig cool sein, wenn man bei einer der kuriosen Vernissagen von OG Projects in Stefan Armbrusters Atelier anstößt. Häufig wird dort Kunst gezeigt, die in puncto Relevanz, aber auch Selbstironie, meilenweit von dem enteilt ist, was Kreisliga-Spitzenreiter wie der Freiburger Kunstverein sich auszustellen trauen. „OG ruins my nerves“ hat der Künstler Stefan Marx großformatig an die Rückfront von Armbrusters Haus gemalt, der Spruch ist herzige Koketterie.
Er ist auch irgendwie Ausdruck dessen, dass sich die Ortenau keineswegs übertrieben selbst feiert, sondern durchaus etwas Provinzschmerz pflegt. Aber: Sie spielt nicht so wie andere sehr mit Heimatglorifizierung und Bobbele-Banalitäten. Ihre Wurzeln schätzt sie gleichwohl. Von daher ist es kein Wunder, dass sich fast alle „Exil-Ortenauer global aktiven DJ bis zum Alt-Bundestagspräsidenten auf unsere Anfragen mit Beiträgen zurückgemeldet haben. (Einzige Ausnahme war der aus Zell am Harmersbach stammende Düsseldorfer Künstler Thomas Ruff der ehrlicherweise schrieb, dass er seit zig Jahren nicht mehr daheim war.)
Wo man hinhört und -schaut: Die Ortenau zeichnet ein recht gleichmäßiges Dreieck in Sachen Lebensqualität, Kreativität und Wirtschaftskraft. Mag es im Schwarzwald vielleicht zu schaffig sein, und in Freiburg zu selbstverliebt-satt, scheint hier ein guter Ausgleich stattzufinden. Und im Vergleich zu anderen Landkreisen finden die Ortenauer stets auch inspirierende Auswege aus ihrer Heimat, aber auch den Weg zurück.
Kraft, Inspiration, Power – und ein gutes Miteinander
Einer von ihnen ist der Künstler Stefan Strumbel. Allein sein Weg von den Graffitiwänden der Region über dekorative Heimat-Pop-Art bis zur internationalen Galeriekunst ist beachtlich. Strumbel, 42, hat seine Galerie in Paris, Düsseldorf und Köln, er hat in Berlin gelebt und ist mit der Familie wieder nach Offenburg zurückgekehrt. Über seinen Geburtsort sagte er einmal, er schöpfe hier „Kraft und Inspiration. Diese Gegend hat unheimliche Power, das sieht man in den Unternehmen und Produkten“. Und weiter: „Mit der Ortenau im Rücken kannst Du heil in die Welt gehen.“ Im gleichen Geist dürfte sich der Verleger Hubert Burda einst seinen Arbeitsort New York in den 60er Jahren erschlossen haben. In der gleichen Straße in Offenburg, in der er Jahre später Andy Warhol empfing, lebt und arbeitet heute übrigens Stefan Strumbel. Die Ortenau ist Katapult, aber auch Zielort für die weite Welt.
Fragen wir einen, der die Wirtschaft der Region gut kennt: Duschan Gert, 61, war fast dreieinhalb Jahrzehnte in der Edeka-Genossenschaft tätig, er verantwortete seinerzeit die Suche nach dem Motto „Wir lieben Lebensmittel“. Im Marketing-Club Offenburg/Ortenau bringt er rund 120 Unternehmen zusammen und feiert seit 2012 regelmäßig eine Preisverleihungs-Gala in großem Rahmen. Vor 23 Jahren zog er aus Villingen in die Ortenau. Was für ihn den Reiz der Region ausmacht? „Wir gehen anders miteinander um“ sagt er zum Umstand, dass es zwischen richtig großen Playern und den Kleinen belastbare Verbindungen gibt. Für ihn gibt es in der Region „kein Rauf- und Runterschauen“. Diese Haltung müsse auch niemand vorleben, „wir machen es gemeinsam“.
Ob dieses Gemeinsam nicht ein wenig patriarchalisch dominiert sei, wollen wir wissen. Gerade wenn man an große Familienunternehmer der Region wie Martin Herrenknecht oder Roland Mack denkt? Nein, das sehe er nicht so, sagt Gert, auch in den großen Familienunternehmen gebe es keine Hindernisse für Modernität, sondern „viel Freiraum fürs Weiterdenken“. Die vielen Schnittstellen zwischen Hochschule und Hidden Champions geben davon Zeugnis.
Freiraum zwischen Kinzigtal und Taubergießen
A propos Freiraum. Um hier zu leben, brauche es ein Gespür für Ränder, schreibt der Schriftsteller José F.A. Oliver, „eine Reife aus Eigenheit und Fremde, aus Ab- und Zugewanderten.“ Oliver ist als Sohn andalusischer Gastarbeiter 1961 in Hausach geboren. Er ist aktueller Träger des Heinrich-Böll-Preises, er entwickelt Schreibwerkstätten für Schulen, veranstaltet den tollen Hausacher LeseLenz, ist aber auch in der Kinzigtäler Fasnet unterwegs. Er selbst lebt mit am besten seine These, wonach die Ortenau „aufs Vorzüglichste heimisch“ ist und dennoch „ins Weltoffene geweitet.“
Die Ortenau, das sind heute die Schwarzwaldränder in Olivers Kinzigtal-Heimat, Weinstraßenromantik um Oberkirch, der beinahe-Dschungel von Taubergießen. Aber eben auch die industrielle Umtriebigkeit am Lahrer Flugplatz, der Trubel in Rust oder die Aktivitäten von Start-ups in Offenburg. Letzteres mag als Stadt nicht sexy sein und auch nicht urgemütlich, tritt aber durchaus liebenswert und doch ambitioniert auf. Die Region reizt eine beachtliche Viefalt aus. Trotzdem gibt es so etwas wie ein verbindendes Lebensgefühl. Ohne Regio-Tümelei, dafür mit der richtigen Mitte zwischen Selbstbewusstsein und Demut: Ziemlich cool.