Seit knapp vier Jahren gibt es in Freiburg kein Geburtshaus mehr. Schwangere haben nur noch die Wahl zwischen einer Klinik oder einer Hausgeburt. Ein neues Geburtshaus möchte die Lücke schließen, werdenden Eltern ein sicheres Umfeld schaffen und Hebammen bessere Arbeitsbedingungen ermöglichen – mit Unterstützung einer Stiftung und Crowdfunding.
VON ANNA-LENA GRÖNER
Aktuell ist Sarah Wong-Herrlich als Hebamme 24 Stunden erreichbar. Sie betreut Schwangere und macht Hausgeburten. Ständige Rufbereitschaft, dabei ist sie selbst Mutter von zwei kleinen Kindern, das erfordert großes Organisationstalent. „Ich habe immer einen Plan B wegen der Kinder“, sagt die 32-Jährige. Ihr Mann ist Hausmann und ihr Back-up für alle Fälle.
Seit 2016 ist Wong-Herrlich Hebamme. Ihre Ausbildung machte sie in der Freiburger Uniklinik, wo sie schnell merkte: „Ich wollte niemals Klinikgeburten machen. Das ist nicht die Arbeit, hinter der ich stehen kann, vor allem wegen des Personalschlüssels.“
In Kliniken sind häufig zu wenige Hebammen für zu viele Geburten zuständig. Da kommt es vor, dass zwei Geburtshelfer in einer Nacht fünf Geburten begleiten. Für Sarah Wong-Herrlich nicht vertretbar. Die ihr vorschwebende eins-zu-eins- Betreuung sei in keiner Klinik umsetzbar. Aber auch ihre aktuelle Situation als außerklinische Geburtshelferin verlangt viel ab und bietet wenig Planungssicherheiten für das eigene Privatleben.
„Wir haben schnell gemerkt, dass wir damit offene Türen einrennen.”
Sarah Wong-herrlich, hebamme und geschäftsführerin des “geburtshaus freiburg”
Vor zwei Jahren saß Sarah Wong-Herrlich also – nur wenige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter – mit anderen Hebammen beim ersten Kick-off-Treffen zur „Geburtshaus Freiburg“-Idee. „Wir haben schnell gemerkt, dass wir damit offene Türen einrennen.“ Und das sowohl bei werdenden Eltern als auch bei den freiberuflichen Hebammen.
Denn mit dem Geburtshaus möchten Wong-Herrlich und ihre Geschäftspartnerin Marlis Binnig anderen selbstständigen Kolleginnen und Kollegen auch eine bessere Planbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen.
Die richtige Zeit
2017 schlossen die letzten beiden Freiburger Geburtshäuser „Mayenrain“ und „Lichtblick“. Schuld daran war wohl vor allem die schwierige wirtschaftliche Situation: Bis zu 10.000 Euro im Jahr müssen freiberufliche Hebammen für ihre Haftpflichtversicherung bezahlen. Erst langsam kam der 2015 beschlossene „Sicherstellungszuschlag“ ins Rollen, der den Hebammen immerhin einen Teil der Versicherungskosten rückerstattet – bürokratischer Aufwand und Vorkasse sind selbstverständlich.
„Es gab damals zudem kaum Hebammennachwuchs“, sagt Wong-Herrlich. „Aktuell sieht das wieder anders aus.“ Grund dafür ist das reformierte Hebammengesetz vom September 2019, das die Ausbildung zur Hebamme durch duale Studiengänge und die Verbindung von Praxis und Wissenschaft moderner und attraktiver gestalten möchte.
Im Wintersemester 2021/22 startet auch an der Universität Freiburg erstmals der Studiengang „Hebammenwissenschaft“ mit 35 Studienplätzen. In sieben Semestern (3,5 Jahren) und in Kooperation mit der Uniklinik werden die Studierenden auf das Berufsbild vorbereitet. Die Reform zeigt: Hebammen werden gebraucht. Im vergangenen Jahr kamen in Freiburg 5.656 Kinder auf die Welt – ein neuer Rekord. Und auch die Hausgeburten lagen mit 104 so hoch wie noch nie seit der Aufzeichnung.
Die Finanzierungs-Frage
Seit einem Jahr hat das gemeinnützige Unternehmen „Geburtshaus Freiburg e.V.“ eine passende Immobilie gefunden. Der neue Vermieter, Julius von Gleichenstein, steht hinter dem Projekt und machte den Hebammen ein faires Mietangebot, nachdem sie zuvor am Güterbahnhof erfolglos danach gesucht hatten.
Doch der neue Standort in der Schreiberstraße, mitten in der Freiburger Innenstadt und mit optimalen Verkehrsanbindungen sowie im Notfall schnellen Wegen zu den umliegenden Kliniken, ist ideal. Eigentlich sollte längst mit den Umbaumaßnahmen begonnen werden – doch Corona warf den Zeitplan durcheinander. Die Entkernung des Gebäudes startet in den kommenden Wochen.
Auf 300 Quadratmetern entstehen dann zwei Geburtsräume, ein Kursraum sowie ein Vorsorgeraum. Später arbeiten hier insgesamt 12 Frauen in so genannten Geburtshilfe-Teams mit jeweils vier Hebammen. Wong-Herrlich plant mit 20 bis 25 Geburten im Monat und sie hat Hoffnung, das Geburtshaus im November öffnen zu können.
Es wird immer konkreter, doch der Weg war lang und vor allem die Finanzierung anfangs unsicher. Erst mit der Unterstützung der Stuttgarter „Neumayer- Stiftung“, die wiederum über einen Artikel in der Badischen Zeitung von dem Projekt erfuhr, wurde die Idee greifbar. „Das war wie ein Katalysator für uns, der alles erst möglich gemacht hat“, sagt die 32-jährige Hebamme.
150.000 Euro investiert die Stiftung in das Projekt. Außerdem konnten über die Spendenplattform „gofundme“ bisher etwa 30.000 Euro private Spenden gesammelt werden. Die künftigen Geburtshaus-Hebammen hoffen, noch weitere Unterstützer zu finden, denn noch wird der Löwenanteil privat gestemmt: zusammen mit ihrer Geschäftsführerpartnerin Binnig hat Wong-Herrlich einen 250.000-Euro-Kredit aufgenommen.
Von Seiten der Stadt Freiburg gab es am Ende weniger als erhofft. Aus den gewünschten 50.000 Euro beschloss der Gemeinderat das Geburtshaus im Doppelhaushalt mit 25.000 Euro zu berücksichtigen, „in schweren Corona-Zeiten, in denen überall gespart wird, können wir darüber trotzdem sehr glücklich sein“, sagt Wong-Herrlich.
Dafür hatte sie sich zuvor auch ordentlich ins Zeug gelegt, habe alle Fraktionssitzungen abgeklappert und „allen in den Ohren gelegen“, wie wichtig ein Geburtshaus für eine Stadt wie Freiburg sei. Wie sehr sich die Freiburger so einen Ort wünschen, zeigt die hohe Nachfrage: Das „Geburtshaus Freiburg“ hat noch nicht geöffnet, schon stapeln sich die Anfragen und Interessensbekundungen.
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