Junge Leute haben oft ausreichend Zeit, aber wenig Geld, um große Reisen zu machen. Bei berufstätigen Menschen ist es häufig umgekehrt. Die Lösung: unterwegs arbeiten. „Work and Travel“ und „Workation“ liegen im Trend.
Text: Kathrin Ermert
Viele junge Leute, die dieser Tage ihr Abiturzeugnis überreicht bekommen haben, planen nicht gleich eine Ausbildung oder ein Studium, sondern ein sogenanntes Gap Year. In diesem Lückenjahr stehen Jobben und Reisen zuoberst auf der Wunschliste, gern in Kombination. Die nennt sich Work and Travel und erfreut sich seit Längerem großer Beliebtheit – wobei dies ein subjektiver Eindruck ist, repräsentative Zahlen sind nicht zu finden. Doch das Internet ist voller Angebote – von der klassischen Au-pair-Stelle über Freiwilligendienste in afrikanischen Kinderheimen bis zu Jobs auf Kreuzfahrtschiffen, bei neuseeländischen Schafsfarmen oder australischen Weingütern.
So unterschiedlich die Ziele und Tätigkeiten sind, ist den meisten Arbeitsreisen eines gemein: Zum Geldverdienen taugen sie kaum. „Dass man sich mit Aushilfsjobs seinen Auslandsaufenthalt nicht nur subventioniert, sondern komplett finanziert, ist oftmals eher Wunsch als Realität“, heißt es auf der Website auslandsjob.de. Und selbst dann bleiben noch die Kosten für die Anreise. „Froh schlägt das Herz im Reisekittel, vorausgesetzt man hat die Mittel“, wusste schon Wilhelm Busch. Daran hat sich wenig geändert: Die meisten Work-and-Travel-Angebote, die Organisation und Versicherung für die Reisenden übernehmen, kosten von vornherein vierstellige Beträge.
Von Bauernhof zu Bauernhof
Das Work-and-Travel von Alica Baßler und Raphael Wehrle aus Auggen findet sich in keinem Reiseprogramm, es ist ziemlich einzigartig. Die beiden, damals 23 Jahre und 19 alt, haben Hunde und später auch Hühner in ihren Kleinbus geladen und sind knapp ein Jahr lang auf Hoftour gegangen. Bei 18 Bauernhöfen in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz haben sie für Kost und Logis mit angepackt. „Wir wollten Einblicke in verschiedene Arten von Landwirtschaft bekommen“, erklärt Alica eine Motivation für die Reise. Und das sollte bewusst hierzulande passieren, nicht weit weg in Übersee. Sie haben sehr unterschiedliche Höfe besucht: kleine und große, Biobetriebe und konventionelle, mit Schweinen, Rindern, Ziegen, Hühnern, Gänsen und anderen Tieren. 300 hatten sich auf ihren Facebook-Post hin beworben, danach wählten sie die grobe Route aus.
Die begann auf einer Ferme in Frankreich, führte über die Schweiz in den Schwarzwald, nach Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, von der Nordsee über Schleswig-Holstein zur Mecklenburger Seenplatte und am Ende noch nach Österreich. Für die Fahrten zwischen den Stationen haben sie sich immer ein paar Tage Zeit genommen, um auch mal Touri zu sein und sich die Gegend anzuschauen. Manche Gastgeber spielten Tourguide, andere gaben ihnen Spritgeld für die Weiterfahrt. Und alle waren sehr offen, berichten Alica und Raphael. „Wir konnten Erfahrungen von einem Hof zum anderen bringen und viel weitergeben“, sagt die Jungbäuerin, die ihre Reise mit der Walz von Handwerksgesellen vergleicht. Sie wusste schon als Dreijährige, dass sie Bäuerin werden will. Genau wie Raphael, der in Eimeldingen aufgewachsen ist und früh Hühner hatte. Die beiden lernten sich auf dem Seebodenhof in Efringen-Kirchen kennen, wo sie ihre Landwirtschaftsausbildung absolvierten. Nach dem Abschluss im Sommer 2021 zogen sie los.
Was haben sie von ihrer Reise mitgebracht? „Selbstbewusstsein und Sicherheit in der Arbeit, Weltoffenheit und Wissen“, sagt Alica. „Ich war früher etwas scheu gegenüber Menschen, die ich nicht kenne.“ Nur bei den ersten Betrieben sei das noch der Fall gewesen. Von der Schüchternheit ist jetzt im Interview nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil. Die junge Frau erzählt sehr engagiert von ihren Erfahrungen und Wünschen. „Wir haben gesehen, was geht und was nicht geht, was wir wollen und vor allem was wir nicht gut finden.“ Sie kann genau beschreiben, wie ihr eigener Hof aussehen sollte – mit mehreren Tieren, die draußen leben, und eigener Produktion sowie Vermarktung von Fleisch, Käse oder Eiern – allein: Es fehlt das nötige Geld dafür. Betriebe, die zur Übernahme angeboten werden, sind entweder zu teuer oder zu sanierungsbedürftig.
Während Alica und Raphael darauf warten, dass sich ihr Traum vom eigenen Bauernhof erfüllt, sind sie vergangenen Sommer nochmal zum Arbeiten verreist. Sie haben vier Monate den Almbetrieb eines Schweizer Bauernhofs im Kanton Schwyz übernommen. Die fast 70 Kühe und Rinder grasten auf bis zu 2200 Metern Höhe, die Senne waren mehrere Stunden in dem unwegsamen Gelände unterwegs, um die Tiere zum Melken zu holen. „Das war extrem schön, aber auch sehr anstrengend“, sagt Raphael, der jetzt wieder auf dem Seebodenhof arbeitet. Alica jobbt in einem Kindergarten. Reisepläne gibt es nicht – „der Drang ist jetzt nicht mehr da“, sagt Alica. Es ist auch nicht mehr so leicht zu verreisen. Zwischenzeitlich haben sie viele eigene Tiere, die sie versorgen müssen. Sie brauchen nur noch einen Hof.
Mit dem Team ins Ferienhaus
Landwirte verreisen tendenziell wenig, anderen reichen selbst sechs Wochen Jahresurlaub nicht aus, um ihr Fernweh zu stillen. Deshalb bieten Unternehmen, die um begehrte Fachkräfte konkurrieren und angestammte Mitarbeitende halten wollen, gern Workation als Goodie an. Der Name ist Programm bei der Wortschöpfung aus Work und Vacation: Die Angestellten arbeiten zwar, allerdings weder im Büro noch im Homeoffice, sondern von anderen Orten aus. Eine ihrer Kolleginnen verbringe die zusätzlichen Wochen gern bei der Oma in Spanien, berichtet Ivana Baumann, Personalchefin des Freiburger Softwareanbieters HR Works. Mehrfach seien auch ganze Teams gemeinsam unterwegs gewesen und hätten zum Beispiel ein Ferienhaus in Kroatien oder Frankreich gemietet. Wieder andere verlängern mit Workation den Urlaub oder mischen beides, damit sie den Aufenthaltsort auch privat genießen können.
Die Software, die Arbeitgeber dafür brauchen, bietet HRWorks praktischerweise selbst an. Das Unternehmen ist auf Programme für Personalabteilungen spezialisiert: Reisekostenabrechnung, Zeiterfassung, Personalverwaltung, vorbereitende Lohnbuchhaltung – und eben Workation- sowie Urlaubsanträge oder die Mischung aus beiden. In der Anwendung funktionieren sie ähnlich, unterscheiden sich formal aber deutlich. Workation gilt – obwohl der Wunsch vom Mitarbeitenden kommt – als Entsendung und verlangt innerhalb der EU und der Schweiz eine sogenannte A1-Bescheinigung. Das ist die gleiche, die zum Beispiel fällig ist, wenn die Beschäftigten einer deutschen Schreinerei im Elsass eine Küche montieren.
Der rechtliche Hintergrund ist komplex, deshalb begrenzen HRWorks und die meisten anderen Unternehmen ihr Workation-Angebot zeitlich auf drei Wochen pro Jahr und räumlich auf EU-Länder sowie die Schweiz, wo das Prinzip des freien Personen- und Dienstleistungsverkehrs gilt. Denn bei längeren Aufenthalten können schnell mal Lohnsteuer und Sozialversicherung für die Mitarbeitenden am Aufenthaltsort fällig werden. Zudem gibt es viele arbeitsrechtliche Besonderheiten, die sich kaum überblicken lassen. Bei drei Wochen sind die rechtlichen Risiken überschaubar, erläutert Ivana Baumann. Sie ist großer Fan des Workation-Angebots, hat es selbst allerdings noch nicht genutzt. Warum? „Weil ich Kinder habe“, sagt Ivana Baumann. „Die sind dann nicht betreut.“ Workation nutzt vor allem die junge Generation, die oft schon vor dem Berufsleben auf den Geschmack gekommen ist, Arbeit und Reise zu verbinden.