Tausende von Flüchtlingen aus der Ukraine suchen zurzeit in Deutschland Schutz. Und viele von ihnen in den nächsten Wochen oder Monaten auch eine Arbeit. Anders als bei der Flüchtlingswelle 2015 ist das nun relativ unkompliziert möglich. Die Strukturen sind da, die Unternehmen offen.
VON SUSANNE MAERZ
Rund 1600 Frauen, Kinder, Jugendliche, aber auch ältere Männer aus der Ukraine sind bis Anfang April in der Landeserstaufnahmestelle in Freiburg angekommen, zudem etwa 400 in der Außenstelle in der Messe Offenburg. Täglich kamen um den Monatswechsel zwischen 30 und 40 hinzu, heißt es vom Regierungspräsidium. Die meisten von ihnen wurden bereits in die Städte und Kreise der Region verlegt. Nicht mitgezählt sind all die Menschen, die bei Freunden, Verwandten und Bekannten unterkommen und nicht zentral erfasst werden.
Anders als bei der Flüchtlingswelle 2015/2016, als über eine Million Menschen nach Deutschland kamen, sich zentral registrieren und ein langwieriges Asylverfahren durchlaufen mussten, geht es nun einfacher: Ukrainer können sowieso ohne Visum für 90 Tage in die EU einreisen. Wer vor Kriegsausbruch rechtmäßig in der Ukraine gelebt hat, erhält sofort eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, die danach um bis zu drei Jahre verlängert werden kann. Dazu kommen sofort Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und eine Arbeitserlaubnis.
Erst Krieg und Flucht verarbeiten
Natürlich gehen die Flüchtlinge nicht als Erstes auf Arbeitssuche. „Das wird sicher einige Wochen oder Monate dauern“, sagt Peter Schneider-Berg, unter anderem beim Caritasverband Freiburg-Stadt als Einrichtungs- und Projektleiter für Migration und Integration zuständig. Zuerst müssen sie Erfahrungen des Krieges und der Flucht verarbeiten. „Wie schnell das geht, hängt von den einzelnen Menschen ab. Auch davon, ob sie den Tod von Angehörigen verkraften müssen, Bombenangriffe erlebt haben oder nicht“, sagt Ibrahim Sarialtin, Fachberater für Zugewanderte und Geflüchtete bei der IHK Südlicher Oberrhein in Freiburg. Da die meisten zunächst bei Freunden oder Bekannten, in Jugendherbergen, Messehallen oder in der Landeserstaufnahmestelle untergekommen sind, müssen sie erstmal eine dauerhafte Bleibe finden. Und für ihre Kinder einen Kita- oder Schulplatz.
Denn anders als 2015, als vor allem Männer kamen, die ihre Familien zum Teil nachholten, sind es nun in erster Linie Frauen mit Kindern. Und diese können nur arbeiten, wenn die Kinder versorgt sind – und je nachdem auch nur in Teilzeit. Gleichwohl werden viele von ihnen arbeiten wollen oder auch müssen. Schon allein, um ihren Lebensunter-halt bestreiten zu können. Das Geld, das sie vom deutschen Staat erhalten, liegt unter dem Sozialhilfeniveau. „Die Menschen kommen auch nicht zu uns, um Sozialleistungen zu beziehen. Sie wollen ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren und schnell Deutsch lernen“, sagt Peter Schneider-Berg. Dazu kommt: „Die Frauen sind es gewohnt zu arbeiten.“ Das sei ein weiterer Unterschied zur vorangegangenen Flüchtlingswelle. Er verweist auf das andere Rollenverständnis in vielen afrikanischen oder arabischen Ländern, in denen es üblich ist, dass viele Frauen zu Hause bleiben.
Vor Jobsuche Sprache lernen
Gleichwohl helfen die Erfahrungen von 2015/16. „Die Strukturen, die damals geschaffen wurden, konnten oder können nun hochgefahren werden“, sagt Veronika Weis, Teamleiterin und Interkulturelle Botschafterin der Arbeitsagentur Freiburg. Die meisten ukrainischen Flüchtlinge haben in der Schule eher Russisch oder Polnisch gelernt als Englisch oder gar Deutsch. Daher geht Veronika Weis davon aus, dass diese zuerst Integrationskurse belegen und dort Deutsch lernen, bevor sie auf Arbeitssuche gehen können. In Hilfsjobs könnten sie vielleicht schon in einem Monat arbeiten, in qualifizierten Berufen frühestens etwa in einem halben Jahr. Das ist schneller als vor sieben Jahren: Bei Flüchtlingen aus Syrien oder Afghanistan habe es im Schnitt eineinhalb Jahre gedauert, berichtet Weis.
Unklar ist derzeit, ob die ukrainischen Flüchtlinge vor allem Hilfsjobs suchen werden, um schnell Geld verdienen zu können, oder Stellen, für die sie qualifiziert sind und ihnen eine längerfristige Perspektive bieten. Das hängt nicht nur davon ab, wie schnell ihre Abschlüsse anerkannt werden, sondern auch, wie lange sie bleiben. Wann eine Rückkehr möglich ist, weiß derzeit keiner. Das spielt bei der Arbeit der Anlaufstellen auch keine Rolle. „Wir bieten allen Flüchtlingen Integrationskurse, Aus-bildung und Arbeit an“, sagt Veronika Weis. „Selbst wenn sie zurückgehen, nehmen sie das Know-how für den Wiederaufbau mit.“ Ihr und Schneider-Berg ist es wichtig, dass die Arbeit nachhaltig ist, die die Ukrainer ergreifen. Sie gehen zudem davon aus, dass die meisten Flüchtlinge jetzt höher qualifiziert sind als das Gros derer, die 2015/16 kamen.
Vermittler sind bereit, Unternehmen offen
Ob Hilfsarbeiterin oder Fachkraft: „Der Arbeitsmarkt wartet auf die Ukrainer und nimmt sie gerne auf“, sagt Veronika Weis. „Dass sie sofort arbeiten dürfen, macht es uns und den Arbeit-gebern rechtlich gesehen viel einfacher als bei der letzten Flüchtlingswelle.“ Dem pflichtet Ibrahim Sarialtin von der IHK bei. Außerdem müssten die ukrainischen Flüchtlinge, anders als beispielsweise viele Afrikaner, keine Angst haben, abgeschoben zu werden. „Die Betriebe sind sehr offen, Flüchtlinge aufzunehmen“, sagt Sarialtin, der Unternehmen bei der Vermittlung hilft. Dass uns der ukrainische Kulturkreis weniger fremd ist als beispielsweise der afrikanische oder arabische, helfe dabei. Dazu kommt, dass die Flüchtlinge nun alle Ukrainisch und/oder Russisch sprechen und nicht wie 2015 mit vielen afrikanischen und arabischen Sprachen umgegangen werden muss.
Viele Unternehmen haben sich bereits beim Arbeitgeberservice der Arbeits-agentur gemeldet. „Der Pflegebereich hofft auf Fachkräfte, und auch die Hotellerie und Gastronomie fragt an“, sagt Veronika Weis von der Arbeitsagentur. In der Reinigungsbranche sieht sie ebenfalls Chancen. Auch Erzieher und Lehrer seien gefragt. Ibrahim Sarialtin hat ebenfalls bereits Anfragen von Unternehmen. „Alle Anlaufstellen und auch die Betriebe sind vorbereitet“, sagt er. „Jetzt müssen wir darauf warten, bis die Menschen so weit sind.“
Ausbildung im nächsten Jahr
Viele junge Flüchtlinge werden einen Ausbildungsplatz suchen. Sarialtin rechnet damit, dass dies nur in wenigen Fällen fürs nächste Ausbildungsjahr, das im September startet, gelingt. Ohne die nötigen Sprachkenntnisse könnten die jungen Leute in der Berufsschule dem Unterricht nicht folgen. „Wir wollen ja nachher keine Abbrecher. Daher ist es wichtig, vorher die Basis für eine Ausbildung zu schaffen“, sagt auch Veronika Weis. Im Zuge der großen Welle der Hilfsbereitschaft, die es in der Bevölkerung gibt, finden sich auch Angebote fürs Sprachelernen und die Jobsuche. Beispielhaft dafür steht die Freiburger Jicki GmbH. Sie stellt kostenlose Onlinekurse für Ukrainer und Deutsche zum Lernen der jeweils anderen Sprache zur Verfügung.