Die Entgeltlücke zwischen den Geschlechtern klafft weiterhin deutlich auseinander. Expertinnen wie Bärbel Rockstroh kennen die Gründe dafür und welche Lösungen es gibt.
VON CHRISTINE WEIS
1192 Euro verdienen Männer monatlich im Schnitt mehr als Frauen. Oder anders ausgedrückt: Bis zum 7. März, dem Equal Pay Day, arbeiteten Frauen 2022 in Deutschland umsonst, während die Männer ab dem 1. Januar entlohnt wurden. Laut Statistischem Bundesamt beträgt der aktuelle Verdienstabstand, das Gender Pay Gap zwischen Mann und Frau 18 Prozent. Werden strukturelle Faktoren zwischen den Geschlechtergruppen wie Unterschiede bei Berufen, Beschäftigungsumfang, Bildungsstand, Berufserfahrung oder der geringere Anteil von Frauen in Führungspositionen einberechnet, ergibt sich der bereinigte Gender Pay Gap von sechs Prozent.
Die Bereinigung macht die Ungerechtigkeit nicht besser, sondern Probleme deutlicher: Frauen arbeiten meist in schlechter bezahlten Jobs, häufiger in Teilzeit und besetzen weniger Spitzenpositionen. Ihr Anteil beim Erziehungs- und Gesundheitspersonal liegt jeweils bei rund 75 und im Einzelhandel bei 66 Prozent.
Hier drängt sich die Grundsatzfrage ins Zahlenwerk, warum ausgerechnet diese Arbeiten weniger „wert“ – sprich, schlechter bezahlt werden. Die Soziologin Corinna Kleinert von der Uni Bamberg erklärt es gegenüber der Gewerkschaft IG Metall so: „Typische Frauenberufe, wie Kindererziehung und Pflege, wurden der Sphäre des Haushalts, nicht des Marktes zugeordnet. Daher waren sie auf dem Markt nichts wert. Das hat eine lange Geschichte, ist historisch gewachsen und ändert sich daher nur sehr langsam.“
Ein gerechtes Lohnsystem bedeutet nicht, dass Frauen „Männerberufe“ ergreifen sollen, sondern „Frauenberufe“ fairer bezahlt werden und es gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben muss. Selbst wenn Frauen in männlich dominierte Berufsfelder strömen, drücken sie dort das Durchschnittseinkommen, ohne dass männliche Kollegen darunter leiden. Daran hat auch das 2017 eingeführte Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen nichts geändert. Der Auskunftsanspruch gilt erst in Betrieben ab 200 Mitarbeitenden und wird bis dato kaum genutzt.
Frauen fordert mehr
„Einer der Gründe für die enormen Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern liegt im Verhandeln“, sagt Bärbel Rockstroh. Die Coachin und Therapeutin begleitet zusammen mit ihrem Mann Sebastian Rockstroh seit Jahren Frauen auf dem Karriereweg und Entscheider im Umgang mit Mitarbeiterinnen sowie beim Recruiting. Better Than Possible heißt ihr gemeinsames Unternehmen in Münstertal und „Erfolg in Sicht“ ihr Buch zum Thema, das zum Longseller wurde.
„Wer fordert, wird gefördert“ lautet das Credo der Rockstrohs. Frauen sind zurückhaltender gerade in der Gehalts-verhandlung beim Jobeinstieg. Ihre Angaben liegen nach Rockstrohs Erfahrungen oft 10.000 Euro unter dem von Männern für denselben Job. „Frauen müssen mehr für sich einstehen, mutiger sein.“ Das bedeute nicht, dass sie selbst schuld sind, wenn sie weniger verdienen, aber sie können daran etwas ändern. Häufig ließen sie sich mit den Argumenten „es gibt kein Budget“ oder „eine Erhöhung sieht die Gehaltsstruktur nicht vor“ ins Bockshorn jagen, so die Coachin.
Dass Frauen auf der Karriere- und Gehaltsleiter schwerer nach oben kommen, liegt für Bärbel Rockstroh vorwiegend an den patriarchal geprägten Strukturen, die in der Geschäftswelt nach wie vor vorherrschen. Es gebe Hierarchien und Wettkämpfe um Macht und Status. Dieser überkommenen Struktur sollten sich Frauen nicht unterwerfen, aber sie müssten die Spielregeln kennen und sie weiblich clever spielen.
Wettbewerb hätten Männer von klein auf einstudiert. Dabei gehe es nicht um Arbeitseifer und Können, sondern um Selbstbewusstsein und Auftreten. Rockstroh macht dieses Rollenverhalten an Günter Oettinger anschaulich. Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg wurde trotz schlechtem Englisch und ohne ausgewiesene Expertise zum EU-Kommissar für Energie, später für Digitales. „Er ist so sehr von sich überzeugt, dass er Schwächen erst gar nicht als solche erkennt“, sagt Rockstroh.
Frauen tickten anders: Sie stellen ihr Licht häufig unter den Scheffel. Dies sei auch ein Grund, warum sich weniger Frauen auf Stellenausschreibungen bewerben, in denen sehr gute Qualifikationen oder langjährige Erfahrung gewünscht sind. Für Bärbel Rockstroh ist das ein No-Go in Zeiten von Fachkräftemangel.
Kinder und Karriere
Judith Wiese ist Personalvorstand bei Siemens. Damit ist sie eine der wenigen Frauen in der Führungsriege eines DAX-Unternehmens. Sie hat sich für die Frauenquote stark gemacht, weil sich ohne diese zu wenig bewege. „Zwanzig Jahre Freiwilligkeit haben uns leider nicht weitergebracht“, sagt sie in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit. Die 51-Jährige hat zwei Kinder. Ihr Mann ist Hausmann. Diese Aufteilung ist heute immer noch die Ausnahme. Kinder sind für die meisten Frauen ein Karriereknick. Der Mann als Mehrverdiener sorgt für das Einkommen. Die Frau erledigt die Fürsorgearbeit und ist nach der Elternzeit häufig in Teilzeit beschäftigt, was eine geringe Rente zur Folge hat, und im Fall einer Trennung Altersarmut bedeutet.
„Zwanzig Jahre Freiwilligkeit haben uns leider nicht weitergebracht.“
Judith Wiese ist Personalvorstand bei Siemens
Möglichkeiten, um von diesem Alleinverdiener-Modell wegzukommen, sieht Wiese etwa in Elternzeit für Männer, flexiblen Arbeitszeitmodellen und Kinderbetreuung. Der Elternzeitanteil von Vätern im Vergleich zu den Müttern ist nach wie vor gering. 2020 planten die Männer 3,7 Monate Elternzeit. 14 Monate waren es bei den Frauen. Ein Viertel aller Mütter, deren jüngstes Kind unter 6 Jahren ist, war 2019 in Elternzeit – bei den Vätern lag der Wert bei 1,6 Prozent. „Paare sollten sich schon vor einer Schwangerschaft darauf verständigen, wie sie als Eltern Beruf und Familie paritätisch managen – und zwar so, dass niemand gravierend benachteiligt wird“, erklärt Bärbel Rockstroh.
Schön, wenn das Eltern partnerschaftlich so hinkriegen. Dennoch muss der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen für die Gleichberechtigung schaffen. Jutta Allmendinger, Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, plädiert seit Jahren dafür, dass Frauen mehr Unterstützung brauchen. Es gäbe zu wenig Ganztagsschulen, kaum Kitas mit flexiblen Betreuungszeiten oder ausreichende Ferien-Betreuung.
Stattdessen setze das Steuer- und Sozialsystem starke Akzente zur Teilzeitarbeit von Frauen, wie das Ehegattensplitting oder die kostenlose Mitversicherung bei Krankenkassen. „Ich finde es deshalb zynisch und arrogant, Frauen vorzuwerfen, dass sie nicht Vollzeit arbeiten wollen, wenn die Rahmenbedingungen überhaupt nicht danach ausgerichtet sind“, sagt Allmendinger in einem Interview mit dem Frauenmagazin Emma.
Das Einkommen beider Ehepartner wird steuerlich zusammen veranlagt. So zahlt häufig die Frau den hohen Steuersatz ihres besserverdienenden Ehepartners und so bleibt von ihrem Einkommen wenig übrig. Da der Ehemann im Schnitt 1192 Euro mehr verdient, fällt die Entscheidung, wer von den Elternteilen hauptsächlich die bezahlte Erwerbsarbeit leistet, aus Geldgründen. Und da beißt sich die Katze wieder in den Schwanz. Es braucht noch einige gesetzliche Reformen, eine finanzielle Wertschätzung der Care-Arbeit und gerechte Bezahlung nach dem Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit, damit sich die Entgeltlücke zwischen den Geschlechtern schließt.