In der oberen Freiburger Kaiser-Joseph-Straße findet sich die Firma O.I.s), kurz für Oncology Information Service, von Lenka Kellermann, die eines der wichtigsten Versorgungsforschungsinstitute des Landes betreibt. Ihr Spezialgebiet ist die Forschung über den Einsatz von Medikamenten in der Onkologie und Hämatologie.
Auftraggeber sind nahezu alle großen Pharmakonzerne, die auf diesem Gebiet tätig sind und auch die medizinischenFachgesellschaften. Lenka Kellermann beschäftigt mehr als 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zehn davon sind fest angestellt. Mit ihnen erhebt sie vergleichbare Daten in ganz Europa und Kanada. Die Projekte haben zum Ziel, den Einsatz der Therapien in der klinischen Realität zu untersuchen. „Der Zugang der Patienten zu den innovativen Therapiekonzepten und damit ihre Versorgung stehen im Fokus“, sagt Kellermann über ihre Arbeit.
Die gebürtige Pragerin ist selbst keine Medizinerin, sondern Volks- und Betriebswirtin. Nach dem Diplomabschluss an der Universität Bonn kam sie in den 80er Jahren zum damaligen Unternehmen Farmitalia Carlo Erba nach Freiburg. Dort war sie zehn Jahre tätig, bis zu Ihrer Selbstständigkeit als Abteilungs-Leiterin in der Marktforschung. Dieses Unternehmen Farmitalia ging nach einem Zusammenschluss mit einem anderen Pharmahersteller und nach einigen Zwischenstationen schließlich im Pfizer-Konzern auf. Im Jahr 1993 machte sie sich in Freiburg selbstständig, seit etwas mehr als zwei Jahren ist ihr Unternehmen in der Kaiser-Joseph-Straße angesiedelt. „Ich habe die Selbstständigkeit bewusst vorbereitet“, sagt sie über die Gründung und die Zeit davor. Sie engagierte sich in bundesweiten Arbeitskreisen und lernte dort Kollegen kennen, „die später zu Kunden wurden.“ In den zehn Jahren bei Farmitalia hatte sie genug Expertise für den folgenden Schritt aufgebaut, aber auch ihr Ziel formuliert: Der Ansatz, „eine uferlose Menge an Einzeldaten, die doch nicht die wichtigen Fragestellungen beantworten konnten“ mit neuen Methoden zu erheben und zu analysieren, damit sie der Pharmabranche, den Behandelnden und den Patienten einen Nutzen bringen.
Das stark theoretisch orientierte Studium und die dortigen Erfahrungen mit damals innovativen multivariaten statistischen Verfahren kamen ihr dabei zugute. Heute sind es nicht nur Volkswirte, sondern auch Psychologen, Biologen und zum Teil Mediziner, die für das Unternehmen O.I.s) einen Umsatz im niedrigen siebenstelligen Bereich jährlich erwirtschaften. Sie generieren für die definierten Fragestellungen rund um eine Erkrankung Projektdesigns und bieten sie den potentiellen Auftraggebern an. Immer häufiger kommen jedoch die Interessenten selbst auf OIS zu. Die Projekte werden immer stärker internationalisiert, zumal in den Therapien große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern vorhanden seien. Die Analyse dieser länderspezifischen Daten zeigt, wieweit die Unterschiede durch therapeutische Gewohnheiten, die Struktur der Krankenversicherung oder auch der Versorgung bedingt sind. Nicht alle innovativen Krebsmedikamente werden in allen europäischen Ländern durch Krankenkassen erstattet, manchmal gibt es sogar regionale Unterschiede, wie z.B. in Italien oder in Spanien. Die Versorgung der Krebspatienten ist in Deutschland im Netzwerk der niedergelassenen Onkologen so stark dezentralisiert wie in keinem anderen europäischen Land. Gerade solche Unterschiede machen eine internationale Analyse so spannend.
Ihr Unternehmen ist mit seiner Spezialisierung das einzige in Europa, es ist auch als einziges Institut seiner Art in den jeweiligen nationalen und internationalen medizinischen Fachgesellschaften vertreten – dies dokumentiert seine wissenschaftlich Unabhängigkeit, obwohl die Auftraggeber in der Regel aus der Pharmaindustrie stammen.
Das Titelthema Digitalisierung hat über die Jahrzehnte den Beruf von Lenka Kellermann an ihren unterschiedlichen Stationen begleitet und zu einer qualitativen und quantitativen Steigerung geführt: „Anfangs haben wir noch mit Kalkulationsmaschinen gearbeitet“, sagt sie lächelnd über die halb-elektronische Frühzeit, „Folien und Grafiken für Präsentationen waren damals noch handgezeichnet“. Inzwischen ist die Datenverarbeitung ein grundlegender Baustein in ihrer Arbeit. Entscheidend ist für das Unternehmen heute vielmehr, dass Daten online überall so eingegeben werden können, dass sie in „real-time“ verfügbar sind und bearbeitet werden können.
Lenka Kellermann engagiert sich seit nunmehr fünf Jahren im VDU, begeistert für den Verband hat sie damals Christa Porten-Wollersheim. Seit 2015 ist Kellermann auch in der Wirtschaftskommission auf Bundesebene tätig, wo sie gerade leider aus Zeitgründen eine Pause einlegen musste. Ihr Interesse an volkswirtschaftlichen Zusammenhängen ist aber ungebrochen. Wie alle der in dieser Rubrik bisher vorgestellten VDU-Frauen schätzt sie den Meinungsaustausch, die Offenheit und die Vielfalt an diskutierten Themen. Im VDU findet sie vor allem neue Perspektiven in der Unternehmensführung. Ganz gleich, ob die Handelnden nun eine Firma ihrer Größe führen oder einen großen Betrieb, „ob man wie ich ein Institut oder ein Unternehmen in der Industrie leitet“, sagt Kellermann.
Grundsätzlich findet die Mutter eines 30 Jahre alten Sohnes, dass Frauen offener und teamorientierter die Probleme anpacken, was sich auch in ihrem Büro abbildet: Es ist an seiner prominenten Adresse in Freiburgs Innenstadt-Ader, kommt aber ohne repräsentativen Schnickschnack daher. Sie und ihr Team wollen sich hier wohlfühlen und vor allem Arbeitsplatzausstattung auf dem neuesten technischen Stand haben, sagt Kellermann, einen breit angelegten Empfangstresen brauchen sie nicht.
Ihre Kunden sind international gestreut, man stimmt sich i.d.R. in Videokonferenzen ab. Die internationalen Kongresse bieten da auch eine gute Gelegenheit zum persönlichen Treffen.
Sehr wichtig ist ihr die Mitarbeiterzufriedenheit im überwiegend weiblichen Team. Die Hierarchien verlaufen hier nicht von oben nach unten, sondern entlang des Workflows – also, wie die Projekte aufgesetzt und bearbeitet werden. Darüber habe sie sich gerade im vergangenen Jahr viele Gedanken gemacht, als das Institut schnell gewachsen ist. Es ging darum, wie das junge und internationale Team zusammenwachsen kann, wie die Arbeitsprozesse optimiert und eine gute Work-Life-Balance erreicht wird. Dabei sind die modernen digitalen Projektmanagement-instrumente, die eine Agenda und Daten für das internationale Team überall erreichbar machen, sehr hilfreich. Auch bei der Wiedereingliederung einer Mitarbeiterin, die nach einem Ortswechsel und nach der Geburt zweier Kinder ihre Arbeit für das Institut nun vom Home Office in Stuttgart aus wieder aufgenommen habe, sei die Digitalisierung hilfreich gewesen: „Sie ermöglicht Frauen ihre qualifizierte Tätigkeit fortzuführen und eine individuelle Work-Life-Balance zu finden“, sagt die Unternehmenschefin.
Erschienen in der Ausgabe vom 09/16